Die Namen der Täter Das sind die Dortmunder SS-Aufseher im KZ Auschwitz

Die Namen der Täter: Das sind die Dortmunder SS-Aufseher im KZ Auschwitz
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Ein Polier der Stifts-Brauerei, ein Bergmann aus Westerfilde, ein Schaffner aus Eving: Während über eine Million Menschen im Konzentrationslager Auschwitz starben, lebten ihre Peiniger nach dem Krieg weiter. In ganz normalen Berufen. In einer friedlichen Zeit.

Mindestens dreizehn Dortmunder gehörten zum SS-Personal des KZ Auschwitz. Das geht unter anderem aus den Akten des Fritz-Bauer-Instituts in Frankfurt am Main hervor. Kaum einer von ihnen musste sich vor Gericht verantworten. Würden sie heute noch leben, müssten sie mit einer Anklage rechnen. Denn der Fall Demjanjuk im Jahr 2011 hat die Rechtsprechung zu NS-Tätern auf den Kopf gestellt. Das Landgericht München II verurteilte den damals 91-Jährigen zu fünf Jahren Haft. John Demjanjuk wurde zwischen 1942 und 1945 als ukrainischer Hilfswilliger in mehreren Konzentrationslagern eingesetzt. Eine konkrete Tat konnte ihm nicht zugeschrieben werden – und doch wurde er wegen Beihilfe zum Mord an 28.060 Menschen verurteilt.

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Viele Täter wollen von den Vergasungen nichts gewusst haben

„Mit diesem Urteil trat ein Paradigmenwechsel in der Rechtsprechung ein“, betont Sybille Steinbacher, Leiterin des Fritz-Bauer-Instituts. Bis dato galt als hauptschuldig am Holocaust die erste Garde des NS-Reichs: Hitler, Heydrich, Himmler. „SS-Wachpersonal konnte nur zur Rechenschaft gezogen werden, wenn ein Einzeltatnachweis zur Last gelegt werden konnte.“ Diese Gehilfenrechtsprechung habe Fritz Bauer, Chefankläger der Auschwitz-Prozesse, schon in den 60er-Jahren scharf kritisiert, sagt Steinbacher. Seit dem Demjanjuk-Prozess wurde KZ-Personal in Lüneburg, Detmold, Stuttgart, Neubrandenburg, Hanau und Kiel angeklagt.

Nur wenige Täter räumen in diesen Prozessen ein, auch nur etwas von den Vergasungen der Menschen gewusst zu haben. Bei vielen der Dortmunder Täter ist das nicht anders. Wir stellen ihre Biografien vor, soweit diese bekannt sind.

Otto Milde hat mindestens einen Häftling erschossen. Ein Foto des Dortmunders ist nicht bekannt. Er starb noch vor Kriegsende.
Otto Milde hat mindestens einen Häftling erschossen. Ein Foto des Dortmunders ist nicht bekannt. Er starb noch vor Kriegsende. © Fritz-Bauer-Institut

SS-Sturmmann Otto Milde, 1924 in Dortmund geboren, ist gerade 18 Jahre alt, als er zum Mörder wird. Das geht aus den Breslauer Dokumenten hervor, die im Frankfurter Auschwitz-Prozess eine bedeutende Rolle spielten, um KZ-Angehörigen Taten nachzuweisen. Die im Mai 1945 aus den Trümmern des Breslauer SS- und Polizeigerichts geborgene Liste dokumentiert, wie regelmäßig in Auschwitz angeblich „Erschießungen von Häftlingen auf der Flucht“ vorgekommen waren.

Unterzeichnet hatte sie der langjährige KZ-Kommandant Rudolf Höß persönlich und mit bürokratischer Routine in Breslau die Einstellung der Ermittlungsverfahren beantragt. Laut der Breslauer Liste erschießt der damals gerade 18-jährige Otto Milde am 18. August 1942 einen Häftling. Der junge Dortmunder, zeitweise Mitglied der SS-Hundestaffel im KZ Auschwitz, fällt in den letzten Kriegstagen im tschechischen Pilsen.

Hausmeister und Bergmann: Mit Wilhelm Bressem gehört ein Dortmunder NSDAP-Mitglied der ersten Stunden zum Auschwitz-Wachpersonal.
Hausmeister und Bergmann: Mit Wilhelm Bressem gehört ein Dortmunder NSDAP-Mitglied der ersten Stunden zum Auschwitz-Wachpersonal. © Gedenkstätte Auschwitz/Hasken

Wilhelm Bressem findet seinen Einberufungsbefehl zum Dienst im Konzentrationslager Auschwitz Mitte Februar 1941 im Briefkasten seiner Dortmunder Dienstwohnung, Gneisenaustraße 60. Hier arbeitet er zeitweise als Hausmeister in der Scharnhorst Schule im Hafenviertel. Er wird aufgefordert, sich bis zum 25. Februar in der Kommandantur des Konzentrationslagers zu melden. Die Daten für seine 24-stündige Reise liegen dem Befehl bei. Demnach hat er sich am 24. Februar um 16.09 im Dortmunder Hauptbahnhof einzufinden. Es geht über Berlin-Charlottenburg, Heydebreck und Oderberg nach Auschwitz. Ankunft um 16.04 Uhr. Marschverpflegung inklusive.

Mit Wilhelm Bressem zählt ein lokales NSDAP-Urgestein zum Auschwitz-Personal. Der Bergmann und Schulhausmeister, 1901 in Westerfilde geboren, war schon 1922 erstmals der NSDAP beigetreten. In seinem Lebenslauf vermerkte er stolz seine aktive Teilnahme 1923 am Ruhrkampf, als die Franzosen in die bis dato unbesetzten Teile des Ruhrgebiets einmarschierten. Der dreifache Vater - 1,80 groß, kräftig und dunkelblond – verrichtete seinen Dienst in Auschwitz zwischen Februar 1941 und der Auflösung des KZ im Januar 1945.

Anfangs gehörte Bressem der 4. Totenkopfwachkompanie an, die für die Außensicherung des Stammlagers Auschwitz I zuständig waren. Später arbeitete er in der Technischen Abteilung des KZ. Zuletzt im Rang eines SS-Unterscharführers. In einer Beurteilung wird er als „alter SS-Mann und Nationalsozialist“, „arbeitswilliger und einfügsamer Charakter“ beschrieben. „Seine Leistungen im SS-Wachdienst waren gut“, heißt es in den Dokumenten.

In Auschwitz erhielt Bressem sogar Besuch von seiner Ehefrau. Das geht aus einem Standortbefehl vom 20. November 1943 hervor. Wilhelm Bressem wurde nach dem Krieg in Tschechien zu 18 Monaten Haft verurteilt. Im Mai 1949 starb er bei einem Unglück unter Tage auf der Zeche Westhausen.

Heinrich Beckmann bewachte Häftlinge sowohl im Stammlager Auschwitz I als auch in Auschwitz III Monowitz
Heinrich Beckmann bewachte Häftlinge sowohl im Stammlager Auschwitz I als auch in Auschwitz III Monowitz. © Gedenkstätte Auschwitz/Hasken

Der Anstreicher Heinrich Beckmann wurde 1913 in Dortmund geboren. Er war Angehöriger der Luftwaffe, bevor er im August 1944 freiwillig in die SS eintrat und im Konzentrationslager Auschwitz als Wachmann eingesetzt wurde. Zuerst im Stammlager, später dann in Auschwitz III Monowitz. Hier wurden Häftlinge interniert und unter unmenschlichen Bedingungen gezwungen, für die IG Farben synthetischen Kautschuk herzustellen.

So berichtete der Häftling Max Kaufmann nach dem Krieg über die Wachmannschaft in Auschwitz III: „Der geringste Anlass konnte schon dazu führen, dass ein Häftling getötet wurde. Schon dann, wenn ein Häftling infolge eines Schwächeanfalls das Glied verließ, in dem er marschierte.“ Heinrich Beckmann verließ das KZ Auschwitz am 20. Januar 1945 infolge der Evakuierung.

Der Dortmunder Straßenbahnschaffner Werner Eichler gab zu, im KZ Flossenbürg einen Häftling erschossen zu haben. Später richtete er Wachhunde in Auschwitz ab.
Der Dortmunder Straßenbahnschaffner Werner Eichler gab zu, im KZ Flossenbürg einen Häftling erschossen zu haben. Später richtete er Wachhunde in Auschwitz ab. © Verena Hasken

Werner Eichler, 1922 in Dortmund-Eving geboren, musste sich 1953 vor dem Landgericht Weiden in der Oberpfalz verantworten. Ihm wurde vorgeworfen, 1942 im KZ Flossenbürg einen Häftling aus niederen Beweggründen erschossen zu haben. Infolge einer Auseinandersetzung hatte Eichler dem Mann, der zur Zwangsarbeit in einem Steinbruch eingesetzt war, mit der Dienstpistole in die Brust geschossen. Der Dortmunder Straßenbahnschaffner gab zwar zu, auf den 38-jährigen Häftling geschossen und ihn so tödlich verletzt zu haben.

Eichler, der von seinem Vorgesetzten für diese Tat erwiesenermaßen belobigt wurde und zehn Tage Sonderurlaub erhielt, wurde später vom Landgericht dennoch freigesprochen. Mord konnte dem zweifachen Familienvater nicht nachgewiesen werden. Vielmehr habe er in Notwehr gehandelt, urteilte das Gericht. Im KZ Flossenbürg wurde der spätere Unterscharführer auch zum Hundeführer ausgebildet. Mit dieser Qualifikation verrichtete Eichler im Jahr 1944 auch für neun Wochen Dienst im Konzentrationslager Auschwitz. In dieser Zeit leitete er die Hundestaffel und richtete Schäferhunde ab. Wie groß die Angst der Häftlinge vor den Hunden war, beschrieb Eliezer Eisenschmidt, der zum Sonderkommando gehörte und somit gezwungen wurde, die Vergasungen und Verbrennungen der Menschen vorzunehmen: „Die Hunde schreckten uns mehr als die SS-Männer. Sie bissen nicht einfach zu, diese Hunde waren darauf abgerichtet, Menschen zu zerfleischen. Die hätten einem das Fleisch wirklich stückweise ausgerissen.“

Die von Eichler geleitete Hundestaffel war auf dem Gelände des Vernichtungslagers Birkenau untergebracht. „Zur Bewachung von Häftlingen war ich in dieser gesamten Zeit nicht eingesetzt“, behauptete Werner Eichler in einer späteren Vernehmung. Und: „Ich selbst habe von Vergasungen im Lager nur gehört. Ankommende Transporte oder Selektionen habe ich selbst nie gesehen.“ Bei der Aufklärung von Straftaten konnte oder wollte Eichler bei seiner Vernehmung nicht helfen. Auf vorgelegten Fotos erkannte er angeblich niemanden. Namen bestätigte er nur aus seinem direkten Umfeld.

Ganz nah dran, aber vom Massenmord will er nur vom Hörensagen erfahren haben: Adolf Newidunski.
Ganz nah dran, aber vom Massenmord will er nur vom Hörensagen erfahren haben: Adolf Newidunski. © Gedenkstätte Auschwitz/Hasken

Adolf Newidunski gehört unter den Dortmunder Tätern zu den dienstältesten SS-Männern im KZ Auschwitz. Schon am 12. November 1941 begann er hier seine Ausbildung zum Wachmann. Zu diesem Zeitpunkt hatte die industrielle Vernichtung noch nicht begonnen. Er verrichtete seinen Dienst bis zur Auflösung des Lagers im Januar 1945 und wurde in dieser Zeit in mehreren Bereichen des Konzentrationslagers eingesetzt.

Newidunski bewachte Häftlinge in Auschwitz III Monowitz und Zwangsarbeiter aus Birkenau im Außenkommando „Harmense“. Der Name stammte von einem Dorf in der Nähe, das die SS schon 1941 geräumt und die Einwohner umgesiedelt hatte. Jetzt mussten hier Zwangsarbeiter zur Versorgung des KZ-Komplexes landwirtschaftliche Arbeiten verrichten. Unter anderem wurden hier Geflügelzucht, Fischerei und Kaninchenzucht betrieben. Von den rund 550 Häftlingen, die im März 1944 im Kommando „Harmense“ arbeiten mussten, waren nur rund 100 im Außenlager untergebracht. Die anderen wurden täglich in mobilen Arbeitskommandos aus dem Stammlager oder Auschwitz-Birkenau gebracht.

Newidunski wurde 1915 geboren und lebte nach dem Krieg in Dortmund. Seinen Geburtsort gab er mit Sorgenfeld an. Der SS-Sturmmann will Häftlingszüge nur von weitem gesehen, von den Vernichtungsmaßnahmen nur vom Hörensagen Kenntnis erlangt haben. Nach dem Krieg wurde Adolf Newidunski in Krakau zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. An Namen von Tätern wollte oder konnte er sich in den Vernehmungen nicht erinnern.

Reinhard Ohm, geboren 1920 in Werder-Danzig und SS-Unterscharführer im Kommandanturstab des KZ: verrichtete zwischen August 1940 bis Weihnachten 1942 Dienst in Auschwitz. Ohm versuchte nach eigenen Angaben, zur Front versetzt zu werden, was ihm durch den KZ-Kommandanten verwehrt worden sei. „Höß hat damals sinngemäß geäußert, dass wir unsere Forderungen nach Rückversetzung zur Fronteinheit unterlassen sollten, da wir sonst mit einer Bestrafung zu rechnen hätten. Vermutlich als Abschreckung für uns mussten wir kurz danach außerhalb des Stammlagers antreten und bei einer Exekution zusehen.“

Ohm wurde nach eigenen Angaben in einer Wachkompanie eingesetzt, die auf den Wachtürmen, aber auch auf Streife eingesetzt wurde. Im Kommandanturstab wurde er als Blockwart im Stammlager eingesetzt. Der gelernte Maurer Reinhard Ohm arbeitete nach dem Krieg als Polier in der Bauabteilung der Dortmunder Stiftsbrauerei. Erstmals vernahmen ihn die Ermittlungsbehörden zu seinem Einsatz in Auschwitz im Oktober 1977. Er starb im Juli 2010 zwei Wochen vor seinem 90. Geburtstag in Dortmund.

  • „Von Angehörigen des SD waren damals mehrere polnische Zivilisten gebracht worden, die dann von einem Exekutionskommando, das aus Angehörigen der Wachmannschaft von Auschwitz zusammengesetzt war, erschossen wurden. Ich kann zu diesem Ereignis weder angeben, woher die SD-Leute kamen, wer die erschossenen Zivilisten waren und wer innerhalb des Exekutionskommando mitgewirkt hat.“
    Reinhard Ohm, Zeugenvernehmung LKA Hessen, Aplerbeck, 12. Oktober 1977

Elisabeth Radojewski wurde nach dem Krieg zu lebenslanger Haft verurteilt.
Elisabeth Radojewski wurde nach dem Krieg zu lebenslanger Haft verurteilt. © Privat/BStU/Verena Hasken

Elisabeth Radojewski, geboren 1921 im Kreis Bitterfeld, war zwischen Sommer 1943 und Kriegsende in mehreren Konzentrationslagern eingesetzt und beaufsichtigte Häftlingsfrauen in der Schneiderei und auf dem Kartoffelfeld, arbeitete in der Effektenkammer, in der Verwaltung und kontrollierte in der Poststelle ankommende Pakete für Häftlinge. Allein neun Monate verbrachte sie als SS-Aufseherin im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau.

22 Jahre jung ist Elisabeth Radojewski im Mai 1943. Sie arbeitet in einer Filmfabrik in Wolfen in ihrem Heimatkreis Bitterfeld, als in der Belegschaft KZ-Aufseherinnen rekrutiert werden. „Ihr müsst auf ein paar Häftlinge aufpassen – und könnt dabei gut verdienen“, habe es geheißen. Die junge Frau tritt freiwillig der SS bei, wird daraufhin ab Juni 1943 ins Konzentrationslager Ravensbrück (28.000 Todesopfer), ab Juli 1943 Maidanek-Lublin (78.000 Todesopfer) und ein knappes Jahr später in Auschwitz (1,1 Millionen Todesopfer) in verschiedenen Funktionen eingesetzt.

Am 15. April 1944 kommt Elisabeth Radojewski mit Dutzenden anderen Aufseherinnen im KZ Auschwitz-Birkenau an. Hier bleibt sie bis zur Auflösung des Lagers.

Als sie im Juni 1948 in der Sowjetischen Besatzungszone verhaftet wird, gibt Elisabeth Radojewski in einer Vernehmung selbst zu, Häftlinge geschlagen zu haben. „Ich bekenne (…) voll und ganz, dass ich als Aufseherin in den Lagern Maidanek und Auschwitz wegen Verletzung der Lagerordnung und wegen schlechter Arbeitsleistung Häftlinge geschlagen habe (…) Die Häftlinge, die ich geschlagen habe, waren Russinnen und Jüdinnen, wie viele ich von ihnen je geschlagen habe, weiß ich nicht. Die Schläge (…) gab ich mit der Handfläche in das Gesicht und in jedem Falle 1 bis 2 Schläge.“

Sie wird zu lebenslanger Haft verurteilt, von der sie vor allem im Frauengefängnis Hoheneck im Erzgebirge zehn Jahre absitzen muss. Seit den 60er-Jahren bis zu ihrem Tod 2010 lebt Elisabeth Radojewski mit ihrer Familie in Dortmund.

Josef Minalga soll laut einer Zeugenaussage Hinweise zu einem Mord an einem SS-Mann in Auschwitz besessen haben. Der Fall wurde wohl nie aufgeklärt.
Josef Minalga soll laut einer Zeugenaussage Hinweise zu einem Mord an einem SS-Mann in Auschwitz besessen haben. Der Fall wurde wohl nie aufgeklärt. © Verena Hasken

Josef Minalga, geboren 1912 in Husen, das 1928 nach Dortmund eingemeindet wurde. Er kam am 6. November 1943 nach Auschwitz und verrichtete seinen Dienst im Konzentrationslager bis zum September 1944. In dieser Zeit übernahm der SS-Sturmmann und spätere SS-Rottenführer unterschiedliche Aufgaben. Er gehörte zur Totenkopfwachkompanie im Arbeitslager Auschwitz III Monowitz, zeitweise der Stabskompanie und der Abteilung Landwirtschaft an. Hier fuhr er Trecker. Nach dem Krieg lebte Josef Minalga im thüringischen Badra. Der Staatsanwalt Fritz Vogel versuchte in den 60er-Jahren vergeblich, Minalga für die Auschwitzprozesse zu einem Sachverhalt im Konzentrationslager zu befragen.

Zur Wachmannschaft des KZ Auschwitz gehörten weitere Dortmunder, über die wenig bekannt ist. Auf dem Gruppenfoto ist der Dortmunder Willi Bressem (2.v.r.) zu sehen, umringt von Kameraden. Dass die Wachmannschaft eine Belehrung zum Umgang mit Häftlingen unterzeichnen musste, wirkt heute wie blanker Hohn.
Zur Wachmannschaft des KZ Auschwitz gehörten weitere Dortmunder, über die wenig bekannt ist. Auf dem Gruppenfoto ist der Dortmunder Willi Bressem (2.v.r.) zu sehen, umringt von Kameraden. Dass die Wachmannschaft eine Belehrung zum Umgang mit Häftlingen unterzeichnen musste, wirkt heute wie blanker Hohn. © Verena Hasken

Josef Pellinghausen, geboren im Juli 1912 in Sichtigvor an der Möhne, lebte nach dem Krieg in Dortmund. Mit 29 Jahren kam er am 1. Dezember 1941 in Auschwitz an. Zuletzt war der SS-Unterscharführer in der Kulturabteilung eingesetzt und somit für die Betreuung der Truppe zuständig. Die sogenannte Abteilung IV organisierten unter anderem Schulungsabende und Filmvorführungen, mit denen die Weltanschauung des Lagerpersonals geprägt werden sollte. Am 14. Januar 1943 verließ er Auschwitz.

Sturmbannführer Josef Gillis, am 7. Oktober 1915 in Dortmund geboren, diente ab November 1941 als Wachmann und SS-Schütze im KZ Auschwitz. Am 12. September 1942 starb Gillis im Lazarett Laurahütte. 1967 ermittelte die Staatsanwaltschaft Frankfurt und ging Hinweisen seiner Ehefrau nach, wonach ihr Mann damals nicht wie offiziell behauptet an einer Bauchfellentzündung gestorben sei, sondern im Konzentrationslager erhängt worden sein soll. Als Folge seiner Weigerung, an Judentötungen teilzunehmen. Das wollte sie von Josef Minalga, ein ebenfalls aus Dortmund stammender Kamerad ihres Mannes in Auschwitz, erfahren haben. Die Ermittlungen verliefen allerdings im Sande.

Josef Macho, 26. November 1924 in Glaserhau geboren, lebte nach dem Krieg in Dortmund. Er war als SS-Sturmbannführer in den Auschwitz-Außenlagern Jawischowitz und Golleschau als SS-Schütze eingesetzt.

Paul Vockenroth wurde im Oktober 1891 in Dortmund-Marten geboren. Der Kaufmann hatte bereits im Ersten Weltkrieg gekämpft und es bis zum Vizefeldwebel gebracht. Später trat er in die SS ein. Der spätere SS-Unterscharführer wurde ab Juni 1944 als Wachmann in Auschwitz eingesetzt. Im Herbst 1944 wurde er in das zuletzt eingerichtete Außenlager „Charlottengrube“ versetzt. Etwa 50 Kilometer westlich von Auschwitz. Die Häftlinge mussten hier unter schlechten Bedingungen im oberschlesischen Steinkohlebergbau arbeiten. In der Folge arbeitsunfähig gewordene Häftlinge wurden zur Vergasung nach Auschwitz-Birkenau geschickt. Paul Vockenroth wurde im April 1948 in Wadowice zu 3,5 Jahren Haft verurteilt.

Franz Vaniczek wurde am 21. Juli 1904 in Dortmund geboren und ab September 1944 in Auschwitz eingesetzt. 1948 wurde der SS-Mann in Krakau zu vier Jahren Haft verurteilt.

Für den Berliner Historiker Jens Nagel ist es undenkbar, dass SS-Angehörige, die in Auschwitz waren, von den Verbrechen nichts gewusst haben sollen. Er bewertet solche Aussagen als Verteidigungsstrategie. „Kein SS-Angehöriger, der in den Konzentrationslagern Dienst versehen hat, kann ernsthaft behaupten, von den Gräueltaten und dem Massenmord nichts gewusst zu haben“, sagt Nagel. Allein die Tatsache, dass diese Männer und Frauen kaserniert untergebracht gewesen seien, habe ganz sicher dazu geführt, dass jeder davon wusste, was in dem jeweiligen Konzentrationslager passierte. „Zudem bewegten sich die SS-Angehörigen im Lager, sahen den physischen Niedergang der Häftlinge tagtäglich, die Leichen, rochen den Gestank.“

Schutzbehauptungen der Täter in der Nachkriegszeit

Auch Männer wie Heinrich Beckmann, Wilhelm Bressem und Reinhard Ohm hätten die kontinuierlichen Rauch aus den Krematorien aufsteigen sehen, das weitgehende Verschwinden der Kinder, Alten und vieler Frauen unmittelbar nach ihrer Ankunft. „Die Täter konnten solche Schutzbehauptungen nur so lange aufrechterhalten, weil die bundesdeutsche Nachkriegsgesellschaft den Boden dafür bereitete, sich mit solchen Entschuldigungsstrategien in die Gesellschaft einzugliedern“, sagt Nagel.

„Allein das Nichtabnehmen der Kopfbedeckung reichte als Mord-Grund“

Und: „Hypothetisch kann jeder im Konzentrationslager eingesetzte SS-Mann an Gräueltaten, Mord und Folter teilgenommen haben.“ Ein Konzentrationslager sei für die Häftlinge ein rechtloser Raum gewesen, in dem SS-Wachmannschaften weitreichende Freiräume in Bezug auf die Anwendung von Gewalt gegenüber den Häftlingen eingeräumt wurden. „Letztendlich ging dieser Freiraum so weit, dass ein SS-Mann einen Häftling erschießen, erschlagen konnte, ohne dafür disziplinarisch zur Rechenschaft gezogen zu werden. Allein das Nichtabnehmen der Kopfbedeckung, das Fehlen einer Kopfbedeckung oder das Nichtgrüßen eines SS-Angehörigen reichte als Grund für körperliche Züchtigung bis zum Mord“, sagt Jens Nagel.

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