Daria (17) floh vor dem Krieg nach Schytomyr „Ich habe gesehen, was in den Medien nicht gezeigt wird“

Daria (17) floh vor dem Krieg nach Schytomyr: „Ich habe gesehen, was in den Medien nicht gezeigt wird“
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Als Daria gefragt wird, ob sie deutschen Journalisten ein Interview geben möchte, setzt sie sich sofort in ein Taxi und fährt in die Innenstadt von Schytomyr. Auf einer Parkbank wartet sie auf die Journalisten, eine schüchterne 17-Jährige, die trotzdem genau weiß, was sie der Welt erzählen will.

Daria war 15 als sie Charkiv verlassen musste. Mit ihren Pflegeeltern floh sie, als russische Truppen die Großstadt in der Ostukraine erreichten. Soldaten hätten auf das Auto geschossen, in dem sie saßen, sagt Vitalii, der für die Reporter aus dem Ukrainischen ins Englische übersetzt.

Drei Tage auf der Flucht

Das war im Mai 2022. Daria wollte nicht fliehen, Charkiv war ihr Heimatort, der Ort ihrer Kindheit und der Erinnerung an ihre verstorbenen Eltern. Als sie sich dann doch auf die Reise in die Westukraine machten, erst mit dem Auto, dann mit dem Zug, dann mit dem Bus, wurde es höchste Zeit. Eine Woche nach ihrer Flucht wurde das Haus von Daria und ihrer Pflegefamilie bei einem Luftangriff komplett zerstört. Drei Tage lang waren sie auf der Flucht, obwohl zwischen Schytomyr und Charkiv nur 600 Kilometer liegen. Dabei hatte sie nur einen Rucksack. Was das Wichtigste war, das sie mitgenommen hat? Fotos von ihren Eltern.

Als Daria acht Jahre alt war, verlor sie erst ihre Mutter, dann wenig später ihren Vater an eine Krankheit. Eine Zeit lang kümmerte sich ihre Großmutter um sie, dann kam sie zu ihren Pflegeeltern. Dass Daria in ihrem jungen Leben viel mitgemacht hat, ist ihr anzumerken. Keine Spur von jugendlicher Leichtigkeit.

In Schytomyr musste sie sich ein neues Leben aufbauen: Ein neues Zuhause, neue Freunde, eine neue Schule. Sehr schwer sei das gewesen, übersetzt Vitalii. Was das Schwierigste für sie war? Das könne sie nicht sagen. „Everything is difficult“, alles ist schwer, übersetzt Vitalii.

„Ich habe alles gesehen“

Schlimm war es beispielsweise, das Training der ukrainischen Soldaten in Schytomyr mitzubekommen. Bei jedem Schuss hatte sie Angst - obwohl sie wusste, dass es nicht die feindliche Armee ist, die schießt. Heute fühle sie sich zu 100 Prozent sicher in Schytomyr. Bald fängt sie ein Studium an: Programmieren, Computer Design und Game Design. Auf ihre Zukunft blicke sie optimistisch - die Ukraine werde siegen.

Auf die Frage, was sie den Dortmundern sagen möchte, antwortet sie: „Russland ist kein Nachbar im freundschaftlichen Sinn.“ Und: Vieles, das in den russisch besetzten Gebieten passiert, sei in den Medien nicht zu sehen. Aber sie hat es gesehen: Die Massaker, die Gräueltaten, die Angriffe.

Daria aus Charkiv im Gespräch mit Reporterin Marie Ahlers
Daria aus Charkiv im Gespräch mit Reporterin Marie Ahlers © Gaby Kolle

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