Eine undatierte Aufnahme aus dem Hotel Biedermeier. Das Hotel-Restaurant war damit die erste Adresse am Westenhellweg. © Stadtarchiv Dortmund
Geheimnisse des Westenhellwegs
Das Hotel Biedermeier: Wo sich Dortmunds Bierbarone um ihre Reviere stritten
Heute der schnelle Imbiss, früher das feine Restaurant: Gastronomie spielte immer eine Rolle am Westenhellweg. Wegweisend war das Hotel Biedermeier – auch für Dortmunds Systemgastronomie.
Systemgastronomen und Imbisse gibt es heute alle paar Meter auf dem Westenhellweg. Mc Donald‘s, Nordsee, Wurst Willi – und in der Thier-Galerie gleich eine ganze Etage für das schnelle Essen in der Shopping-Pause. Wer Hunger hat, wird schnell fündig auf Dortmunds Shoppingmeile.
Ein richtiges Restaurant, eines, wo man vom Kellner bedient wird und für das man sich vielleicht auch mal ein bisschen fein macht, gibt es dagegen nicht am Westenhellweg. Nicht mehr.
Das Haus Biedermeier am Westenhellweg 65
Als sich der Westenhellweg zu Beginn des 20. Jahrhunderts langsam zur Einkaufszone entwickelte, gab es dort noch etliche Gastronomien. Cafés, Kneipen, Bars und Restaurants gehörten ebenso zum Straßenbild wie die klassischen Geschäfte. Bis in die 70er-Jahre war auch das Haus mit der Nummer 65 – gegenüber von Kaufhof – prägend für den Gastronomiestandort Westenhellweg.
Bis Mitte des 20. Jahrhunderts lag dort das Hotel Biedermeier. Es gehörte zur nicht weit entfernten Privatbrauerei Thier und beherbergte neben Hotelzimmern auch ein Restaurant und eine Bar.
Wer im Biedermeier essen ging, der hatte auch Geld
Margit Segbers kann sich noch gut an das Hotel Biedermeier erinnern. Als Kind sei sie manchmal dorthin mitgenommen worden, erzählt die heute 90-jährige Dortmunderin: „Es war ein ganz exklusives und traditionelles Restaurant.“
Wer dort essen ging, der hatte auch Geld, sagt sie. Alles sei sehr schick gewesen: „Die Gäste saßen auf gepolsterten Stühlen und haben sich richtig auftischen lassen, zum Beispiel Gans“, sagt sie. Es sei damals eine ganz andere Zeit gewesen. „Es gab so viele exklusive Geschäfte auf dem Westenhellweg.“
Das Restaurant im Hotel Biedermeier war sehr exklusiv. Opulent ausgestattet war zum Beispiel der Fest- und Hochzeitssaal. © Stadtarchiv Dortmund
Auch Peter Cremer kann viele Geschichten aus dem Hotel Biedermeier erzählen. Seiner Familie gehörte die Thier-Brauerei – und damit auch das Hotel. Dementsprechend haben sich dort auch so manches Mal Geschichten zugetragen, die mit dem Brauereiwesen in Dortmund zu tun hatten.
Geschäfte in der Herz-Jesu-Bar
Zum Hotel, erzählt Peter Cremer, gehörte auch die Noris-Bar – benannt nach dem in Dortmund produzierten Noris-Weinbrand. Im Volksmund allerdings war die Bar vor allem als Herz-Jesu-Bar bekannt. Die Thier-Brauerei, erklärt Cremer, habe damals als die katholische Brauerei gegolten. Und so habe sich dieser Name ergeben.
In den 50er-Jahren, in der Zeit des Wiederaufbaus, war der Bier-Markt in Dortmund stark umkämpft. Neben der Thier-Brauerei gab es etliche weitere Brauereien in der Stadt, unter anderem die Union-Brauerei. Und so kam es damals zu einer wichtigen Begegnung zwischen Josef Cremer, dem Vater von Peter Cremer und damaligen Chef der Thier-Brauerei, und Dr. Felix Eckardt, dem Generaldirektor der Union-Brauerei.
Kriegsansage oder bloße Drohung?
Der Vorstand der Union-Brauerei habe sich damals beschwert, dass Josef Cremer in deren Kundschaft wilderte, erzählt Peter Cremer. Er soll versucht haben, Kunden davon zu überzeugen, statt Union-Bier fortan Thier-Bier zu trinken. Um das Problem zu klären, trafen sich Cremer und Eckardt in der Herz-Jesu-Bar. Sie tranken etliche Thier-Pilschen und beschlossen, sich fortan zu duzen. Zu einem Treffen mit dem Union-Vorstand am nächsten Tag soll Felix Eckardt erst später gekommen sein, weil er sich noch ausschlafen musste.
Die Noris-Bar wurde im Volksmund Herz-Jesu-Bar genannt, weil sie der als katholische Brauerei geltenden Thier-Brauerei gehörte. © Stadtarchiv Dortmund
Die Sache schien geregelt. Bis Josef Cremer wenig später Post von Dr. Felix Eckardt bekam: „Sehr geehrter Herr Cremer“, stand darin. „wie der Außendienst berichtete, wildern Sie wieder in unseren Gefilden. Für jede Gaststätte, die Sie uns wegnehmen, nehmen wir zwei.“ Doch Josef Cremer ließ sich von der Kriegsansage nicht beeindrucken, kommentierte den Brief lediglich als bloße Drohung, berichtet sein Sohn. Und dabei blieb es dann auch. Heute, sagt Peter Cremer, verbinde die beiden Familien eine Freundschaft.
Die Ära der Systemgastronomie
In den 60er-Jahren begann in den Restaurant-Räumen des Hotel Biedermeier eine neue Ära: die Zeit der Systemgastronomie. Die Familie Cremer verpachtete die Fläche an die Restaurantkette Wienerwald – und damit zog auch die erste Systemgastronomie an den Westenhellweg.
Wienerwald-Restaurants sprossen damals wie Pilze aus dem Boden. Der Laden in Dortmund, erzählt Peter Cremer, war schnell sehr in. Die Dortmunder liebten es, dort essen zu gehen. „Heute bleibt die Küche kalt, da gehen wir in den Wienerwald“, hieß der gängige Spruch. Im Angebot gab‘s im Wienerwald vor allem Hähnchengerichte.
Peter‘s Farm sollte der Nachfolger des Wienerwalds werden
Peter Cremer, der damals Betriebswirtschaft in Münster studierte, entwickelte damals selbst eine Idee für eine Restaurantkette. Peter‘s Farm sollte sie heißen, er ließ sich dabei vom Leben auf dem Bauernhof seiner Familie in Lüdinghausen inspirieren. Seinen ersten Laden, die Basis von Peter‘s Farm, wollte er dort eröffnen, wo der Wienerwald zu Hause war: am Westenhellweg 65. „Ich war bereit, ein Drittel mehr Pacht zu zahlen“, sagt er. Sein Vater war einverstanden, doch sein Onkel, Dr. Walter Cremer, hatte etwas dagegen.
Peter Cremer begrub die Idee vom Einstieg in die Systemgastronomie. Und die Familie Cremer beendete 1970 das Kapitel Gastronomie, indem sie auch den Betreibern des Wienerwalds kündigte. Die Restaurantkette zog dann an die Hohe Straße / Ecke Beurhausstraße. Die Familie Cremer schloss für ihre Immobilie einen Erbbaurechtsvertrag über 40 Jahre mit dem Sportartikelgeschäft Voswinkel. Seit einigen Jahren ist im Erdgeschoss des Hauses nun der Drogeriemarkt Rossmann beheimatet.
Die Systemgastronomie hat den Westenhellweg indes fest im Griff. Currywurst, Burger und Pommes gibt‘s mittlerweile an jeder Ecke.
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