"Das jüdische Leben gehört zu Dortmund" Erinnerung an "Reichspogromnacht"

"Das jüdische Leben gehört zu Dortmund“: Erinnerung an Reichspogromnacht
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In ganz Deutschland wurden in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 jüdische Geschäfte und Synagogen attackiert, jüdische Bürgerinnen und Bürger in ihren Wohnungen angegriffen. Als „Reichspogromnacht“ ging dieses Ereignis in die Geschichte ein, das ein erster Höhepunkt der Judenverfolgung im Dritten Reich war.

Mit mehreren Veranstaltungen wurde am Mittwoch (9.11.), dem Jahrestag der Pogromnacht, an die Ereignisse von damals und den folgenden Holocaust erinnert. Die zentrale Gedenkfeier der Stadt Dortmund mit der jüdischen Kultusgemeinde fand im Foyer des Opernhauses statt - dort, wo bis Oktober 1938 die große Dortmunder Synagoge stand.

In einem Vortrag referierte der Vorstandsvorsitzende der Moses Mendelssohn-Stiftung Prof. Dr. Julius Schoeps über den „latenten Judenhass“ und ging dabei vor allem auf die aktuellen Diskussionen um mittelalterliche antijüdische Schmäh-Skulpturen und antisemitische Bilder auf der Kunstausstellung Documenta in Kassel ein.

Vor den Augen aller Deutschen

Zuvor standen aber auch die lokalen Ereignisse von 1938 und das jüdische Leben in Dortmund in der Gegenwart im Mittelpunkt. „Die Pogrome in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 geschahen vor den Augen aller Deutschen“, merkte Zwi Rappoport, der Vorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe, an. Viele hätten die Ereignisse, wenn sie nicht sogar unterstützt wurden, hingenommen und geduldet.

Gemeinsam legten (v.l.) Oberbürgermeister Thomas Westphal, Rabbiner Avigdor Moshe Nosikov und Zwi Rappoport, der Vorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe, Kränze am Gedenkstein für die alte Synagoge nieder.
Gemeinsam legten (v.l.) Oberbürgermeister Thomas Westphal, Rabbiner Avigdor Moshe Nosikov und Zwi Rappoport, der Vorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe, Kränze am Gedenkstein für die alte Synagoge nieder. © Schaper

„Heute fühlen wir uns in Dortmund wieder zu Hause“, betonte Rappoport. „Aber von einer echten Normalität ist die Gemeinde noch weit entfernt.“ Noch gehörten besondere Sicherheitsvorkehrungen und Schutz durch die Polizei zum Alltag. Antisemitische Vorfälle und Hassreden hätten, verstärkt durch die Sozialen Medien, zugenommen.

Auch zahlreiche Schüler nahmen an der Gedenkveranstaltung am Wilhelmplatz in Dorstfeld teil.
Auch zahlreiche Schüler nahmen an der Gedenkveranstaltung am Wilhelmplatz in Dorstfeld teil. © Oliver Schaper
Thomas Westpfahl hielt eine Rede bei der Gedenkstunde im Foyer des Opernhauses.
Thomas Westpfahl hielt eine Rede bei der Gedenkstunde im Foyer des Opernhauses. © Oliver Schaper

Umso wichtiger sei die gelebte Erinnerungskultur, erklärte Zwi Rappoport – „damit nicht die Kräfte Oberhand gewinnen, die die Vergangenheit abschütteln oder gar wiederholen wollen“.

Oberbürgermeister Thomas Westphal erinnerte beispielhaft an das Schicksal der jüdischen Familie Kronenberg aus Dortmund, der an der Bornstraße mit Stolpersteinen gedacht wird. Sie wurde in Auschwitz ermordet - wie hunderte andere Dortmunderinnen und Dortmunder. „Gedenken ist wichtig, aber wird allein nicht reichen“, sagte Westphal. Es müsse alles getan werden, um auch heute noch Antisemitismus zu begegnen, der häufig mit Verschwörungstheorien verbunden sei.

Wichtig sei, das jüdische Leben in dieser Stadt zu ermöglichen, gerade auch im Alltag, betonte der Oberbürgermeister. Dazu gehöre auch, miteinander zu feiern. „Das jüdische Leben gehört zu Dortmund. Und darauf sind wir stolz“, sagte Westphal

Keine Störungen durch Neonazis

Die zentrale Gedenkveranstaltung anlässlich der Pogromnacht am 9. November 1938 fand am Mittwoch im Foyer des Opernhauses statt.
Die zentrale Gedenkveranstaltung anlässlich der Pogromnacht am 9. November 1938 fand am Mittwoch im Foyer des Opernhauses statt. © Oliver Schaper

Auch an anderen Orten in Dortmund wurde der Ereignisse vor 84 Jahren gedacht. Am Dorstfelder Wilhelmplatz legten Vertreter der Jüdischen Gemeinde und der Stadt einen Kranz am Jüdischen Mahnmall ab.

Neben dem Gedenken gab es ein Begleitprogramm von Schulen, Vereien und Initiativen zu den Themen Nationalsozialismus, Antisemitismus, Israel oder Zivilcourage.

Beteiligt waren an der Veranstaltung, die von den Quartiersdemokraten organisiert wurde, unter anderem die Organisationen Adira NRW, Rias NRW, CVJM Dortmund, der Förderverein der Steinwache und das Reinoldus-Schiller-Gymnasium.

In den Vorjahren war es bei der Gedenkveranstaltung häufiger zu Störungen durch Neonazis, die in Dorstfeld wohnen, gekommen. Die blieben in diesem Jahr aus.

Das Bündnis Dortmund gegen Rechts veranstaltete ebenfalls ein Gedenken. An der Katharinentreppe gab es die Aktion „Scherbenspur“, die an die Ereignisse der Pogromnacht vor 84 Jahren erinnerte.

Die Veranstalter sagten dazu „Die Erinnerung an diese grauenvolle Nacht muss wachgehalten werden! Auch heute ist es dringend geboten, Antisemitismus, Rassismus und Neonazismus entgegenzutreten.“

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