Künstliche Intelligenz (KI) verändert unsere Arbeitswelt in einem bisher unbekannten Ausmaß. Ob ChatGPT, Assistentin Siri, Autonome Fahrzeuge, Maschinelles Lernen oder Bilderkennung – die Entwicklung von KI ist so schnell wie noch nie zuvor.
Im hochmodernen Produktionskomplex von Wilo in Dortmund fahren schon seit Jahren Roboter durch die Gänge, um Material zu transportieren. Die Smart Factory kennzeichnet ein hoher Automatisierungsgrad. Digitale Steuerung ist dort aber längst nicht mehr alles. Inzwischen unterstützt Künstliche Intelligenz schon 45 der insgesamt 850 Arbeitsplätze.
Zwei, die ihren Job seit Kurzem mithilfe einer „adaptiven Werkerassistenz“ machen, sind Dennis Thiel und Niklas Kau. „Es kommen immer mehr Pumpenvarianten, jeden Monat gibt es bei uns 40 neue Artikelnummern. Mit der Assistenz, die uns am Arbeitsplatz führt, sehen wir sofort, was an einer Pumpe das Neue ist“, sagt Dennis Thiel. „Früher“, so Niklas Kau, „mussten wir für die korrekte Montage erst in Unterlagen gucken. Manchmal brauchte es sogar Schulungen. Das geht jetzt alles einfacher.“
Wilo verringert Anlernzeit
Dauerte die Anlernzeit von neuen Kolleginnen oder Kollegen früher sechs Wochen, so hat sich diese nun auf zwei Tage reduziert. Denn: das von Künstlicher Intelligenz gesteuerte System unterstützt die Arbeit je nach Wissensstand.

Man muss sich das vorstellen wie eine Levelstruktur beim Gaming am PC. Ein Anfänger muss jeden Arbeitsschritt quittieren. Bei der Montage der Trockenläuferpumpen sind das sieben bis zehn Arbeitsschritte. Als erfahrene Mitarbeiter werden Dennis Thiel und Niklas Kau allerdings als Experten eingestuft. Bei ihnen werden die Routineschritte ausgeblendet. Passiert ihnen jedoch ein Fehler, wird das in einem Display angezeigt, die beispielsweise rot aufleuchtende Schraube muss dann noch einmal gelöst werden - und der Fehler bedeutet eine Rückstufung. Sie bekommen dann wieder mehr Arbeitsschritte „vorgesagt“, die sie auch quittieren müssen. Genauso ist es auch nach einem Urlaub.
Während für Wilo durch den Einsatz von KI der Ausschuss fehlerhafter Pumpen nach der Qualitätskontrolle deutlich geringer ist, ist für die Beschäftigten die Arbeit ein gutes Stück angenehmer geworden. „Die Unterstützung durch KI gibt uns Sicherheit und nimmt viel Stress. Früher hat man nicht gerne den Arbeitsplatz gewechselt, weil man sich dann ja erst wieder neu einfinden musste. Das ist komplett weg. Wir rotieren jetzt wöchentlich und so ist der Job abwechslungsreicher und nicht so monoton“, sagt Niklas Kau. Und Dennis Thiel ergänzt: „Die Berufserfahrung gehört immer noch dazu. Künstliche Intelligenz wird uns nicht ersetzen, sie erleichtert den Job.“
2035 kein Arbeitsplatz ohne KI
Was bei Wilo schon zum Alltag gehört, wird bald überall in Dortmund die Arbeitswelt verändern. Für das Jahr 2035 wird erwartet, dass es keinen Arbeitsplatz mehr ohne Künstliche Intelligenz geben wird. Die Bundesagentur für Arbeit hat bereits ermittelt, welche wesentlichen Tätigkeiten in vielen gängigen Berufen heute schon durch Maschinen ausgeführt werden können. Beim Kaufmann, der Kauffrau für Büromanagement sind es 6 von 8 Tätigkeiten:
- Buchführung, Buchhaltung
- Terminplanung, -überwachung
- Korrespondenz
- Büroorganisation
- Postbearbeitung
- Büro- und Verwaltungsarbeiten
Es bleiben zwei Tätigkeiten, die aus Sicht der Arbeitsagentur nicht oder noch nicht von Computern oder Computer-gesteuerten Maschinen erledigt werden können:
- Personalwesen
- Büromanagement

In den vielen Büros der Dienstleistungsstadt Dortmund wird sich KI also auswirken. Eine Statistik der Agentur für Arbeit von Juni 2023 geht davon aus, dass in den kaufmännischen Berufen 19.555 Fachkräfte in Dortmund „von Substituierbarkeit betroffen sein könnten“. Über 200.000 Dortmunder arbeiten insgesamt im Dienstleistungsbereich (82,5 Prozent), etwa in der Öffentlichen Verwaltung, der IT-Branche, der Versicherungsbranche, im Gesundheitswesen, im Handel oder in der Gastronomie. „Die Arbeit wird sich zukünftig verändern, der Beruf aber nicht zwangsläufig verschwinden“, sagt Heike Bettermann, die Chefin der Arbeitsagentur in Dortmund. Sie weist auch darauf hin, dass wann und ob überhaupt eine Tätigkeit in Zukunft durch KI ersetzt wird, nicht prognostizierbar sei.
Das größte Substituierbarkeitspotenzial hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) für Fertigungsberufe ermittelt. Geht es beispielsweise darum, aus hergestelltem Material ein Auto oder eine Maschine zu bauen, sollen Computer 67,2 Prozent der Tätigkeiten übernehmen können. Ganz anders ist das bei Berufen in der Körperpflege. Sie sind so gut wie gar nicht durch Maschinen oder Computer zu ersetzen.
Hochqualifizierte Beschäftigte
Da in Dortmund nur 17,4 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten im produzierenden Gewerbe tätig sind, sind auch entsprechend weniger Fertigungsberufe vom KI-Einsatz betroffen. Die Arbeitsagentur weist hier 5621 beschäftigte Fachkräfte aus. In Gesundheitsberufen sind es 20.300 und im Handel 18.023.
Auch in Berufen, für die ein Hochschulabschluss notwendig ist, ist laut der IAB-Studie das relative Automatisierungspotenzial durch Künstliche Intelligenz am höchsten. „Berufe, die keine oder eine formale berufliche Ausbildung voraussetzen, erfordern derzeit in der Regel keinen Umgang mit großen Datenmengen, der durch den Einsatz von KI erleichtert werden kann“, erklärt IAB-Forscherin Verena Malfertheiner. „Softwarebasierte Systeme hingegen können repetitive, weniger qualifizierte Tätigkeiten übernehmen oder zumindest unterstützen“.

Wie überraschend groß das Einsatzgebiet von KI zum Beispiel in der Gastronomie ist, in der in Dortmund laut Arbeitsagentur 4212 Helfer und 4329 Fachkräfte betroffen sein können, war jüngst beim Tag des Gastgewerbes der Industrie- und Handelskammer zu Dortmund zu erfahren. „Die Gastro-Branche wird sich massiv verändern, weil KI die Möglichkeit dazu gibt“, sagte dort der Wirtschaftsingenieur Christoph Digwa. Was er damit meinte, veranschaulichte Dieter van Acken am Beispiel seiner Gastronomiekonzepte in Ahaus. „Wir binden die Menschen nicht in KI ein, wir haben die gar nicht“, sagte er. Am Tisch starte der Gast seine Bestellung über einen QR-Code - ohne Kellner. Ins Hotel checke er selbst ein - nur mit dem Smartphone. Mit KI habe das allerdings gar nichts zu tun. Die komme erst mit der Auswertung der Daten ins Spiel, die man durch die Digitalisierung von jedem Kunden habe: „Die KI sagt mir, wer Stammgast ist, wann am meisten los ist. Mit den Daten kann ich individuelle Speisekarten machen, dynamische Preise erstellen, Direktmarketing machen und vieles mehr.“
KI ist kein Zukunftsthema
Für Dominik Stute, Referatsleiter bei der Industrie- und Handelskammer zu Dortmund (IHK), ist KI kein Zukunftsthema mehr, sondern ein Gegenwartsthema. „Mit ChatGPT, einem KI-Modell, das natürliche Sprache verstehen und generieren kann, um Informationen bereitzustellen, ist es in der Gesellschaft angekommen und die Sprünge werden seitdem immer schneller. Die Nutzung von Künstlicher Intelligenz ist ein Thema, mit dem sich jedes Unternehmen in Dortmund auseinandersetzen muss“, sagt er. Bei einer IHK-Umfrage haben im September 2023 24,3 Prozent der Unternehmen im Kammerbezirk angegeben, ChatGPT zu nutzen. Inzwischen dürften es deutlich mehr sein. Die monatlichen KI-Sprechstunden sowie Info-Veranstaltungen und Workshops der IHK werden jedenfalls immer stärker in Anspruch genommen.
Zwar bieten die neuen Technologien viele Vorteile, weil sie Arbeit besser, sicherer und attraktiver machen können. Aber sie lösen auch Angst und Unsicherheit aus. Information, Weiterbildung und klare Regeln für Beschäftigte sind deshalb wichtig. Lara Willberg, Fachberaterin für Digitalisierung bei der IHK, sagt: „Über den Nutzen von KI müssen wir nicht mehr reden. Sie darf aber die Wirtschaft nicht entmenschlichen. Bei vielen Mitarbeitenden sorgt sie durchaus für Angst. Da muss von Führungskräften gegengesteuert werden.“
Bei der Signal Iduna Versicherungsgruppe am Westfalenpark wurde eine Vereinbarung mit der Arbeitnehmervertretung getroffen, die darauf basiert, gemeinsam Erfahrungen im Umgang mit KI zu sammeln. Für den Signal-Iduna-Chef Ulrich Leitermann ist der Einsatz von KI zwingend, um dem Arbeitskräftemangel der Zukunft zu begegnen. „Sie wird keine Arbeitsplätze kosten, sondern helfen und unterstützen. Wer sucht schon gerne nach Daten und Informationen?“, sagt er.
Als Digital- und Nachhaltigkeitschoach beim Hotel- und Gaststättenverband Dehoga NRW sagte Robert Krause beim IHK-Gastgewerbetag: „Eine KI-basierte Bestelloptimierung kann helfen, dass weniger Lebensmittel weggeschmissen werden. Und sie kann auch bei einem besseren Serviceangebot helfen. Es geht darum, Mitarbeitende zu entlasten - und nicht zu entlassen.“

Was sagen KI-Experten dazu? Daniel Abbou ist Geschäftsführer des KI Bundesverbandes. Er hat erst kürzlich in der „Personaldebatte“, einer Veranstaltung des Dortmunder Personaldienstleisters PEAG Holding GmbH mit Sitz am Phoenix-See dazu gesagt: „Ich glaube, das Potenzial von KI-Anwendungen für den Arbeitsmarkt wird oft noch unterschätzt.“ Es gehe um mehr als Effizienzsteigerungen. Health Tracking, Sprachassistenten oder ChatGPT seien nur einige Beispiele für das Potenzial der KI für den Arbeitsmarkt. Sorgen mache ihm die Digitalskepsis in Deutschland. Diese führe dazu, dass mehr über die Gefahren der KI-Entwicklungen gesprochen wird als über die Chancen. „Ich halte daher eine umfangreiche Informationskampagne für ebenso wichtig wie Investitionen in flächendeckende Aus- und Weiterbildung“, fordert Daniel Abbou.
Bessere Arbeitsqualität
Christoph Schmitz, Mitglied im Bundesvorstand der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, bekräftigte in einer von der PEAG veranstalteten Debatte mit Daniel Abbou die Absicht der Gewerkschaften, mit den Arbeitnehmenden den Einsatz von KI so zu gestalten, dass es auch in Zukunft gute Arbeit für alle gibt. „Die Einführung von KI kann die Arbeitsqualität verbessern, wenn die Kriterien von guter Arbeit schon vor der Implementierung berücksichtigt werden“, so Christoph Schmitz. Neben Beschäftigungssicherung und besseren Qualifikationsmöglichkeiten gehe es darum, KI-Systeme so zu gestalten, dass die Handlungs- und Gestaltungsspielräume der Erwerbstätigen erweitert werden. „Nur wenn die Technik den Menschen nicht steuert, sondern ihn in seiner Arbeit unterstützt, kann KI zu einem Erfolgsmodell für Beschäftigte und Unternehmen werden“, sagte er.

Wie diese Unterstützung aussehen kann, ist, wie eingangs beschrieben, an einigen Arbeitsplätzen bei Wilo in Hörde bereits zu sehen. Und sie wird sich, davon ist Sabine Loos, die Hauptgeschäftsführerin der Westfalenhallen GmbH, überzeugt, unter anderem auch in der Logistikbranche zeigen. Diese Branche zählt in Dortmund rund 25.000 Beschäftigte und 760 Unternehmen. 17.937 Fachkräfte und 11.870 Helfer werden laut Arbeitsagentur wohl in ihren Jobs KI zu spüren bekommen.
Weil KI-gesteuerte Automatisierung und Robotik in Lagerhäusern, Verteilzentren und bei der Kommissionierung ein enormes Potenzial bieten, werde, so Sabine Loos, gerade der KI-Einsatz in Industrie und Logistik einen Schwerpunkt der neuen und großen Messe „IN2AI“ bilden, die am 4. und 5. September in der Westfalenhalle stattfindet. „Wir tragen mit diesem neuen Messeformat“, so die Westfalenhallen-Chefin, „der gestiegenen Bedeutung des Themas KI Rechnung. Laut einer IW-Studie könnte der Wirtschaftsstandort Deutschland durch den KI-Einsatz um bis zu 330 Milliarden Euro wachsen.“
Dass das Thema dafür noch jede Menge Aufmerksamkeit braucht, macht Andreas Schmincke, Geschäftsführer der PEAG Holding GmbH, klar. Wie er sagt, nutzen gerade mal zehn Prozent der kleinen und mittelständischen Unternehmen KI. Dabei sei die breite Anwendung entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und die Bekämpfung des Fachkräftemangels.