
© Illustration Leonie Sauerland
Das Versagen des Landes NRW in der Corona-Krise: Eine sofortige Ausgangssperre muss her
Klare Kante
In der Corona-Krise demonstrieren Bund und Land erbärmliche Führungsqualitäten. Unser Autor meint: Hört endlich auf mit dem Herumeiern und erlasst sofort eine Ausgangssperre für alle.
In der Krise zeigt sich, wie gut die Führung einer Stadt oder eines Landes ist. Mitten in der Corona-Pandemie geben sowohl Bund als auch Land ein erbärmliches Bild ab. Sie eiern von einer halbherzigen Entscheidung zur nächsten. Sie wirken wie überforderte Getriebene, die mit jeder neuen Zaghaftigkeit, jedem neuen Zaudern vor allem ihre Ratlosigkeit unter Beweis stellen.
Nun muss man auch den politischen Entscheidungsträgern – vom Bürgermeister über den Ministerpräsidenten bis zur Kanzlerin – zubilligen, dass eine solche Situation wie jetzt in Corona-Zeiten absolutes Neuland ist. Sie sind beileibe nicht die einzigen, die noch vor zwei, drei Wochen die ernste Gefahr, die von diesem Virus ausgeht, unterschätzt haben. Auch ich als Autor dieser Zeilen habe anfangs völlig daneben gelegen, als ich an dieser Stelle vor Panikmache warnte und zur Gelassenheit aufforderte. Über diese Sätze ärgere ich mich seit mindestens zehn Tagen schwarz. Sie waren falsch.
Länder-Könige im Sandkasten
Seit spätestens zehn Tagen müsste aber nicht nur mir, sondern auch der Düsseldorfer Staatskanzlei und dem Kanzleramt klar sein, was da auf unser Land zurollt. Doch statt sofort zusammen einen großen Damm gegen die auf uns zurollende Flutwelle aufzubauen, hat man den Eindruck: Die Chefin im Kanzleramt lässt ihre 16 Könige in den Bundesländern mal machen – schließlich ist sie fein raus, denn Katastrophenschutz ist ja Ländersache. Da stellt sich die Frage, ob das in unserem föderalistischen System wirklich noch zeitgemäß und angebracht ist?
Wenn es bei einer weltweiten Bedrohung, bei der es „um Leben und Tod“ (Laschet) geht, schon nicht zu einem einheitlichen europäischen Vorgehen kommt, müsste das wenigstens auf Bundesebene geschehen. Aber nichts da. Selbst als das Haus schon lichterloh brennt, schweigt Angela Merkel noch immer. Und als sie sich schließlich mit ihrer typisch-stoischen Mine erklärt, klingen ihre Durchhalteparolen eher verzweifelt als hilfreich. Führung geht anders.
Katastrophale Kommunikations-Fehler
Stattdessen holen die Länder-Könige die Schüppchen aus dem Sandkasten ihrer Enkel und schäufeln damit kleine Spielzeugwälle gegen einen Tsunami auf. Als wenn man versuchen würde, die leck geschlagene Titanic mit einem Zahnputzbecher vor dem Sinken zu retten.
Ein besonders mieses Bild geben in diesem Corona-Desaster Armin Laschet und seine Landesregierung ab. Beispiel Schul- und Kita-Schließungen. Nicht nur, dass NRW, wo es mit Abstand die meisten Infizierten in Deutschland gibt, sich mit der Schließung mehr Zeit ließ als etwa Bayern. Nein, als sie kam, wurde sie auch noch miserabel kommuniziert. Die Entscheidung wurde an einem Freitagnachmittag verkündet – zu einer Zeit, als die meisten Schulen geschlossen, die Lehrerinnen und Lehrer längst zu Hause und die Eltern nur schwer oder gar nicht mehr erreichbar waren. Das ist weltfremd und völlig daneben.
Absurdes Chaos beim Einzelhandel
Oder die Sache mit dem Einzelhandel. Montag einigen sich Bund und Länder darauf, was alles zu schließen ist. In der vom Bund verbreiteten Erklärung ist zu lesen, dass – bis auf explizit aufgelistete Ausnahmen – alle Einzelhandelsgeschäfte zu schließen sind. Das Problem: Der Bund kann das nicht verordnen, das müssen die Länder tun.
Also verschickte das Land Dienstag einen Erlass an alle untergeordneten Behörden wie Städte und Kreise. Darin ist aber von einer Schließung der normalen Einzelhandelsgeschäfte nicht mehr die Rede. Was gilt denn nun? Als unsere Redaktion am Dienstag nachfragte, erhielt sie um 18.36 Uhr per Mail aus dem Gesundheitsministerium die Antwort, dass die normalen Läden wie Schuhgeschäfte geöffnet bleiben können. Gegen 22 Uhr verbreitete das Land dann per Twitter das Gegenteil: Mittwoch müssen alle Läden – bis auf die bekannten Ausnahmen – geschlossen bleiben. Was für ein absurdes Chaos. Am Rande: Kann mir mal jemand erklären, wieso Frisöre und Nagelstudios öffnen dürfen?
Der Kapitän darf nicht zittern, aber er zittert
Dienstagmittag hatte Laschet noch gesagt: „Jetzt muss eine klare Sprache her.“ Völlig richtig. Warum hält er sich dann selbst nicht dran? Das Wichtigste in einer Krise ist, dass die Menschen Vertrauen haben in die handelnden Personen. Wenn Sturm aufzieht, darf der Kapitän an Bord nicht zittern. Laschet zittert. Das sieht und das spürt man.
Auch bei der Schließung von Bolz- und Spielplätzen hat das Land einen Tag lang rumgedruckst, weil man auf Appelle und Vernunft der Menschen setzte, die aber trotzdem diese Plätze nutzten, als sei nichts gewesen. Dann kam das Verbot. Warum nicht sofort so?
Es hilft nur ein Verbot
Dienstag gab es erneut einen Laschet-Appell: Bleibt zu Hause! Die Wirkung? Nicht nur in Dortmund versammelte man sich in Parks zum Grillen, am Phoenix-See herrschte bei herrlichem Sonnenschein reges Leben auf Straßen und Plätzen.
Das Wetter bleibt schön und warm. Realisten wissen: Es gibt viele Uneinsichtige, die nicht zu Hause bleiben und so auch die Einsichtigen gefährden. Daher muss eine Ausgangssperre her und zwar sofort. Wer glaubt, dass Appelle reichen, ist ein Träumer. Ein Appell an die Vernunft ist auch die Richtgeschwindigkeit von 130 auf der Autobahn. Ein Witz. Wer will, dass Menschen etwas nicht tun, muss es verbieten. Wer das in der Corona-Krise nicht versteht, ist falsch auf einem Führungssessel.
Übrigens: Die Städte, Gemeinden und Kreise sind die, die das Krisen-Missmanagement in Berlin und Düsseldorf ausbaden und die Erlasse umsetzen müssen. Sie sind momentan nicht zu beneiden. Auch das geht so nicht.
Ulrich Breulmann, Jahrgang 1962, ist Diplom-Theologe. Nach seinem Volontariat arbeitete er zunächst sechseinhalb Jahre in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten, bevor er als Redaktionsleiter in verschiedenen Städten des Münsterlandes und in Dortmund eingesetzt war. Seit Dezember 2019 ist er als Investigativ-Reporter im Einsatz.
