
© Stephan Schuetze
Handwerk ist extrem digital: „Nicht mehr Meister Eder und sein Pumuckl“
Digitalisierung
Die Digitalisierung im Handwerk geht längst über eigene Websites und Social-Media-Kanäle hinaus. Abläufe werden optimiert, Maschinen digital gesteuert. Und die Zukunft bringt noch viel mehr.
Handarbeit wird in der Tischlerei Ortega im Dortmunder Westen groß geschrieben. „Möbel von der Stange werden Sie bei uns nicht finden“, heißt es dort in der Unternehmensphilosophie. Der Handwerksbetrieb am Kleyer Weg steht für Einzellösungen und individuelle Maßanfertigungen.
Eine Einzellösung ist dort allerdings auch die innerbetriebliche Organisation. Ob Termine, Angebote, Rechnungswesen, Kundendaten oder Zeiterfassung - das Meiste hängt in dem 9-köpfigen Familienbetrieb allein an einer Bürokraft, an Heike Ortega.
„Wir merken, dass wir zu große Reibungsverluste haben und unsere Abläufe verbessern müssen. Ich bin ziemlich technik-affin und wir haben schon einige EDV-Programme angeschafft. Wir haben aber dennoch das Gefühl, dass wir sie nicht richtig nutzen und Vieles einfacher laufen könnte“, sagt Heike Ortega, die mit ihrem Mann Josef die Firma lenkt.
Doppelarbeiten, Fehler und Zeitverluste
Zurzeit werden im Betrieb drei verschiedene Kalender geführt - zwei digitale und ein Papierkalender. Kunden- und Lieferantenkontakte werden in einem persönlichen Adressbuch erfasst, sind aber nicht zentral geführt und sind auch nicht von außen erreichbar. So kommt es im Außendienst immer wieder zu Rückfragen und Verzögerungen.
Die Liste eher umständlicher Arbeitsprozesse ließe sich problemlos verlängern - und lässt sich so oder ähnlich nicht nur für die Tischlerei Ortega aufstellen, sondern ist typisch für zahlreiche Handwerksunternehmen. „Viele Betriebe haben schon irgendwo EDV-Lösungen und nutzen Branchensoftware, aber das passt oft nicht zusammen, führt zu Doppelarbeiten, Fehlern und Zeitverlusten“, sagt Innovationscoach Patricia Olbert. Sie berät die Firma Ortega im Rahmen des Förderprogramms InnoScheck Ruhr, mit dem die Digitalisierung im Handwerk vorangetrieben werden soll.
Unter anderem machen Betriebsberater der Handwerkskammer die Mitgliedsfirmen auf das Förderinstrument aufmerksam. Kleine und mittlere Unternehmen können damit für rund 5000 Euro, in besonderen Fällen sogar für bis zu 10.000 Euro, Beratungsleistungen einkaufen.

Als Präsident der Handwerkskammer, die in Dortmund über 4000 Betriebe vertritt, wünscht sich Berthold Schröder, dass das Handwerk mit technischem Fortschritt assoziiert wird. „Mit der Digitalisierung erleben wir eine unglaublich dynamische Entwicklung“, sagt er. © Schaper
„Die Digitalisierung wird für viele Handwerksbetriebe eine Herausforderung. Wir sehen an vielen Stellen eine unglaublich dynamische Entwicklung. Da müssen und wollen wir für Informationen sorgen“, sagt Handwerkskammer-Präsident Berthold Schröder. Dabei gehe es nicht nur um die Verbesserung von Arbeitsabläufen, sondern auch um Markterschließungsstrategien und erst recht um nahezu technologische Revolutionen in der Fertigung.
Furcht vor Uberisierung des Handwerks
„Um Kunden gewinnen zu können, ist es für die Betriebe wichtig, digital sichtbar zu sein oder zu werden. Denn, den Handwerksmeister um die Ecke gibt es ja kaum noch. Die Firmen sind aus der Stadt raus in die Gewerbegebiete gezogen. Und die Leute orientieren sich auf dem Smartphone, wenn sie einen Handwerker suchen“, sagt Berthold Schröder.

Das Schweißen in einer Schlosserei oder Schmiede ist immer noch vor allem Handarbeit. Gleichzeitig werden aber Prozessabläufe, Planungen und auch Fertigungen immer digitaler. © Schaper
Eine Bedrohung für die Meisterbetriebe im Handwerk könnte die heraufziehende Plattform-Ökonomie werden. Durchaus aufgeschlossen, aber auch mit einer Portion Skepsis, sieht der Kammerpräsident auf die Geschäftsidee des Dortmunder Start ups „Myster.de“. Es handelt sich dabei um eine digitale Plattform, die Anbieter und Kunden zusammenbringt, also Dienstleistungen vermittelt. „Man muss sehen, wie sich das entwickelt, aber ich fürchte eine Uberisierung des Handwerks“, so Berthold Schröder.
Er spielt damit auf den US-amerikanischen Fahrdienstanbieter Uber an, der Autofahrer, die Beförderungsleistungen anbieten können, und Personen, die diese nutzen wollen, zueinander bringt. Uber macht Amateure zu Taxifahrern. „Bezogen auf das Handwerk ist es wichtig“, sagt Schröder, „dass die Beratungsleistung für den Kunden nicht auf der Strecke bleibt und Handwerker nicht auf die reine Ausführung von Tätigkeiten beschränkt werden.“
Berthold Schröder ist sicher, dass sich das Handwerk in den nächsten Jahren extrem digitalisieren wird. „Nehmen wir beispielsweise das Zahntechniker- Handwerk. Es sind keine Abdrücke vom Gebiss eines Patienten mehr nötig. Der Mundraum lässt sich digital scannen und ein Gebiss dann digital abbilden“, so Schröder.
Ein wichtiges Stichwort ist auch das „Building Information Modeling“ (kurz BIM), das gerade das Baugewerbe revolutioniert. Die Bauwerksdaten-Modellierung beschreibt eine Methode zur vernetzten Planung, Ausführung und Bewirtschaftung von Gebäuden. Die entsprechende Software ermöglicht es, einen Bau per 3D-Computermodell bis hin zur letzten Türklinke und deren Hersteller und Artikelnummer zu erfassen.
Über Cloud Zugriff auf den Planungsprozess
Indem alle an einem Neubau Beteiligten, vom Architekten über Ingenieure und Behörden bis hin zum Handwerker, über eine Cloud-Lösung Zugriff auf den aktuellen Planungsprozess haben, ändert sich das Bauen fundamental. „Im Moment bauen wir im Groben noch wie vor 500 Jahren. Die Digitalisierung wird das ändern. Das wird mit Macht kommen“, ist Berthold Schröder überzeugt.
So werden in Zukunft die einzelnen Planungschritte transparent, weil jeder sehen kann, welche Auswirkungen sein Handeln auf andere Gebäudeteile hat. Entscheidet zum Beispiel der Statiker, dass eine tragende Säule breiter werden muss, dann kann es passieren, dass die in diesem Bereich verlaufende Kabeltrasse verschoben werden muss. Im Plan ist das sofort sichtbar.
Das zunehmend digitale Arbeiten, ob in der Tischlerei, in der Zahnarztpraxis oder am Bau, führt zu enorm wachsenden Datenmengen, die verarbeitet, verschickt, gespeichert und möglichst verzögerungsfrei abrufbar sein müssen. Das Internet explodiert.
Vor diesem Hintergrund wird die Bedeutung der Glasfaser-Offensive, die es in den vergangenen Wochen in Dortmund gegeben hat, deutlich. Sowohl der Glasfaser-Hochgeschwindigkeitsring Ruhr-Backbone als auch der Start des Internetknotens Ruhr-CIX sollen dazu beitragen, wie es heißt, den Menschen und Firmen im Ruhrgebiet eine „sichere Internet-Heimat“ zu geben.
Der Entwicklungstreiber sei die Industrie 4.0. Das ist jenes Zukunftsprojekt zur umfassenden Digitalisierung der industriellen Produktion, das immer mehr auch das Handwerk erreicht.
Berthold Schröder begrüßt es daher, wenn sich die Infrastruktur für das digitale Wirtschaften verbessert und es im nächsten Jahr auch auf der letzten Meile hin zu den Betrieben in Dortmund zu einem Breitbandausbau kommt. „Wir brauchen schnelle Datenleitungen. Bei der Breitbandversorgung rangiert Deutschland in Europa auf einem der hinteren Plätze“, so Schröder.

Heike Ortega ist die Chefin im Büro. Die Organisation dort vereinfacht jetzt dank digitaler Unterstützung die Arbeitsprozesse im gesamten Betrieb. Mit dem Berater Sebastian Wiehe vom IT-Dienstleister „Bitpiloten“ wird noch der Feinschliff vorgenommen, so dass Daten aus dem Kalender sofort auf dem Tablet in der Schreinerei oder auf dem Handy der Chefin erscheinen. © Stephan Schuetze
Der Kammerpräsident wünscht sich, dass das Handwerk mit technischem Fortschritt assoziiert wird. „Das Bild vom Meister Eder und seinem Pumuckl gilt schon längst nicht mehr“, sagt er.
Werkstatt-Zukunft: digitale Pläne auf Monitoren
Und das wird beim Blick in die Werkstatt der Tischlerei Ortega in Kley sofort deutlich. Eine Plattensäge wird hier bereits über ein Zuschnittprogramm so gesteuert, dass möglichst wenig Material verbraucht und der Verschnitt gering gehalten wird. In Zukunft sollen in der Werkstatt auch Monitore hängen, sagt Josef Ortega, die die genauen Pläne und Dekore der anzufertigenden Möbel für jeden Mitarbeiter sichtbar machen.
Im Büro sitzt Heike Ortega und arbeitet nach der Beratung von Innovationscoach Patricia Olbert inzwischen mit einem zentralen Kalender, zentraler Stammdatenerfassung und verbesserter Software. „Das ist eine erhebliche Erleichterung“, sagt Heike Ortega und freut sich über die digitalen Möglichkeiten.
Das Förderprogramm InnoScheck Ruhr
- „In | Die RegionRuhr“ ist ein Kooperationsprojekt der Wirtschaftsförderungen und IHKs der Standorte Dortmund, Bochum, Hagen, Herne und des Ennepe-Ruhr-Kreises. Das Projekt wird vom Land NRW unter Einsatz von Mitteln aus dem europäischen Fonds für regionale Entwicklung gefördert.
- Wer sich für das Förderprogramm InnoScheck Ruhr von „In | Die RegionRuhr“ interessiert, kann sich direkt an Innovationscoach Patricia Olbert vom Innovationsnetzwerk für Industrie und Dienstleistungwenden unter Tel. (0231) 50-29258 oder per E-Mail an olbert@regionruhr.de
- Informationen gibt es auch unter www.regionruhr.de und bei der Handwerkskammer Dortmund unter www.hwk-do.de
Nach mehreren Stationen in Redaktionen rund um Dortmund bin ich seit dem 1. Juni 2015 in der Stadtredaktion Dortmund tätig. Als gebürtigem Dortmunder liegt mir die Stadt am Herzen. Hier interessieren mich nicht nur der Fußball, sondern auch die Kultur und die Wirtschaft. Seit dem 1. April 2020 arbeite ich in der Stadtredaktion als Wirtschaftsredakteur. In meiner Freizeit treibe ich gern Sport: Laufen, Mountainbike-Fahren, Tischtennis, Badminton. Außerdem bin ich Jazz-Fan, höre aber gerne auch Rockmusik (Springsteen, Clapton, Santana etc.).
