Zwölf Jahre lang wurde die U-Bahn-Haltestelle Westfalenhallen jeden Sommer zur Open-Air-Disko. Dort, wo sonst Fahrgäste herliefen, feierten bei den U-Bahn-Partys Tausende zu House-Musik.
Dortmund hat schon viele Diskos kommen und gehen sehen, Partyreihen waren es noch viel mehr. Aber wenn es einen Titel für die ungewöhnlichste Party-Location in der Stadt gäbe, dann wäre die U-Bahn-Party sicher in der allerengsten Auswahl. Noch dazu, weil sie so erfolgreich lief und es nicht wenige gibt, die dieses Konzept gerne widerbelebt sehen würden.
43 Partys in zwölf Jahren waren es am Ende. 42 davon waren ein Erfolg. Jede einzelne war eine logistische Herausforderung. Darin sind sich Uwe Schnee, Till Hoppe und Robin Tonn auch heute noch einig, sieben Jahre nach der letzten Party. Die drei Dortmunder waren die Macher jener Party in der U-Bahn-Station.
Die ersten gemeinsamen Partys
Es war in den 90er-Jahren, als sich die Wege der drei Männer kreuzten. Robin kannte Uwe, Till kannte Robin und irgendwann kannte auch Uwe Till. Gemeinsam begannen sie, kleinere Partys zu veranstalten, im Sudhaus der Kronenbrauerei führten sie Mitte der 90er kurz ihren ersten Club, den Mono Club.
1998 dann wurde an den Westfalenhallen die neue U-Bahn-Station eröffnet. Architektonisch war sie unglaublich modern für Dortmund, mit den drei Ebenen, der offenen Gestaltung und der Glas-Kuppel als Dach. Till Hoppe war bei der Einweihung dabei. Wenig später fuhr er mit seinen Kumpels daran vorbei, „und einer sagte: Da müssen wir ‚ne Party machen“, erzählt Hoppe. „Ja, gute Idee“, fanden die anderen. Also begannen sie zu planen.

Ein paar Mal im Jahr wurde aus der U-Bahn-Haltestelle eine Disko. © RN-Archiv
Das sollte länger dauern als gedacht. Erst 13 Monate später stieg die erste U-Bahn-Party. Denn solange mussten die drei auf die Genehmigung der Stadt warten. Und auch sonst war es gar nicht so leicht wie gedacht, aus der U-Bahn-Station eine Disko zu machen.
Denn eine Infrastruktur für Partys gab’s an der Station Westfalenhallen nicht. Till Hoppe und Co. brauchten Strom und Wasser, Toiletten und Getränkestände. Sie mussten Fluchtwege und den Bahnverkehr berücksichtigen, denn der U-Bahn-Betrieb sollte während der Party weiterlaufen. Mit Edding und Textmarker hätten sie auf Din A0 ihren Plan zeichnen müssen – in vierfacher Ausführung, erzählt Robin Tonn.

Bei den U-Bahn-Partys - wie hier Ende Mai 2003 - wurde jedes Mal stundenlang getanzt. © Nils Foltynowicz
Aber irgendwann stand alles und am 29. Mai 1999 sollte die U-Bahn-Station erstmals zur Party-Station werden. Die Freunde, die inzwischen auch die Firma X-Tide gegründet hatten und zeitweise noch von Dennis Frank und Björn Köster unterstützt wurden, verteilten Hunderte Flyer in den Bars der Stadt, plakatierten alles, was ging. Tage vorher begann der Aufbau, Hunderte Kabel wurden verlegt. Und dann kam die Stunde der Wahrheit, ihr Tag X.
Er sollte alle Erwartungen übertreffen. „Es war innerhalb kürzester Zeit überfüllt“, sagt Uwe Schnee. Auf der Tanzfläche auf der Zwischenebene der Station, dem Treppenhaus, drängten sich die Körper aneinander und versuchten, sich im Takt der Musik zu bewegen.
House war die Musik, die hier gespielt wurde. Robin Tonn, der DJ unter den drei Veranstaltern, stand selbst an den Plattentellern. „Alle sind durchgedreht“, sagt Till Hoppe. Oben, unter der Glaskuppel, waren die Getränke- und Essenstände. Es gab eine Cocktailbar, „mit riesiger Auswahl“, so Hoppe.
Die Premiere war so erfolgreich, dass sich die U-Bahn-Party schnell etablierte. Drei bis fünfmal im Jahr stieg sie von da an jeden Sommer zwischen Ende Mai und Ende August, für die nächsten zwölf Jahre.

Bis in den frühen Morgen wurde bei jeder U-Bahn-Party gefeiert. © Oliver Schaper
Die Ruhr Nachrichten berichteten 2003, dass Gäste ihren Urlaub rund um die Party geplant hätten, damit sie dabei sein konnten. Bis zu 5000 Gäste kamen in der Spitze, 2000 bis 3000 waren es im Schnitt. Um 21.30 Uhr ging es los, immer samstags, gefeiert wurde, bis es wieder hell war. „Es war eine Party, auf die alle gewartet haben“, sagt Till Hoppe heute selbstsicher.
„Die Location war anders und deswegen etwas Besonderes“, sagt Cathy Meermann-Idziaszek. „Darauf fuhren alle ab“. Die Dortmunderin war schon bei einer der ersten Partys dabei, wurde zum Stammgast. „Die Partys waren damals fester Bestandteil des Termin-Kalenders.“

Bis zu 5000 Leute kamen an einem Abend in die U-Bahn-Station zum Feiern. © Nils Foltynowicz
Zwei bis drei Tage vorher habe sie mit ihren Freunden schon Treffpunkte abgemacht und den Abend geplant. „Es war ein In-Treff“, sagt sie. Die U-Bahn-Partys seien nicht Schickmicki gewesen, sagt Cathy Meermann-Idziaszek, man habe jedes Publikum getroffen, die Musik sei gut gewesen, „und es war nicht so verqualmt, da es ja draußen war.“
„Alle haben mitgesungen“
Kevin Stüker war in den frühen 2000ern regelmäßig Gast bei der U-Bahn-Party. „Ich bin wegen der Stimmung hingegangen, die war immer sehr gut“, sagt er. Noch heute hab er Tom Novys Version von Joachim Deutschlands „Marie“ in den Ohren. „Das Lied wurde gefeiert, alle haben mitgesungen“, erinnert sich Stüker.
„Am Anfang waren wir noch ziemlich grün hinter den Ohren“, sagt Robin Tonn. Bei der ersten Party hätten sie mit einem simplen Wasserschlauch gearbeitet, deshalb seien irgendwann die Toiletten verstopft gewesen. „Und wir wussten nach der ersten Party nicht mehr, wohin mit dem Geld“, sagt Till Hoppe und grinst verschmitzt. „Nicht, weil wir so viel verdient hätten, sondern weil wir nur einen klitzekleinen Tresor unterm DJ-Pult für das Geld hatten.“

Der Auf- und Abbau für die Partys war sehr aufwendig. Bis sonntagmorgens wurde oft gefeiert, bis zum Abend musste alles aufgeräumt sein. © Knut Vahlensieck
Aber mit der Zeit habe sich die U-Bahn-Party extrem professionalisiert, irgendwann waren Auf- und Abbau Routine. Ein logistischer Aufwand war es aber bis zum Schluss, der Aufbau dauerte meist zwei Tage, der Abbau musste bis zum Sonntagabend erledigt sein. Bis zu 80 Leute waren für die Partys beschäftigt.
Mit dem Erfolg wuchs die Party, Sponsoren stiegen mit ein und sicherten die Finanzierung. Es gab mehr Angebote, 2002 zum Beispiel war McDonalds mit Burgern und Pommes vor Ort. Kevin Stüker kann sich noch an „die leckere Currywurst“ erinnern, die es dort auch gab. Die Veranstalter setzten zudem schon früh auf Videoprojektionen mit riesigen Leinwänden und Lichtshows.
Podest am Stahlträger
Nach einigen Jahren gab es im oberen Bereich noch eine zweite Tanzfläche, mit 70er- und 80er-Musik, später kam noch eine dritte mit Black-Music dazu. Aber am liebsten feierten die Gäste im Treppenhaus zu allem, was die kommerzielle House-Musik damals so hergab.

Für die gute Show wurden auch immer wieder Tänzerinnen eingeladen. © Nils Foltynowicz
Am Stahlträger, der das Dach hält, zeigte die Uhr stets an, wie spät es war. Drumherum gab’s ein kleines Podest, auf dem die Gäste besonders gern tanzten. Es schauten auch mal bekannte DJs wie Tom Novy oder die Disco Boys vorbei, aber davon lebte die Party nicht. Es ging nicht um große Namen. „Der Magnet was das Event“, sagt Till Hoppe.
Hören Sie in den Soundtrack der U-Bahn-Partys herein
Er könne sich noch gut an diesen Moment erinnern, sagt Robin Tonn, als er Pete Hellers „Big Love“ aufgelegt und den einsetzenden Bass einen kurzen Moment so laut gedreht habe, dass es gegen alle Lärmregeln verstoßen habe. „Den Bass spür ich heute noch auf den Armen“, sagt er.
Und dann erzählt er von den Fangnetzen, die sie in dem Rondell der Station befestigt hätten, damit niemanden etwas passiert. Von oben kann man in die daruntergelegene Ebene schauen – auch das machte den Reiz aus. Denn so konnten die Gäste von oben die Tanzfläche beobachten. Jedenfalls seien einige Gäste irgendwann in diese Fangnetze gesprungen und hätten dort übernachtet, erzählt Tonn. Das seien so Erinnerungen, die ihn für immer mit der U-Bahn-Party verbinden. „Ich habe mich immer tierisch gefreut, dort aufzulegen. Jede Party für sich war toll“, sagt er.

Ohne Diskokugel keine U-Bahn-Party. © Nils Foltynowicz
Für die Gäste war die Party auch deshalb so praktisch, weil die U-Bahn trotzdem weiterfuhr. Sie brauchten also einfach nur an der Station Westfalenhallen aus der U-Bahn zusteigen, die Rolltreppen hochzufahren und waren mitten im Geschehen. Zurück ging’s wieder runter zum Bahnsteig und rein in die Bahn.
Trotz des guten Konzepts, der ungewöhnlichen Location, war die U-Bahn-Party als Open-Air-Veranstaltung sehr wetterabhängig. Regnete es, kamen automatisch weniger Menschen. Abgesagt werden musste keine einzige Party. Eine aber floppte. „Das war 2006. Da war’s richtig finster“, sagt Uwe Schnee. „Da sind uns die Sachen um die Ohren geflogen, so windig war es.“

Die Veranstalter haben schon früh mit Videoleinwänden und Lichtelementen gearbeitet. © RN-Archiv
Weil Till Hoppe auch auf dem Thier-Gelände aktiv war, wurde die U-Bahn-Party irgendwann auf das Thier-Gelände verlängert, dort gab es dann eine Pre- und After-U-Bahn-Party – jeweils zum Auftakt und zum Ende der Sommersaison.
Andere Städte hörten von der erfolgreichen Party, wurden neugierig, wollten auch so ein Konzept. In Essen schauten sich die Dortmunder eine U-Bahn-Station an, entschieden sich aber dagegen. „Es ging nur in dieser speziellen Station an den Westfalenhallen“, sagt Robin Tonn. Weil sie so offen gebaut war.
Es war 2011, zwölf Jahre nach der ersten Party, als die Macher merkten, dass sie nicht mehr mit 100-prozentiger Leidenschaft hinter ihrem Projekt steckten. Dass irgendwie die Luft raus war. Sie entschieden, dass 2011 das letzte Jahr der U-Bahn-Party sein würde.
Am 27. August wurde ein letztes Mal an der Station Westfalenhallen gefeiert. „Es war für uns immer ein Hobby und großer Spaß“, sagt Till Hoppe. „Aber irgendwann war es zu viel Aufwand und zu viel Risiko.“ Die Euphorie der Anfangsjahre habe nachgelassen, vielleicht auch ein wenig bei den Besuchern. „Es war eine Dekade, die wunderschön war“, sagt Robin Tonn. „Aber alles“, ergänzt Uwe Schnee, „hat seine Zeit.“
Die Haltestelle Westfalenhallen ist seitdem nur noch das, was sie immer war: eine U-Bahn-Station. Aber legendär wurde sie vor allem durch die 43 Partys, die dort gefeiert wurden.

Dort, wo sonst Fahrgäste herliefen, feierten nun Partygäste. © RN-Archiv
Liebt geschriebene Worte, wollte deshalb nie etwas anderes als Journalistin werden. 1989 geboren im Schwarzwald, aufgewachsen im Sauerland, heute in Dortmund zu Hause. Erzählt seit 2013 die Geschichten dieser Stadt, ihrer Menschen und ihres schwarzgelben Fußballklubs.
