Robert Habeck weiß erst einmal nicht, wohin. Als er im Saal ankommt, nimmt er nicht den Weg schnurgeradeaus zu seinem Platz ganz vorne.
Zur Überraschung der Fotografen biegt er links ab, schlängelt sich ganz hinten an den Tischen und Stehtischen vorbei, lächelt dabei sein typisches Habeck-Lächeln, während hinter ihm die Personenschützer im Raum umherschauen, ob nicht vielleicht irgendwo Gefahr drohen könnte.
„Leute rennen uns die Bude ein“
300 Menschen sind im großen Saal des Westfälischen Industrieklubs – und ebenso vielen habe man leider absagen müssen, sagt Marcel Paul Kirschniok, einer der beiden Sprecher der Grünen in Dortmund.
Das passt zu dem, was der Vizekanzler und Grünen-Kanzlerkandidat kurz darauf von der Bühne aus sagt: „Es gibt eine Neugier, die Leute rennen uns die Bude ein.“ Es gebe nicht nur viele Neueintritte in die Partei, sondern auch ein immenses Interesse an den Veranstaltungen.
Croutons, Cracker und Kräuter
Vor ein paar Jahren noch wären selbst zu abendlichen Veranstaltungen nur 100 Menschen gekommen, und die Hälfte hätte man parteiintern zwangsverpflichten müssen, sagt Habeck und schmunzelt.
Jetzt aber seien so viele Menschen hier „zu einer politisch maximal unglücklichen Zeit“: an einem Montagmittag Anfang Februar. Eine „Politische Mittagspause“ haben die Grünen versprochen – mit veganem Gemüseeintopf, vegetarischer Kürbis-Apfel-Karottensuppe, mit Croutons, Crackern und Kräutern – und politischem Allerlei, direkt vom Star der Partei.

„Bin halt im Wahlkampf-Modus“
Habeck redet und redet und redet. „Viel zu lang“, das wisse er selbst, wird er am Ende der Veranstaltung sagen und wieder schmunzeln. „Ich bin halt im Wahlkampf-Modus.“ Aber er nutzt verhältnismäßig wenige Polit-Floskeln, sondern erklärt engagiert, warum diese Bundestagswahl aus seiner Sicht eine Richtungswahl ist.
„Es steht wirklich etwas auf dem Spiel – materiell, aber auch politisch-kulturell.“ Es gehe um die Frage, „wer wir sein wollen“. Eine Rückkehr zu Kohle und Gas, ein Abschied von Klimazielen? Nicht mit ihm! „Natürlich bedeutet Veränderung Zumutung.“ Aber wer den Menschen weismachen wolle, alles könne so weiterlaufen wie bisher, der lüge und verschweige Probleme.
„Nächstes Google aus Deutschland“
Dann China, Russland, Donald Trump mit seinem „libertären Umfeld“. Europa werde angegriffen – von außen, aber auch von innen – und müsse vereint mit einer Stimme sprechen, nur so finde man überhaupt Gehör. „Wir müssen Europa weiterbauen.“ Das gelte auch für Wirtschaftsfragen.
Warum gebe es Google, Facebook, X aus den USA, TikTok aus China, aber keine Plattform, die aus Europa stamme. „Das nächste Google muss aus Deutschland kommen“, wünscht sich Habeck.

Wirtschaftsfaktor Weltoffenheit
„Lieber Herr Habeck, ich habe 20 Nationalitäten im Betrieb. Ich suche mittlerweile aktiv nach Standorten im Ausland.“ So zitierte der Bundeswirtschaftsminister einen Geschäftsführer, der sich aus Sorge vor einem Erstarken des Rechtspopulismus an ihn gewandt habe – und diese Argumentation höre er mittlerweile häufiger.
Wenn CDU, FDP und AfD beim Thema Migration gemeinsam abstimmen – so wie vergangene Woche im Bundestag – dann mache das vielen Menschen Angst. Denejenigen eben, „die nicht Meier, Müller oder Habeck heißen“. Im Kampf um die Fachkräfte sei es wichtig, dass Deutschland weltoffen sei.
„Müssen miteinander reden“
„Die AfD ist der Sargnagel für die deutsche Wirtschaft“, und selbst durch die gemeinsame Abstimmung von CDU und AfD sei „der Schaden für den Standort Deutschland bereits da“.
So sehr er aber auch von der CDU enttäuscht sei, so hart ihn der „Wortbruch“ von Friedrich Merz treffe – angesprochen auf mögliche Koalitionsverhandlungen mit der Union nach der Wahl, sagt Habeck: „Wir müssen prinzipiell miteinander reden können, sonst haben wir österreichische Verhältnisse.“
Bei den Zuhörern im Raum, die laut der Grünen zu zwei Dritteln keine Parteimitglieder gewesen seien, kam das gut an – und das merkte man nicht nur am Applaus. Für den Rückweg von der Bühne brauchte Habeck deutlich länger, weil etliche Menschen noch ein Selfie mit ihm machen wollten. Und weil er sich dafür die Zeit nahm.