Hassliebe. Sowas wie Schalke und Dortmund. Beide verabscheuen einander, doch ohne das Gegenüber würde beiden auch etwas fehlen. So oder so ähnlich sah auch mein Verhältnis zu der Dating-App Tinder aus.
Tinder zeigt einem Bilder von Menschen an. Gefällt mir die Person, gibt es einen „Swipe“ nach rechts. Gefällt sie mir nicht, wische ich nach links. Dieses Prinzip störte mich schon eine ganze Weile. Andererseits bot Tinder die Vorzüge, schnell neue Menschen zu finden. So entstand meine persönliche Tinder-Hassliebe.
Drei Wochen ist es her, dass ich die Dating-App Tinder deinstalliert habe. Zwei Sachen haben mich fundamental daran gestört: Einerseits hing ich gezwungenermaßen durch die App noch mehr am Smartphone als ohnehin schon. Immer wieder beobachtete ich mich dabei, wie ich in vermeintlich langweiligen Situationen zu meinem Smartphone griff.
Der Plan war, die Zeit am Handy zu drosseln
Betrachtet man den gesamten Tag, läppert sich der Handykonsum zu einer beachtlichen Menge. Daraus versuchte ich zu lernen und meine Handyzeiten zu drosseln. Tinder fiel dem Plan zum Opfer.
Der Ball für den Elfmeter, um Tinder zu versenken, lag also schon platziert im Sechzehner. Mehr noch: Es fühlte sich eher wie ein Elfer ohne Torwart, also ohne Gegenwehr, an.
Es gab kein inneres Abwägen, ob ich Tinder löschen sollte oder nicht. Ob die App nicht doch auch Vorteile habe. Ich hatte einfach genug davon. Die rote Flamme – das Logo von Tinder – war für mich erloschen. Ich störte mich schon so lange am ewigen Swipen und dem vermeintlichen oberflächlichen Dating.
Findet das wahre Kennenlernen nur im realen Leben statt?
Dass ich so wenig Lust auf die App hatte, hing aber auch damit zusammen, dass ich mit einem realen Kennenlernen romantisierte. Ich träumte davon, wie ich die „Richtige“ durch Zufall im Supermarkt oder beim Feiern kennenlernen würde. Wie sie sich ausgerechnet in meine Sitzgruppe in der U-Bahn setzen würde, obwohl die gesamte Bahn leer wäre, und wir uns daraufhin anlächelten. Das waren dann wohl diese Frühlingsgefühle, die ich hatte.
Ganze drei Wochen habe ich durchgehalten
Inzwischen habe ich mir Tinder wieder heruntergeladen. Manche würden meine Leistung angesichts dreiwöchiger Ausdauer als schwach bewerten. Doch ich sehe das anders. Ich habe mir einerseits zu keinem Zeitpunkt einen Wettbewerb auferlegt, wie lange ich die App deinstalliert haben müsse.
Das Löschen entstand aus einer Verkettung von Gründen und dem reinen Momentum. In dem Augenblick, als ich Tinder löschte, hat sich das richtig angefühlt. Jetzt fühlt es sich richtig beziehungsweise nicht falsch an, Tinder zu benutzen.
Außerdem habe ich die gewonnene Zeit auch genutzt, um mein Online-Dating reflektieren zu können. Die Nutzung von Tinder hatte bei mir immer so einen oberflächlichen Beigeschmack. Doch diesen Beigeschmack brauchte es gar nicht. Das reine Swipen mag vielleicht gehaltlos erscheinen, doch alles, was ich aus dem daraus resultierenden mache, ist meine Sache.
Eine Frau durch einen Swipe kennenzulernen, heißt nicht, dass unser zukünftiges Verhältnis nicht von Tiefe geprägt sein kann. Umgekehrt kann nach einem tiefgehenden Kennerlenen auch ein geistloses Verhältnis entstehen. Es kommt immer auf die Beteiligten an, wie viel daraus entstehen kann.
Meine auferlegten Regeln
Außerdem muss ich kein Entweder-oder-Leben führen. Trotz der Tinder-Nutzung auf meinem Handy, kann ich immer noch eine Frau in der Gemüseabteilung eines Supermarktes oder beim nächsten Partyabend kennenlernen. Andersrum darf ich tindern, wenn mir danach ist.
Meiner Hassliebe ist Neutralität gewichen. Und damit ich noch meine Bildschirmzeit drossele, habe ich mir nebenbei noch ein paar Tinder-Regeln auferlegt. Jetzt erwische ich mich kaum noch an der App.
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