„Rattenschwanz an Bürokratie“ und „Herzenswunsch“ Der lange Weg zum neuen Bücherschrank

Das steckt hinter dem neuen Bücherschrank im Dorf
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Als vorgezogenes Weihnachtsgeschenk stand im vergangenen Dezember plötzlich ein neuer, auffälliger Bücherschrank am Rand des Heinrich-Sondermann-Platzes. Rasch war er mit Büchern gefüllt, es wird rege getauscht. Auch bei Wilfried Ngandou vom Verein Afrika 21 e.V. war die Freude über den Schrank groß - und die Erleichterung, dass der Schrank überhaupt da ist.

Denn die Geschichte hinter dem Bücherschrank erinnert an die Aufgabe der Gallier Asterix und Obelix, sich im „Haus, das Verrückte macht“ den Passierschein A38 zu besorgen.

Lukas Joswig, Wilfried Ngandou und Yacouba Coulibaly (v.h.) schauen in den neuen Bücherschrank auf dem Heinrich-Sondermann-Platz.
Dass der Bücherschrank schon nach kurzer Zeit gut gefüllt ist, freut die Initiatoren. © Julia Kowal

Fast drei Jahre ist die Idee, einen Bücherschrank mitten im Dorf zu errichten, inzwischen alt. Inspiriert wurde Wilfried Ngandou, Vorsitzender des Dortmunder Vereins Afrika 21 e.V., vom Bücherschrank vor der Katharinenkirche in Bövinghausen, der im Oktober 2021 eingeweiht wurde. „Eine wichtige Säule unseres Vereins ist die Eltern- und insbesondere die Väterarbeit“, erklärt der Lütgendortmunder. „Und da gehört gemeinsames Lesen und Vorlesen dazu.“

Ngandou suchte nach Kooperationspartnern, um die Verantwortung für den Schrank teilen zu können. Schnell kam ihm die Jugendfreizeitstätte (JFS) im Dorf in den Sinn. „Unser Verein leistet auch Jugendarbeit, das passte“, begründet er. Zudem schien ihm ein Standort direkt an der JFS ideal: „Das ist ein zentraler Ort im Schutzbereich der JFS.“

„Verein kam wie gerufen“

Im Mai 2022 führte er die ersten offiziellen Gespräche, die JFS zeigte sich direkt begeistert. „Wir hatten selbst die Idee, in der JFS einen Bücherschrank einzurichten, um neben Spaß auch den Aspekt Bildung reinzubringen“, erzählt Yacouba Coulibaly, einer der beiden Leiter der JFS. „Der Verein kam da mit seiner Idee wie gerufen.“

Im Juli suchten Afrika 21 e.V. und die Kinder- und Jugendförderung der Stadt einen konkreten Standort aus. Für diesen stellte Ngandou im August beim Ordnungsamt einen Antrag auf Errichtung eines Bücherschranks.

Zeitgleich fragte er bei der Dortmunder Jugendhilfewerkstatt des Christlichen Jugenddorf Deutschland (CJD) ein Angebot für einen Bücherschrank wie den in Bövinghausen an. Den hatte das CJD ebenfalls gebaut und errichtet. „Der lokale und soziale Bezug waren ausschlaggebend, außerdem gefiel uns das Plappermaul an beiden Seiten des Schranks so gut“, erzählt Ngandou, der seinen drei Kindern selbst die Geschichten des Dortmunder Nashorns vorgelesen hatte.

Lukas Joswig, Yacouba Coulibaly und Wilfried Ngandou (v.l.) stöbern im neuen Bücherschrank auf dem Heinrich-Sondermann-Platz.
Bei der großen Auswahl, die der Bücherschrank inzwischen bietet, findet sich für jeden Geschmack das passende. Lukas Joswig, Yacouba Coulibaly und Wilfried Ngandou (v.l.) stöbern auch gerne mal. © Julia Kowal

So rund sich die Idee zunächst entwickelte, so zäh und mit bürokratischen Hürden gespickt ging die Geschichte in der Folge weiter. „Das Ordnungsamt teilte mir mit, dass ich eine Sondernutzungserlaubnis beantragen und mich mit dem Tiefbauamt abstimmen muss“, erinnert sich der Lütgendortmunder. Er reichte einen neuen Antrag ein, mit einer Standortmarkierung auf einem Satellitenbild. Das reichte jedoch nicht, ein Katasterauszug musste her.

Im Januar 2023 erhielt er schließlich die Sondernutzungserlaubnis, begrenzt auf das Kalenderjahr. Sprich: Der Bücherschrank sollte bis Ende des Jahres errichtet werden. Kein Problem, ein Jahr ist lang, sollte man meinen. Allerdings: „Das CJD hatte mir im Sommer 2022 mitgeteilt, dass sie vorerst keine Kapazitäten haben, ein Angebot zu schreiben“, so Ngandou. Im April 2023 schrieb er das CJD erneut an, einen Kostenvoranschlag erhielt er allerdings erst im September.

BV übernahm die Kosten

Die Lütgendortmunder Grünen, zu denen Ngandou als Parteimitglied engen Kontakt hat, stellten in der Bezirksvertretung (BV) in der Oktober-Sitzung schließlich einen Antrag auf Kostenübernahme. Gut 5600 Euro sollte der Bücherschrank kosten, zu viel für den Verein. Da für Bücherschränke im Stadtbezirk ohnehin Haushaltsmittel verplant worden waren, stimmte die BV einstimmig zu.

Nun schien alles geritzt. Das CJD konnte jedoch mangels Personal und Rohstoffen den Bücherschrank kurzfristig nicht mehr bauen. Ergo lief die Sondernutzungserlaubnis Ende 2023 ab - und Ngandou musste eine neue beantragen. Da er die genehmigten BV-Mittel nicht im Haushaltsjahr 2023 verwendet hatte, musste er sich auch dort mehrfach rechtfertigen.

Baubeginn erst im Sommer 2024

Erst im Sommer 2024 konnte die Jugendhilfewerkstatt endlich loslegen. Den Aufbau visierte das CJD für September 2024 an - daraus wurde bekanntlich nichts. Eine Baustelle auf dem Heinrich-Sondermann-Platz vereitelte die Pläne. Und so wurde der Bücherschrank erst mit drei Monaten Verspätung aufgestellt.

Ein Happy End hatte Ngandou damit aber noch nicht. „Im Kostenvoranschlag des CJD war die Mehrwertsteuer nicht berechnet worden“, sagt er. Die Fraktion B90/Die Grünen stellte in der BV im Januar erneut einen Antrag, um auch die Mehrkosten zu übernehmen - mit Erfolg.

Der nachträgliche bürokratische Aufwand ist auch ein Grund, warum der Bücherschrank noch nicht offiziell eingeweiht wurde. „Ich wollte erst das Finanzielle abhaken, bevor ich die Eröffnung plane“, begründet Ngandou. Die visiert der Verein nun für April an, wenn es warm genug für ein kleines Fest ist.

Lukas Joswig, Yacouba Coulibaly und Wilfried Ngandou (v.l.) zeigen eine kleine Auswahl der Bücher, die in dem neuen Schrank auf dem Heinrich-Sondermann-Platz zu finden sind.
Lukas Joswig (l.) und Yacouba Coulibaly (M.) betreuen den Bücherschrank und schauen jeden Tag nach dem Rechten. Der Verein Afrika 21, dessen Vorsitzender Wilfried Ngandou (r.) ist, trägt die Verantwortung für den Schrank. © Julia Kowal

„Dass etwas, das so simpel aussieht, einen solchen Rattenschwanz an Bürokratie nach sich zieht, hätte ich nie gedacht“, so Ngandou. All die Formalitäten und Absprachen hätten ihn viel Energie gekostet: „Ich mache das alles im Ehrenamt, neben meiner Vollzeitstelle und als Vater von drei Kindern.“

Nun aber ist der Lütgendortmunder stolz und betont: „Die Mühe hat sich gelohnt, es sollte noch viel mehr Bücherschränke geben.“ Anderen, die einen Bücherschrank errichten wollen, rät er, sich Partner und einen Standort auf Privatgelände zu suchen - dann entfällt nämlich die Sondernutzungserlaubnis. „Es muss auf jeden Fall ein Herzenswunsch sein, sonst ist der Aufwand zu groß“, sagt Ngandou.

Mehr Bücher in der Nähe

Die Verantwortung für den Schrank trägt der Verein Afrika 21 e.V. allein, die Mitarbeitenden der JFS sowie die Kinder und Jugendlichen betreuen den Bücherschrank aber maßgeblich mit. „Wir schauen jeden Tag nach dem Rechten“, betont JFS-Leiter Lukas Joswig.

Mit dem Bücherschrank möchte der Verein ein niederschwelliges Angebot schaffen: „An einem Bücherschrank geht man vorbei und kann ohne Aufwand stöbern“, sagt Ngandou. Viele Menschen, die er über seinen Verein kennengelernt hat, würden Bibliotheken gar nicht kennen oder sogar scheuen.

„Ein Bücherschrank ist einfacher und macht Lust auf mehr Bücher“, so Ngandou. Die können sich Lese-Fans im Fall dieses Bücherschranks in unmittelbarer Nähe besorgen: Die Stadtteilbibliothek ist nur ein paar hundert Meter entfernt.