Die Fliegenden Bilder des U-Turms sind müde

Die Fliegenden Bilder des U-Turms sind müde

rnVideokunst am Dortmunder U muss erneuert werden

Adolf Winkelmanns Videos auf dem U-Turm-Dach sind längst zu einem Symbol für die Stadt geworden. Doch für den Langzeitbetrieb waren sie nie ausgelegt. Zwei Menschen arbeiten gegen das unvermeidliche Ende an, bis eine komplette Erneuerung möglich ist – und die wird teuer.

Dortmund

, 18.03.2018, 05:00 Uhr / Lesedauer: 4 min

Wären die Fliegenden Bilder ein Mensch, wären sie ein Greis, dem man ins Ohr schreien muss, damit er überhaupt noch etwas hört. Dem jeden Tag ein paar Zähne ausfallen, der ständig Infusionen und Transplantationen benötigt und den man keine fünf Minuten allein lassen kann ohne Gefahr zu laufen, dass er hops geht. Kurz: Es ist kompliziert mit ihm. Oder, wie sein Schöpfer, der Filmemacher Adolf Winkelmann, es ausdrückt: „Es ist zurzeit ein ständiger, ein harter Kampf.“

Um zu erklären, was mit diesem alten Mann los ist, muss man ein bisschen ausholen. Seine Geburtsstunde war im Mai 2010, im Jahr der Kulturhauptstadt, zur Eröffnung des umgebauten U-Turms. Adolf Winkelmann hatte die geniale Idee gehabt, in den rechteckigen Aussparungen der Dachkrone des U-Turms Videos zu zeigen.

Das Dreierpaket der "Fliegenden Bilder"

Außerdem ersann er zwei weitere Videoinstallationen für das Foyer und den großen vertikalen Rolltreppenschacht im Innern des U (von denen zurzeit nur Letztere zu sehen ist). Alles zusammen nannte er die „Fliegenden Bilder“ – streng genommen heißt die Installation in der Dachkrone nämlich „Bilderuhr“, aber inzwischen hat sich der Name „Fliegende Bilder“ allein für die Dachinstallation eingebürgert. 

Der Filmemacher Adolf Winkelmann.

Der Filmemacher Adolf Winkelmann. © Archiv

Diese Fliegenden Bilder bestehen aus 6000 waagerecht montierten Lamellen in den fensterförmigen Aussparungen der Dachkrone. Jede Lamelle ist ein paar Meter lang und trägt rund 200 streichholzkopfgroße LED-Lämpchen in Grüppchen zu je fünf: Rot, Grün, Blau, Grün, Rot. Mit diesen drei Farben lassen sich je nach Kombination, wie bei einem Fernseher, alle Farben abbilden. Obwohl die Lamellen jeweils mehrere Zentimeter auseinander liegen, ergeben sie aus der Ferne ein zusammenhängendes Bild.

Weltweit einzigartige Konstruktion

Die Installation und ihr technischer Aufbau sind weltweit einzigartig und nur fürs U entwickelt und gebaut worden, wie ein Nervensystem verästelt von der Schaltzentrale auf der ersten Etage des Turms zu den Verteilerkästen am unteren Rand der Dachkrone, von dort zu den Konvertern unter den einzelnen Fenstern, die wiederum jeweils 24 Lamellen ansteuern.

Zwar können die einzelnen LED-Leuchten nicht gedimmt werden, aber sie können flackern, je langsamer, desto weniger hell wirkt das Licht. Auf diese Weise passen sich die Videobilder an das Tages- und Nachtlicht an: von 9 Prozent Leuchtleistung bei Nacht bis zu 90 bis 100 Prozent bei vollem Sonnenlicht. „Damals“, sagt Winkelmann heute, „war das Technik nach allen Regeln der Kunst.“ Damals, als der alte Mann noch jung war.

Die Stadtverwaltung kaufte das Dreierpaket. Für wie viel, verrät sie nicht (Stadtdirektor Jörg Stüdemann: „Vertragsgeheimnis“). Laut Winkelmann waren es für die Installation auf dem Dach allein rund 3 Millionen Euro. Der Vertrag mit der Stadt umfasste nur den Betrieb während des Kulturhauptstadtjahres 2010.

Schon Ende 2010 war die Installation vermutlich das mit Abstand beliebteste Kunstwerk in Dortmund. Keiner der Beteiligten wollte sie abschalten. Die Stadt habe ihre IT-Spezialisten geschickt, erinnert sich Winkelmann, um den Betrieb zu übernehmen. Aber die seien gescheitert. Und zwar nicht, weil die städtischen Informatiker doof sind. Sondern weil die Fliegenden Bilder wirklich sehr kompliziert sind.

Der Deal mit der Stadt

Winkelmann entschied, mit seiner Firma einzuspringen. Die Stadt bezahlt dafür den Strom, 70.000 bis 80.000 Euro im Jahr, und die Reparaturen. Betrieb, Wartung und Pflege übernimmt „Winkelmann Film“ – seit etwa drei Jahren macht das Mitarbeiter Gerrit Hecht in Vollzeit.

Techniker Gerrit Hecht tauscht hier auf der Innenseite eines der Fliegenden-Bilder-Fenster auf dem Dach des U-Turms eine kaputte Leuchtlamelle gegen eine reparierte aus.

Techniker Gerrit Hecht tauscht hier auf der Innenseite eines der Fliegenden-Bilder-Fenster auf dem Dach des U-Turms eine kaputte Leuchtlamelle gegen eine reparierte aus. © Tilman Abegg

Gerrit Hecht hat Informatik und Physik studiert und auch technisch einiges auf dem Kasten. Er steuert die Fliegenden Bilder von der Winkelmann-Schaltzentrale auf der ersten Etage des U aus, kümmert sich um die Programmierung der anspruchsvollen Steuerungssoftware, wartet die Server und klettert zu den Schaltkästen und Lamellen auf dem Dach des U, um defekte Teile auszutauschen – in den vergangenen Monaten mehrmals pro Woche, Tendenz steigend.

Hecht ist Arzt, Chirurg und Krankenpfleger in einer Person, für einen einzigen Patienten, der eigentlich gar nicht mehr leben dürfte.

„Ein Wunder“ sei das, sagt Winkelmann. Acht Jahre, mehr als 50.000 Betriebsstunden, dass das überhaupt so lange läuft, „hätte vorher niemand gedacht“. Bei den Temperaturen in 70 Meter Höhe, minus 20 Grad im Winter, plus 50 Grad im Sommer. Mit einer Technik, die vor acht Jahren supermodern war, aber aus heutiger Sicht ein Relikt aus der Steinzeit ist.

Schwarze Streifen in den Bildern

Inzwischen gehen die Lamellen schneller kaputt, als Hecht sie austauschen kann – die kaputten Stellen sind von außen als schwarze Streifen in den Bildern zu erkennen.

Ersatzteile gibt es nicht, denn die Firma, die das alles gebaut hat, gibt es nicht mehr. Hecht muss jede defekte Lamelle zu einer Firma in Süddeutschland zur Reparatur schicken – das sind die Reparaturkosten, die die Stadt bezahlt.

Bis Pink Floyd soll alles leuchten

Bis zum Beginn der großen Pink-Floyd-Ausstellung im Herbst sollen die Fliegenden Bilder möglichst vollständig leuchten – was fast aussichtslos erscheint. Bis dahin rechnet die Stadt laut Sprecherin Katrin Pinetzki mit Reparaturkosten von einigen Zehntausend Euro.

Adolf Winkelmann (vorn) und Techniker Gerrit Hecht in der Steuerzentrale der Fliegenden Bilder auf der ersten Etage des U-Turms.

Adolf Winkelmann (vorn) und Techniker Gerrit Hecht in der Steuerzentrale der Fliegenden Bilder auf der ersten Etage des U-Turms. © Tilman Abegg

Nach der Ausstellung, da sind sich Winkelmann und die Stadtverwaltung einig, soll die Technik komplett erneuert werden. Wenn bis dahin eine Firma gefunden ist, die das kann. Dafür, sagt Stadtsprecherin Pinetzki, werden voraussichtlich mehrere Hunderttausend Euro fällig.

Niemand will die Bilder abschalten

Aber aufgeben will den alten Mann niemand. Er sei, sagt Stüdemann, neben dem BVB-Stadion das meistabgebildete Symbol für Dortmund, in Zeitschriften und Magazinen, in Sozialen Netzwerken ebenso wie in Schulprojekten. Er sei „ein Symbol für die Transformation der Stadt“.

Pendler, die abends am Bahnhof ankommen, sehen die Fliegenden Bilder und denken: „Ah, zuhause.“

Durchsichtige Unterwäsche

Adolf Winkelmann begleitet der U-Turm schon seit seiner Kindheit. Aus seinem Kinderzimmerfenster an der Rheinischen Straße, sagt er, habe er damals schon auf ihn geschaut – aus demselben Fenster übrigens, aus dem der Dortmunder Fotograf Simon Bierwald seit einigen Jahren jeden Tag das U und die Fliegenden Bilder fotografiert und die Fotos auf Instagram unter „the_daily_u“ postet.

„Manchmal“, sagt Winkelmann, „scheint die Sonne von hinten durch die Fliegenden Bilder durch, dass man sie gar nicht erkennen kann. Dann sieht man durch sie den Himmel, als wenn der Turm durchsichtige Unterwäsche anhätte.“

Zu sehen sind sie jeden Tag von 6 bis 24 Uhr in den Fenstern an der zweistöckigen Krone direkt unterm U. Es gibt mehr als 100 verschiedene Filme, die täglich wechseln. Zur vollen Stunde zeigen die unteren Bilder drei Minuten lang Tauben – werktags Brieftauben, am Wochenende weiße Tauben. Während der Abenddämmerung „erinnert sich der Turm an die vergangenen zwei Tage“, sagt Winkelmann: Dann zeigt der Turm die Clips von gestern und vorgestern. Der Grund: Zu dieser Tageszeit zeigen die meisten Dortmunder ihren auswärtigen Gästen den Turm. Die können dann drei Filme auf einmal sehen.
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