„Ich glaube schon, dass es Menschen gibt, die sehr, sehr böse sind“ JVA-Leiter Ralf Bothge geht in den Ruhestand

„Ich glaube schon, dass es Menschen gibt, die sehr, sehr böse sind“
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Sechseinhalb Jahre lang hat Ralf Bothge die Dortmunder Justizvollzugsanstalt an der Lübecker Straße geleitet - hat die Coronavirus-Pandemie und eine Gefängnis-Evakuierung mitgemacht. Nun geht Ralf Bothge in den Ruhestand. In unserem Dortmund-Podcast „Unterm U“ hat er mit Bastian Pietsch über die Arbeit im Gefängnis gesprochen.

Bastian Pietsch: Wie lange haben Sie so insgesamt gesessen?

Ralf Bothge: Zweimal lebenslänglich sozusagen, also etwas über 30 Jahre.

Und wie viele Gefangene haben Sie in Ihrer Zeit hier in Dortmund gesehen?

Das kann man schlecht sagen, die Fluktuation in der JVA Dortmund ist enorm hoch. Wir haben sehr viele Untersuchungsgefangene, die teilweise nur sehr kurz da sind.

War denn jemand dabei, der Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?

Ja, es gibt immer wieder besondere Fälle. Es sind auch manchmal sehr besondere Menschen, die bei uns einsitzen. Sie können sich vorstellen, wer schwerste Straftaten begeht, der hat schon eine bestimmte ausgeprägte Persönlichkeit.

Wegen welcher Straftaten kommen am häufigsten Menschen in Dortmunds ins Gefängnis?

Dortmund ist eine Anstalt für die Untersuchungshaft und für kurze Verurteilung. Man kann ungefähr von etwa drei Jahren ausgehen, die die Menschen maximal bei uns einsitzen. In der Strafhaft reden wir über Diebstähle, über kleinere Körperverletzungen und insbesondere über Betäubungsmitteldelikte.

Gibt es Gefangene, die immer wieder kommen?

Ja. Man versucht es immer aufs Neue, sie auf den legalen Weg zu bringen. Die Unterbringung in einer Haftanstalt ist nicht schön. Speziell in Dortmund: das ist eine sehr alte Anstalt. Die Verhältnisse sind nicht wirklich gut. Und wir versuchen, auch Menschen, die zum dritten, vierten, fünften Mal einsitzen, immer wieder zu motivieren, künftig ein Leben ohne Straftaten zu leben.

Sie haben immer wieder betont, dass Rehabilitation der wichtigste Zweck von Strafvollzug ist. Glauben Sie, das klappt gut?

Also, wenn Sie den Wortlaut des Gesetzes nehmen, ist es sogar der einzige Zweck. Ich glaube, das klappt, ja. Wir leben in einem Haftsystem, wo wir sehr viel in die Arbeit mit den Gefangenen investieren. Und es wäre fatal, wenn ich jetzt nach 30 Jahren zu dem Ergebnis kommen würde, das hat alles nichts gebracht. Das glaube ich auch nicht. Es funktioniert nur nicht bei allen Menschen gleich gut.

Glauben Sie, dass es böse Menschen gibt?

Ja, natürlich.

Das überrascht mich jetzt ein bisschen. Ich habe gedacht, jetzt kommt eine Antwort à la „jeder hat einen guten Kern“.

Das war ja nicht Ihre Frage. Es gibt Menschen, die begehen sehr böse Straftaten. Die sind sehr böse mit ihren Mitmenschen, mit ihren Nachbarn, mit ihren Freunden, mit ihren Ehepartnern. Ich glaube auch, dass jeder dieser Menschen tatsächlich einen guten Kern hat. Aber ich glaube schon, dass es Menschen gibt, die sehr, sehr böse sind.

Sehr kritisch geäußert haben Sie sich zur sogenannten Ersatzfreiheitsstrafe. Da gehen Menschen, die eine Geldstrafe nicht zahlen können, für eine entsprechende Zahl an Tagen ins Gefängnis. Warum halten Sie das für schlecht?

Ich glaube, dass diese Menschen in einer Haftanstalt nichts verloren haben. Diese Menschen haben nie vor einem Richter gestanden, der ihnen gesagt hat „dieses Delikt ist so schlimm, dass du büßen musst dafür, dass du resozialisiert werden musst“. Einen Schwarzfahrer, der 30 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, manchmal auch weniger, absitzt, können wir in dieser Zeit auch nicht resozialisieren. Das Gegenteil ist der Fall. Dieser Mensch verursacht unglaublich hohe Verwaltungskosten. Wir verwenden sehr viel Personal darauf, sein Umfeld darüber zu informieren, dass er in Haft ist. Wir müssen möglicherweise den Wellensittich versorgen, der zu Hause ansonsten verhungern würde. Er hat Anspruch auf medizinische Leistungen in Haft. All das kostet den Steuerzahler sehr viel Geld und die Gegenleistung ist gleich null. Wir können mit diesen Menschen nichts erreichen in Haft.

Gab es mal eine Beschwerde von einem Gefangenen, die an Sie herangetragen worden ist, bei der Sie gesagt haben, „das stimmt, das müssen wir anders machen“?

Es gibt ganz viele Anregungen von Gefangenen, die wir selbstverständlich aufgreifen. Jedenfalls in einem begrenzten Maße haben wir da Einflussmöglichkeiten. Ein ganz einfaches Beispiel: Die Gefangenen empfangen Fernsehen auf ihren Zellen. Da gibt es immer wieder Anträge, dass Programme geändert werden, um Menschen aus Regionen, die nicht deutsch-sprechend sind, ein Fernsehprogramm in ihrer Heimatsprache zu ermöglichen. Ein anderes Beispiel: Es gibt auch Anträge, die die Verpflegung der Gefangenen betreffen. Wir können das nicht immer eins zu eins umsetzen, aber wenn das organisatorisch möglich ist und mit einem gewissen finanziellen Aufwand zu leisten ist, dann machen wir das.

Hatten Sie in den Jahren, in denen Sie in Dortmund JVA-Leiter waren, irgendwann einen Moment, wo Sie sich unwohl gefühlt haben oder wo es vielleicht sogar gefährlich geworden ist?

Nein. Ich glaube, dass man in der Öffentlichkeit meint, dass wir einem extrem gefährlichen Beruf nachgehen. Ich glaube allerdings auch, dass das nicht stimmt. Es ist natürlich so, dass wir es mit Menschen zu tun haben, deren Hürde, Gewaltdelikte zu begehen, mitunter etwas niedriger ist als bei einem „Normalbürger“. Allerdings sind die Verhältnisse in Haft so sicher, dass es extrem selten ist, dass einem in Haft etwas passiert. Es gibt Fälle, wo Gefangene gegen Bedienstete übergriffig werden. Die darf man nicht beiseite schieben. Aber ich persönlich habe diese Situation in den gesamten 30 Jahren praktisch nicht erlebt.

Gibt es an Ihrem Beruf etwas, das Ihnen immer gute Laune bereitet hat?

Ich finde, ich habe einen ganz tollen Beruf. Ich habe meinen Traumberuf gefunden über viele Jahre. Es gibt total nette Mitarbeiter, gerade hier in Dortmund. Das ist eine vergleichsweise kleine, kompakte Anstalt - man kennt sich. Man hat auch mal Zeit, um einen kleinen Smalltalk zu machen, sich über den BVB aufzuregen. Das wird mir ab nächster Woche Freitag (24.11., Anm.) doch sehr fehlen.

Ich gehe aber davon aus, dass man Sie trotz dieses Teamzusammenhalts mehr oder weniger freiwillig gehen lassen wird. Wenn dem nicht so wäre, wie würden Sie aus Ihrem Gefängnis ausbrechen?

Ja, ich gehe freiwillig. Ich gehe auch vorzeitig. Bei aller Liebe zu diesem Beruf habe ich auch in den letzten Jahren erkannt, dass ich älter werde. Dass es eine Zeit gibt, die der liebe Gott mir gegeben hat, die sicherlich begrenzt sein wird. Und die möchte ich im Moment, wo ich einigermaßen gesund bin, noch nutzen. Wie ich aus meinem Gefängnis ausbrechen würde, das weiß ich, das verrate ich Ihnen aber nicht.

Dann zum Schluss noch eine persönliche Frage. Welcher ist Ihr liebster Gefängnisfilm?

Ich bin absolut kein Filmegucker. Ich habe keinen Lieblingsfilm. Ich habe zwei Lieblingsbücher, die beide meines Wissens auch verfilmt sind, wo ich allerdings den Film nicht gesehen habe. Das ist „Papillon“ und „The Green Mile“.

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