Geheimer Lkw-Parkplatz am Flughafen Dortmund Inoffizielle Raststätte in Holzwickede wächst

Inoffizielle LKW-Raststätte wächst im Gewerbegebiet am Flughafen
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Nur noch eine Nacht und ein Flug trennen Sergiu* von seiner Familie in Rumänien. Der Lkw-Fahrer aus der Nähe von Târgu Mureș in Siebenbürgen steht mit seinem Lastwagen auf einem Parkplatz in Holzwickede unweit des Flughafens Dortmund.

Nur rund 700 Meter braucht er am nächsten Tag zum Terminal zu gehen, dann kann er den Heimatflug antreten.

„Ich arbeite jeweils für vier Wochen in Deutschland und bin dann zwei Wochen bei meiner Familie in Rumänien“, sagt Sergiu, der seinen richtigen Namen nicht verraten will. Bis zum Herbst habe er schon alle Hin- und Rückflüge gebucht.

Nicht nur Sergiu schätzt den verkehrsgünstig gelegenen Parkplatz zwischen Flughafen und B1-Auffahrt Holzwickede/Flughafen. Knapp 30 Zugmaschinen und Anhänger mit rumänischen, bulgarischen, deutschen oder niederländischen Kennzeichen parken an einem Samstagabend im Mai zwischen Tedox-Baumarkt und Heimtiermarkt „Futterhaus“ im Gewerbegebiet Wilhelmstraße. Der verkehrsgünstig gelegene Baumarkt-Parkplatz (direkt nebenan auch der Adler-Modemarkt) hat sich mittlerweile zu einer Art Geheimtipp unter Lkw-Fahrern entwickelt.

Während Sergiu den Parkplatz als Ausgangspunkt für seinen Heimflug nutzt und den Lkw für den Fahrerwechsel mit einem Kollegen parkt, überbrücken andere Trucker hier das Sonntagsfahrverbot. Lastwagen mit Anhängern und über 7,5 Tonnen dürfen sonntags in der Zeit von Mitternacht bis 22 Uhr nicht auf deutschen Straßen verkehren. Die Abendsonne steht jetzt tief an diesem Samstagabend, die Lkw-Fahrer hantieren an ihren Fahrzeugen oder stehen in Gruppen zusammen und plaudern. Die Stimmung ist gut.

Knapp 30 Lkw auf inoffiziellem Rasthof

Der Parkplatz am Tedox-Baumarkt ist für die Lkw-Fahrer ideal, um die Zeit totzuschlagen. Das sagt ein Lkw-Fahrer, der hier Michail* genannt wird und aus Litauen kommt. Mithilfe einer Übersetzungsapp auf Deutsch und Russisch kommt ein brüchiger Dialog zustande. Warum er sich ausgerechnet diesen Parkplatz in Holzwickede ausgesucht hat?

Michail antwortet lachend in zwei Worten: „McDonald‘s“ und „Lidl“. Das Fastfood-Restaurant und der Discounter sind gleich nebenan. Michael befindet sich gerade auf dem Sprung und will bei Lidl einkaufen. Günstige Lebensmittel vom Discounter statt teure Snacks zu Autobahntankstellen-Preisen: Wegen des Discounters in der Nähe schlägt der inoffizielle Lkw-Rastplatz in Holzwickede-Nord jeden Rastplatz an der Autobahn. Und wenn die Lkw-Fahrer die Notdurft verrichten müssen, gibt es dafür zwar kein offizielles Rastplatz-WC, aber die Toiletten bei McDonald‘s oder im Flughafen-Terminal sind leicht zu erreichen.

Hausverwaltung duldet Lkw-Parkplatz

Die Liegenschaftsverwaltung duldet oder erlaubt die Zweckentfremdung des Baumarkt-Kundenparkplatzes durch Lkw-Fahrer. Niemand hindert sie an der Rast, die Schranken zum Parkplatz stehen rund um die Uhr offen. Die Fahrer haben indessen eine eigene Ordnung gefunden, obwohl hier gar keine eingezeichneten Stellplätze existieren.

Die Sattelzüge und Zugmaschinen sind ordentlich nebeneinander eingeparkt. Mancher Fahrer hat die Zugmaschine vom Auflieger entkoppelt. Viele Lkw stehen mit dem Heck zur Lärmschutzwand der autobahnähnlichen B1 – und damit aufgewandt von der Straßenseite der Wilhelmstraße und vom Haupteingang des Tedox-Baumarkts. Erst beim Spaziergang um das Gebäude herum fällt auf, wie viele Lkw hier eigentlich stehen.

Auch früher schon sollen in dem Gewerbegebiet Brummifahrer gerastet haben. Doch in jüngeren Jahren sind es immer mehr geworden, wie unabhängig voneinander Anlieger und Tedox-Beschäftigte bestätigen. Das soll einerseits mit der Zunahme des Lkw-Verkehrs auf deutschen Straßen und fehlenden Rastmöglichkeiten für die Fahrer zusammenhängen, aber auch mit der Schließung der beiden Autobahntankstellen bei Holzwickede im Zuge des B1-Ausbaus. Durch das Aus für Westfalen und Esso sind Rastmöglichkeiten direkt an der Autobahn weggefallen, sodass die Fahrer in das Gewerbegebiet ausweichen.

Parkplatznot an deutschen Autobahnen: Der Parkplatz bei Tedox im Gewerbegebiet Wilhelmstraße gilt als Geheimtipp.
Parkplatznot an deutschen Autobahnen, Ausweichverkehr in Holzwickede: Der Kundenparkplatz von Tedox im Gewerbegebiet Wilhelmstraße gilt als Geheimtipp. © Carsten Fischer

50 Prozent mehr Verdienst als in Rumänien

Lkw-Fahrer wie Sergiu schätzen den Job in Deutschland. „50 Prozent mehr“ als in Rumänien verdiene er. Dafür nimmt er es in Kauf, wochenlang fern von seiner Familie zu sein. Die Anstellung osteuropäischer Lkw-Fahrer steht hierzulande unter dem Ruf des Lohndumping. Über Geld spricht Sergiu nicht, auch über seinen Arbeitgeber möchte er nichts sagen. Der Lkw hat ein deutsches Kennzeichen und gehört zu einem norddeutschen Unternehmen.

Außer dem höheren Verdienst macht noch etwas die Arbeit in Deutschland attraktiver. Sie ist bequemer. „In Rumänien sind die Straßen schlechter.“ Außerdem ist das Autobahnnetz klein. Hier in Deutschland schaffte er 300 Kilometer in vier Stunden, in Rumänien benötige er sechs Stunden. Außerdem seien seine Fahrten genau durchgeplant und er bekomme seine Aufträge nicht von einem auf den anderen Tag. Der Rumäne befördert laut eigener Aussage Ware der Handelskette Woolworth, deren Zentrale im Gewerbegebiet Unna-Kamen nahe der A1-Abfahrt Kamen-Zentrum/Unna-Königsborn liegt.

Mit dem Heck zur Lärmschutzwand der B1 eingeparkt: Deutsche, rumänische, bulgarische und niederländische Kennzeichen.
Mit dem Heck zur Lärmschutzwand der B1 eingeparkt: Rumänische, bulgarische, deutsche und niederländische Kennzeichen sind zu erkennen. © Carsten Fischer

Sorge vor neuem Brennpunkt im Norden

Lohn- und Sozialdumping, Termindruck, Fahrermangel und Parkplatznot – das sind Begriffe, die oft im Zusammenhang mit dem Einsatz osteuropäischer Fahrern im Speditionsgewerbe zu hören sind. Der inoffizielle Lkw-Rasthof von Holzwickede scheint ein Ort zu sein, der ein Schlaglicht wirft auf die Arbeitsbedingungen der Menschen, die für den Strom der Waren auf den deutschen Straßen sorgen. Ein Warenstrom, der auch zu Logistikbetrieben im Kreis Unna führt.

Anlieger des Holzwickeder Nordens betrachten den inoffiziellen Lkw-Rasthof aus einer anderen Perspektive. Als kürzlich örtliche Parteien beim Streetfood-Markt ihre Europawahl-Infostände auf dem Marktplatz aufbauten, kam dort die Sorge zur Sprache, dass im Norden ein weiterer Brennpunkt entsteht.

Der andere Brennpunkt wird in der umstrittenen Diamorphin-Ambulanz an der Wilhelmstraße gesehen. Deren Klientel wird von Kritikern mit Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Verbindung gebracht. Lidl führte einen Sicherheitsdienst ein, Anwohner beschwerten sich über aggressives Verhalten von tatsächlichen oder vermeintlichen Ambulanz-Patienten.

Freude auf den Heimatflug

Lkw-Fahrer wie Sergiu* bemühen sich, nicht weiter aufzufallen. Jetzt, an diesem Samstagabend im Mai, sind kaum Fahrer auf dem Parkplatz zu sehen. Die Trucker, die da sind, schlafen vielleicht schon in ihren Kabinen oder sind außerhalb ihrer Fahrzeuge unterwegs. Zum Beispiel beim Einkaufen im Lidl wie Michail. Manche Trucker stehen in einer Nische zwischen zwei Lkw und essen gemeinsam etwas zu Abend. Die Atmosphäre ist heiter – und auch Sergiu ist sehr gut gelaunt. Denn morgen geht sein Flieger in die Heimat.

Die Situation auf dem Lkw-Parkplatz im Bewegtbild auf hellwegeranzeiger.de

*Name geändert

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 28. Mai 2024.