Unter dieser Spiegeldecke tanzen seit mehr als 40 Jahren Dortmunds Nachtschwärmer. © Nils Foltynowicz

Dortmunds Disko-Legenden

Der Charme der Vergangenheit ist im Tanzcafé Oma Doris allgegenwärtig

Das Tanzcafé Oma Doris ist die älteste Disko Dortmunds. Mit Tanztee fing 1976 alles an. Heute führt der Enkel das Vermächtnis seiner Oma fort. Ein Besuch lohnt sich allein wegen des Flairs.

Dortmund

, 28.07.2018 / Lesedauer: 8 min

Das Tanzcafé Oma Doris liegt im Herzen der Dortmunder Innenstadt. In dem hübschen Haus aus dem 19. Jahrhundert am Platz von Leeds. Das Haus, auf das man blickt, wenn man die Stufen vom Westenhellweg zur Brückstraße hinuntergeht. Im Erdgeschoss sind ein Döner-Laden und ein Bekleidungsgeschäft, daneben war mal eine Trinkhalle, um die Ecke der Leeds-Pub. Und darüber, recht unscheinbar, ist das Oma Doris.

In diesem Haus im ersten Stock ist das Tanzcafé Oma Doris. © Jana Klüh

Es sind kleine Details, die schon von außen daraufhin deuten, dass das Tanzcafé Oma Doris keine gewöhnliche Disko ist. City Tanzcafé steht in verschnörkelten blauen Buchstaben über den breiten hervorstehenden Fenstern im ersten Stock des Gebäudes.

Links und rechts davon hängt jeweils ein rundes Schild. Wer genau hinsieht, sieht darauf, in Blautönen, einen Engel. Und wer die Augen dann noch ein bisschen zusammenkneift, sieht, dass der Engel ziemlich dunkle Ränder unter den Augen hat. Ein Gothic-Engel. Jedenfalls keiner mit Heiligenschein.

Engel mit dunklen Augenschatten wachen über den Fenstern der Disko. © Jana Klüh

Vor den Fenstern des Oma Doris hängen geraffte goldene Gardinen. Reinschauen von außen geht nicht. Der Eingang ist ums Eck. Hier hängt, etwas weniger verschnörkelt und vertikal zur Wand, noch eine Werbetafel. City steht dort in einzelnen Lettern. Zwischen den Buchstaben steht in dieser Reihenfolge: Tanzcafé, Mittwoch und Sonntag ab 14 Uhr Tanztee mit Damenwahl, Freitag und Samstag Disco. Und das Wort Disco in dieser typischen 70er-Retro-Schrift.

Die 70er. Sie sind der Ursprung, die Keimzelle von all dem, was das Oma Doris ausmacht. Ein paar Treppen geht’s hoch, durch die Tür. Und dann ist es, als sei man in eine Zeitmaschine gestiegen und vier Jahrzehnte in die Vergangenheit gereist.

Allein die Einrichtung ist einen Besuch wert

Wer keine Ahnung hat, wie es war, in den 70er-Jahren tanzen zu gehen, der bekommt hier eine ziemlich gute Ahnung davon. Die Einrichtung dieser Disko ist so schön, so echt, so erstaunlich gut erhalten, dass man gar nicht anders kann, als ihr mit einer gewissen Ehrfurcht zu begegnen. Und schon allein dafür, allein für dieses Gefühl, lohnt es sich, das Oma Doris einmal zu besuchen.

Wer den Raum betritt, sieht zuerst die lange Holztheke. Schwere Messingleuchten mit Hunderten roten Troddeln tauchen sie in warmes Licht. Dahinter erstreckt sich der lang gezogene Raum mit akkurat angeordneten Tischreihen. In der Mitte jeweils ein Tisch mit Marmorplatte, zu beiden Seiten braune Polsterbänke. Aus den Bänken schwingt sich in hohem, hübsch verzierten Bogen über jeden Tisch eine Lampe – aus Messing mit Troddeln, wie die an der Bar. Jede Lampe hat eine Nummer.

Das Tanzcafé so, wie es heute aussieht. © Tanzcafé Oma Doris

Auf dem Boden liegen schwere Perser-Teppiche. An den Wänden hängen Spiegel und goldumrahmte Gemälde. Hinter dem DJ-Pult ist die Wand mit einer goldenen Tapete aus Velours verziert. Das Herzstück ist die Spiegelwand an der Decke in der Mitte des Raumes. Wie Stalaktiten hängen Dutzende Lämpchen von dieser Decke und beleuchten den Boden darunter. Die Tanzfläche.

Wer Gardinen und Jalousien einmal kurz zur Seite zieht, bekommt einen schönen Blick auf die Dortmunder City. Und zurzeit den mit Abstand besten Blick auf eine der größten Baustellen der Stadt: den (mittlerweile fast vollendenten) Abriss des Karstadt-Technik-Hauses direkt gegenüber.

An einem Ort mit langer Vergnügungstradition

Eine Diskothek in diesem Stil, in diesem Ambiente, findet man in ganz Dortmund nirgendwo anders. Vielleicht nicht mal in Deutschland. Sie ist noch dazu familiengeführt. Mittlerweile in dritter Generation. Stehen geblieben ist die Zeit hier trotzdem nicht. Diese Disko ist in 40 Jahren immer mit der Zeit gegangen. Und vielleicht ist das das Erfolgsgeheimnis.

Es war im Jahr 1976 als das Tanzcafé, damals noch unter dem Namen Hösl, eröffnete. An einem Ort mit langer Vergnügungstradition. Hier, am Tor zur Brückstraße, war schon Jahre davor stets Gastronomie untergebracht. Das Café Metropol (später Café Vaterland und Café Roland) war zu Beginn des 20. Jahrhunderts beliebt und bekannt, unter anderem wegen der hier auftretenden Kapellen.

Das Ruhfus-Haus mit dem Café Vaterland. © Archiv

Doris Schulenkorf entschied sich damals, in den 70ern, aus den Räumen, die lange leer gestanden hatten, ein Tanzcafé zu machen. Sie richtete es so ein, wie man damals eben Tanzcafés einrichtete und so, wie es ihr gut gefiel. Das Tanzcafé Hösl war jeden Mittwoch und jeden Sonntag geöffnet, ab 14 Uhr.

Es gab Kaffee und Kuchen und Live-Musik. Tanztee nannten sie das. In einer Vitrine an der Theke konnten sich die Gäste ein Stückchen Schwarzwälder-Kirsch- oder Käse-Sahne-Torte aussuchen und dann auf einer der Polstergarnituren Platz nehmen. „Dazu trank man Metternich-Sekt“, erzählt Kai Schulenkorf, der Sohn von Doris Schulenkorf. Das sei damals der Sekt schlechthin gewesen. Die Herren tranken das Herrengedeck: Cognac und Kaffee.

So sah das Tanzcafé zu Beginn aus. © Tanzcafé Oma Doris

Eine Kapelle spielte deutschen Schlager, zu dem sich die Paare über die Tanzfläche schwangen. Zum Tanzen verabredeten sich die Gäste an der Strippe: An jedem Tisch stand ein Telefon, mit Schnur und Wählscheibe (es waren die 70er). Hatte ein Gast ein Auge auf einen anderen geworfen, brauchte er nur die Nummer des Tisches wählen, an dem dieser saß (die stand auf den Lampen), und konnte sich so mit ihm für einen Tanz verabreden. „Das war wohl die erste Form des Paarshippings“, sagt Kai Schulenkorf heute.

Später öffnete das Tanzcafé Hösl dann auch abends, freitags und samstags zur Disco. Ein DJ legte auf, der aber mehr Alleinunterhalter war und jedes Musikstück anmoderierte.

„Da putze man sich noch richtig raus“

Die Gäste waren älter, aber keine Senioren. Sie waren gut gekleidet, die Herren trugen Anzug, die Damen Kostüm. „Da putzte man sich noch richtig raus“, sagt Kai Schulenkorf. Und zu jedem Tanztee gab es auch Damenwahl. Das machte man damals noch so.

Das Tanzcafé ging gut. Doris Schulenkorf begrüßte hier auch berühmte Gäste wie Franz Beckenbauer und Max Schmeling. Ihre Kinder, später auch die Enkel, wurden mit dem Tanzcafé groß. „Wir haben schon als Kinder in der Kaffeeküche ausgeholfen“, sagt Kai Schulenkorf.

Doris Schulenkorf mit Max Schmeling und Franz Beckenbauer. © Tanzcafé Oma Doris

Anfang der 90er kam ihm die Idee, den Tanztee seiner Mutter um eine eigene Party am Freitagabend zu erweitern. Damals, erzählt er, habe Partyebbe in Dortmund geherrscht. Das Ostwall-Viertel lag so gut wie am Boden, auch sonst gab es nicht viel. Also versuchte er es einfach mal, druckte 50 Visitenkarten und lud ins Tanzcafé ein.

Die erste Party, 1992, war rappelvoll. „Also habe ich weitergemacht“, sagt Kai Schulenkorf. Freitags und samstags machte er von da an seine Partys, um sich so sein Studium zu finanzieren. Es fing an mit Querbeet-Partys, DJ Peter Schneider legte alles auf, was gerade in den Charts lief. Die Tischtelefone wurden zum absoluten Renner. Die Gäste liebten sie – und zogen sie über die Jahre ordentlich in Mitleidenschaft. Irgendwann mussten sie abgebaut werden. Heute stehen sie im Keller. Sie wegzuschmeißen kommt nicht infrage.

Die Gäste tranken jetzt nicht mehr Fürst Metternich, sondern Kleinen Feigling. „Das war das absolute Stammgetränk“, sagt Kai Schulenkorf. Ein Mitbewerber sei darüber damals so erbost gewesen, dass er anfing, jede Menge Kleinen Feigling aufzukaufen, erzählt Kai Schulenkorf. Aber er habe eine gute Quelle gehabt. Der Kleine Feigling sei ihm nie ausgegangen.

Es war 1995 oder 1996 als Kai Schulenkorf das musikalische Konzept seiner Partys änderte. Er holte die elektronische Musik ins Tanzcafé Hösl. „Wir waren damals Vorreiter in der Stadt“, sagt er. DJ Todde legte hier House auf, immer wieder waren auch bekannte DJs aus der Region da. Die Disco Boys etwa spielten hier vor 200 Leuten, bevor sie später ganze Hallen füllten. Kai Schulenkorf verlagerte den Hösl-Sound auch aufs Wasser, startete die Reihe Love-Boat auf der Santa Monika. Die schipperte dann mit Partyvolk an Bord über den Kanal.

Hören Sie in den Soundtrack des Tanzcafés hinein:

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Über die Jahre kamen neue Partyreihen und Musiksparten hinzu. 2004 startete DJ Philipp Bückle mit seinem Freund Fabian Saavedra-Lara die Indie-Elektro-Partyreihe Star-Trash, die wieder eine Nische in Dortmund bediente und fünf Jahre lang sehr erfolgreich lief. „Das waren derbe Nächte“, sagt Bückle heute. Die Stars der New-Rave-Szene wie Headbanger, Busy P. und Crystal Castles legten damals im Hösels auf.

Philipp Bückle legt seit 2000 als DJ in Dortmund auf, ist mit Partys in mehreren Clubs vertreten, im Oma Doris macht er zurzeit die Glückrad-Party. Er sagt: „Das ist der schönste Club, in dem ich gerade auflege.“ Und gerät dann, wie so ziemlich jeder, der über das Tanzcafé spricht, ins Schwärmen. „Man muss sich doch einfach mal anschauen, wie schön das da ist“, sagt er. „Dieser Club hat einen ganz speziellen Charme der Vergangenheit. Und die Betreiber ein glückliches Händchen, was die Partys angeht.“

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Kai Schulenkorf übergab in den 2000ern nach und nach die Programmplanung an seinen Neffen Ben Bolderson. Er habe stets gesagt: „Sobald mich einer am Tresen siezt, wird es Zeit zu gehen.“ Heute arbeitet er als Lehrer. „Aber ich bin noch immer gerne Gast“, sagt er. Er liebe das Flair, das dieser Club ausstrahle. „Man fühlt sich hier wohl, weil es so ursprünglich ist.“

2013 übernahm Ben Bolderson den Laden komplett – und benannte ihn um. Aus dem Tanzcafé Hösl wurde das Tanzcafé Oma Doris. „Die Namensänderung war ein Dankeschön an meine Oma“, sagt Ben Bolderson. „Ich wollte ihr ein Denkmal setzen.“ Er gab dem Tanzcafé wieder eine neue Richtung, ohne dabei dessen Wurzeln zu vergessen. „Mir war es ganz wichtig, dass es ein Original bleibt“, sagte er.

Ben Bolderson mit seiner Oma Doris im Jahr 2013. Damals hatte Bolderson als neuer Besitzer das Tanzcafé zu Ehren seiner Oma, der Gründerin der Disko, umbenannt. © Didi Stahlschmidt

Er erneuerte die Lichttechnik, ließ eine komplett neue Anlage einbauen, die laut Philipp Bückle „super gut ist“, aber der Rest blieb so, wie er war. Als Enkel von Doris Schulenkorf ist auch Ben Bolderson mit dem Tanzcafé groß geworden. „Ich habe schon jede Aufgabe hier übernommen“, sagt der 35-Jährige. „Mein erster Job war an der Garderobe. Später habe ich Kaffee und Kuchen verteilt.“

Ihm sei immer klar gewesen, dass er einmal den Laden übernehmen werde. „Er ist eine Perle. Er ist früher mit Herzblut geführt worden.“ Und genau so wolle er die Familientradition fortsetzen. Aber, das ist ihm ebenso wie seiner Familie klar, man muss im Nachtleben trotzdem immer mit der Zeit gehen, immer bereit sein, sich zu verändern.

Der Club sollte wieder mehr Club werden

Als Ben Bolderson den Laden übernahm, stand das Dortmunder Nachtleben wieder an einem Scheidepunkt. Das Thier-Gelände hatte eine große Lücke hinterlassen, es gab wenig elektronische Musik in Dortmund. „Ich wollte, dass wir uns wieder mehr als Klub präsentieren“, sagt er.

90er-, 2000er-Partys, das gibt’s auch hier, „das müssen wir machen“, sagt Bolderson. Einen Namen hat er sich und dem Oma Doris aber vor allem in der Hip-Hop- und der Elektro-Szene gemacht. Bei der Hip-Hop-Party „Bounce“ waren schon heute sehr erfolgreiche Rapper wie Trettmann und Money Boy als Gäste. Jeden dritten Donnerstag veranstaltet er mit dem Jugendamt den Dortmund City Cypher, dann wird live gerappt und gebreakdanced, an den Tischen wird Graffiti gemacht. Zwischendurch gibt’s auch immer mal Konzerte, und Alternativ-Veranstaltungen wie Flohmärkte oder Lesungen.

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Dass das Tanzcafé ein Schatz ist, das ist nicht nur denen aufgefallen, die hier öfter feiern gehen. Der Club ist schon mehrfach als Filmset genutzt worden. 2015 drehte das Dortmunder „Tatort“-Team hier für die Folge „Kollaps“. Für den Film „Goldene Zeiten“ von Bang-Boom-Bang-Regisseur Peter Thorwarth wurden hier ebenfalls Szenen gedreht.

Zudem haben mehrere Bands und Musiker wie Goldroger, Walking on Rivers und Macky Messer Musikvideos aufgenommen. „Das sind tolle Erlebnisse“, sagt Ben Bolderson.

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Um die wertvolle Einrichtung des Clubs zu bewahren, muss er nach so gut wie jedem Wochenende etwas reparieren. „Die Leute fummeln immer an den Lampen“, sagt er. Lacht. „Aber sonst gehen die allermeisten sehr respektvoll mit der Einrichtung um.“ Das sei auch wichtig, denn ersetzen könne man die heute nicht mehr. Die Sitzgarnituren sind mittlerweile etwas abgerockter als noch damals, in den 70ern. „Die guten Polster sind aber im Keller“, sagt Bolderson. Die hole er nur für besondere Veranstaltungen hoch.

Oma Doris ist heute 78 Jahre alt. Sie findet es gut, wie ihr Enkel das Tanzcafé fortführt. Denn er tut es, so wie sie einst, mit Leidenschaft. Ab und zu schaut sie noch vorbei.

Der letzte Tanztee zum runden Geburtstag

Seiner Oma sei bewusst, dass man heute keinen Tanztee mehr veranstalte, sagt Ben Bolderson. Zum 40. Geburtstag vor zwei Jahren hat er aber dann doch nochmal einen gemacht. An einem Sonntagnachmittag öffnete er das Tanzcafé. Es gab Kännchen Kaffee und Schwarzwälder-Kirsch-Torte. Fast so wie früher. Nur die Kapelle fehlte. Stattdessen lege eine DJ House-Musik auf.

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