Dierk Strube (80) ist ein echter Ausnahme-Lehrer „Für mich sind Sie ein Heiliger“

Lehrer Dierk Strube ist mit 80 ist er noch für seine ehemaligen Schüler da
Lesezeit

Diese Geschichte über einen von Dortmunds wohl außergewöhnlichsten Lehrern startet am 25. November vergangenen Jahres. Oder genauer: Eigentlich schon am 6. November. An diesem Mittwoch begleiten wir Martin Lübeck, einen beliebten wie bekannten Dorfpolizisten aus dem Dortmunder Westen, auf einer seiner letzten Streifen, ehe er Ende des Jahres in Pension geht.

Nachdem wir berichtet haben, kommt am 25. November diese Mail. Dierk Strube schreibt uns: „Ich bin Martins Klassenlehrer während seiner gesamten Zeit an der Hauptschule in Bövinghausen gewesen. (...) Wir haben danach immer einen sehr engen Kontakt gehalten.“ Nun wolle er seinem Ex-Schüler ein Fotoalbum zur Pensionierung schenken. Ob wir auch ein paar unserer Bilder zur Verfügung stellen würden?

Klar, das tun wir gern. Gleichzeitig rechnen wir: Martin Lübeck ist 63 Jahre alt, dann müsste sein Lehrer doch schon .... um die 80 sein. Und immer noch „kümmert“ er sich um seine Schüler?

Die Redakteurin wundert sich. Seit dem Abi vor 25 Jahren hat sie keinen einzigen ihrer Lehrer je wiedergesehen. Was wohl auch die Regel sein dürfte.

Der pensionierte Hauptkommissar Martin Lübeck (l.) und sein ehemaliger Lehrer, Dierk Strube, stehen vor der Polizeiwache in Lütgendortmund.
Ein Lehrer und sein Schüler: Hauptschullehrer Dierk Strube (r., 80) hatte Martin Lübeck in seiner Klasse. Jahrzehnte später hat er ein Geschenk für den späteren Kommissar im Dortmunder Westen: ein Foto-Album zur Pensionierung. © Natascha Jaschinski

1970 als Lehrer gestartet

Dierk Strube ist aber kein „Das-ist-die-Regel“, sondern eher ein Ausnahme-Lehrer. 80 Jahre ist er alt. Seit Jahrzehnten hält er Kontakt zu ehemaligen Schülern und Schülerinnen. Und: Schon als Lehrer machte er mit ihnen nicht „nur“ Unterricht nach Plan.

Rückblick: 1970 startete Strube als Lehrer an der Hauptschule in Bövinghausen, einer Schule, die mittlerweile schon längst geschlossen ist. Eine strikte Fächeraufteilung gab es damals noch nicht. „Wir waren Zehnkämpfer“, erinnert sich der Lehrer. Alles habe er gemacht, alles „außer Physik und Religion“.

Das bedeutet: „Von meinen 28 Wochenstunden habe ich 23, 24 in der Klasse verbracht.“ Im Vergleich zu heute sei das ein „Riesenvorteil“ gewesen. Die Klasse sei immer „seine“ Klasse gewesen. Die Verbindung eng. Ganz besonders in der allerersten eigenen Klasse, die Strube übernommen hat und in die auch Martin Lübeck ging. Nicht von Anfang an, der spätere Polizist stieß erst in der 8. Klasse dazu, als er von der Realschule auf die Hauptschule wechselte.

Sofort kam auch Lübeck in den Genuss des Strube‘schen Spezial-Angebots: Freitagnachmittags ist der Hauptschullehrer mit allen Schülern, die Lust hatten, ins Lütgendortmunder Hallenbad gegangen. Er habe ja ohnehin in der Schule Schwimmunterricht gegeben, sagt Strube. „Daran haben wir einfach angeknüpft.“ 10 bis 15 Schüler seinen mindestens immer da gewesen.

Dass es dieses Angebot gemacht hat, es scheint ganz normal gewesen zu sein für Dierk Strube. Jahrzehnte später danach gefragt, sieht er gar nicht recht die Besonderheit: „Es hat einfach Spaß gemacht – mir wie den Kindern.“ Und weil das so war, „haben wir geschaut, was man noch gemeinsam unternehmen könnte“, erinnert sich Strube.

Die Wahl fiel aufs Wandern. Eigentlich eine Aktivität, mit der man die meisten Kinder jagen kann, weiß auch der pensionierte Lehrer. Strube aber ist damals locker mit 20 bis 30 Kindern losgezogen. Oft durch unbekannte Ecken Dortmunds, aber auch Wanderungen vom sauerländischen Gebirgsvereins hat er mit den Schülern gemacht. In der Freizeit. „Wir waren manchmal echt eine große Truppe“, sagt Strube. Irgendwann stießen auch ehemalige Schüler hinzu.

Der pensionierte Hauptschullehrer Dierk Strube zeigt Fotos von den Ausflügen, die er in seiner Freizeit mit seinen Schülern gemacht hat.
Viele Wanderungen hat Dierk Strube mit seinen Schülern gemacht. Alles in seiner Freizeit. Fotos von den Ausflügen und Erinnerungsschnipsel hat er aufbewahrt. © Natascha Jaschinski

Die Stimmung muss ziemlich gut gewesen sein. Das zeigen Fotos, die Strube noch hat, ordentlich eingeklebt und beschriftet, das zeigt die Tatsache, dass der Kontakt zu den Schülern mit deren Schulabschluss nicht abgerissen ist. Jahrzehntelang noch hat sich Strube mit vielen in regelmäßigen Abständen zum Pizza-Essen getroffen. Und immer Dienstagsabends im Hallenbad. Nur Corona war letztlich mächtig genug, die ungewöhnliche Lehrer-Schüler-Truppe zu stoppen. Auch Martin Lübeck war oft dabei. „Wir waren der Schreck der Bademeister“, erinnern sich die beiden. Erst habe man ewig geduscht, weil man sich so viel zu erzählen hatte, dann „Raufball“ gespielt.

Der Name war Programm: „Es kam nie jemand ohne Macken nach Hause“, sagt Strube. Das galt für die Ex-Schüler wie auch für den ja deutlich älteren Lehrer; auch er hat sich eine blutige Nase zugezogen, er war stets mittendrin. Und für Spaß zu haben. Weil Martin Lübeck immer sein Shampoo vergessen hat und das des Lehrers nahm, hat dieser seine Flasche mal mit Speiseöl gefüllt. Und: Zu Martin Lübecks 30. Geburtstag gab es als Geschenk 30 Flaschen Shampoo.

Kommissar Martin Lübeck blättert durch das Fotoalbum, das ihm sein ehemaliger Lehrer zur Pensionierung geschenkt hat.
„Er war Lehrer, aber auch ein Freund“ - das sagt der pensionierte Kommissar über seinen ehemaligen Lehrer an der Hauptschule Bövinghausen. © Natascha Jaschinski

Mit Problemen zum Lehrer

„Wir waren ein bisschen wie eine Familie“, sagt der Hauptschullehrer, der selbst keine Kinder hat. Dass die Jungen und Mädchen zu Schulzeiten notwendigen Abstand oder Respekt verlieren könnten durch die gemeinsamen Erlebnisse, sei nie ein Thema gewesen. Im Gegenteil. Die Kinder hätten sich wohlgefühlt. Das sei ein „wesentlicher Punkt“ für eine gute und erfolgreiche Schullaufbahn. Strube bedauert, dass viele Hauptschulen, auch seine, mittlerweile geschlossen sind. Wenn Schulen zusammengelegt und damit immer größer werden, gehe der „persönliche Kontakt vor die Hunde“. Damit sinke auch das Gefühl, verantwortlich zu sein.

Für Martin Lübeck war der Wechsel zur Hauptschule, zu Dierk Strube, „ein Quantensprung“, sagt er heute. „Da bin ich immer so gern hingegangen.“ Bei Problemen sei man auch mitunter erst mal „zum Strube“ gegangen, ehe man mit seinen Eltern gesprochen habe.

Auch als Erwachsener hat der Kommissar sich an seinen ehemaligen Lehrer gewandt. Als Martin Lübecks Sohn schwer krank auf die Welt kam, war Strube da. Das Kind kam letztlich sogar zu ihm in die Klasse. Was eine Fügung.

„Herr Strube war ein Lehrer, aber auch ein Freund“, sagt Martin Lübeck heute. Er ist sich sicher: Ohne den Wechsel der Schule, ohne Strube, wäre er „nie Polizist geworden“.

Ein Foto vom jungen Martin Lübeck klebt in den Erinnerungsalben, die Lehrer Dierk Strube über die Ausflüge erstellt hat, die er außerhalb des Stundenplans mit seinen Schülern gemacht hat.
Martin Lübeck ist oft dabei gewesen, wenn Lehrer Dierk Strube mit den Schülern außerhalb des Stundenplans etwas unternommen hat. © Natascha Jaschinski

Der ehemalige Lehrer mag es gar nicht, wenn sein Einsatz als so außergewöhnlich hervorgetan wird, das macht er immer wieder klar. Die Treffen mit Schülern und Ex-Schülern sei „keine Freizeit, die ich geopfert habe“, sagt er. Und: Man müsse auch bedenken, es sei eine andere Zeit gewesen, man könne es nicht mit der Situation der Lehrer heute vergleichen.

Zu acht in einem Auto

„Wir haben damals nicht alles so streng genommen“, erinnert der 80-Jährige sich. Man sei zu acht im Privatwagen zum Wandertreffpunkt gefahren. Als die Polizei sie anhielt, seien vier ausgestiegen und später abgeholt worden. Martin Lübeck erinnert sich ebenfalls, lacht: „Ich weiß noch, wie wir da standen und gewartet haben.“

Auch über die Frage, wie die Kinder auf den Ausflügen versichert seien, habe sich schlicht niemand so recht Gedanken gemacht. Leichtsinn oder nicht, es war ein Umstand, der das Strub‘sche Sonderprogramm auch erst möglich gemacht hat.

Als er Martin Lübeck das Fotoalbum schenkt, sagt der 80-Jährige daher auch: „Machen Sie, bitte, bitte, keinen Heiligen aus mir.“ Nein, machen wir nicht. Aber wir können nichts dafür, dass Martin Lübeck daraufhin sagt: „Für mich waren Sie das aber.“