Wem ein Flugzeug eine Dachpfanne vom Haus reißt, der muss schon vorher einen Dachschaden gehabt haben, so erklärt der Flughafen Dortmund entsprechende Fälle im Umland. Eine Betroffene widerspricht.

Unna

, 10.09.2020, 12:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Für Brigitte Harth war der Vorfall im Juli eindeutig: Tiefer als üblich und auf einer ungewöhnlichen Anflugroute habe ein Flugzeug ihre Siedlung überquert, als plötzlich sieben Dachpfannen von ihrem Haus abgehoben wurden und herabrutschten. Der Dortmunder Flughafen bezahlte die Reparatur – und wies dennoch jede Schuld von sich. Doch der Geschädigten geht es um mehr als ums Geld.

Die Massenerin will, dass die Öffentlichkeit die Wahrheit zu wissen bekommt über jenen Vorfall. Und sie mutmaßt, dass es der Flughafen damit nicht allzu genau nimmt. Eine Aussage der Betreibergesellschaft stößt ihr persönlich sauer auf, weil ihr im Grunde eine Mitschuld an dem Gebäudeschaden gegeben werde.

Flughafen zahlt Rechnungen nur „aus Kulanz“

In einer Stellungnahme gegenüber unserer Redaktion hatte der Flughafen bestätigt, die Reparaturrechnung für das Haus an der Massener Dorfstraße bezahlt zu haben. Zugleich betonte er, dass dies aus Kulanz geschehen sei und „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“. Der Flughafen bezahlt also Rechnungen, von denen er ausgeht, sie eigentlich nicht zahlen zu müssen – im Fall von Frau Harth für ein Gebäude das demnach schon vorher nicht mehr intakt gewesen sei.

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Zu den möglichen Ursachen für das Herabstürzen der sieben Dachpfannen äußerte sich die Flughafengesellschaft in der vergangenen Woche mit diesen Worten: „Nach Prüfung der vorliegenden Gebäude- und Flugdaten geht der Flughafen Dortmund davon aus, dass Vorschäden die eigentliche Ursache für die Beschädigung am Dach waren. So kann ein Flugereignis zwar Auslöser, aber nicht Schadensursache sein. Eine zusätzliche Sicherung eines ansonsten mangelfreien Daches wird als nicht erforderlich angesehen.“

Geschädigte findet Aussagen des Flughafens „unverschämt“

Brigitte Harth bezweifelt dies – und fragt, woher die Daten denn stammen, auf die sich der Flughafen bezieht. „Der Dachdecker hat mir bestätigt, dass das Dach in gutem Zustand sei. Und zudem hat er mir bestätigt, gegenüber dem Flughafen keine Aussage über den Zustand des Gebäudes getan zu haben. Woher nehmen die also diese Einschätzung?“, fragt die Massenerin, die die Behauptung des Flughafens „ziemlich unverschämt“ findet.

Stichwort: Wirbelschleppe

Die unsichtbare Gefahr der Luftfahrt

  • Luftverwirbelungen an der Tragfläche sind in der Luftfahrt nicht nur normal, sondern auch unerlässlich. Denn es sind die Strömungsunterschiede der Luftführung unterhalb und oberhalb eines Flugzeugflügels, die die Luft hinter der Tragfläche nach unten beschleunigen und für den Auftrieb sorgen. Allerdings haben diese Verwirbelungen Nebenwirkungen.
  • An den Enden der Tragflächen „mischt“ sich die nach unten beschleunigte Luftmasse mit der unbewegten daneben. Sie gerät dadurch in eine Drehbewegung. Rechts und Links entstehen an den Flügelspitzen Luftwirbel, die in entgegengesetzte Richtung rotieren und sich hinter dem Flugzeug wie eine abwärts gerichtete Kordel oder ein Zopf ineinander drehen.
  • Diese Luftwirbel sind auch für nachfolgende Flugzeuge eine Gefahr, da sie heftige Turbulenzen oder einen Strömungsabriss auslösen können. Aus diesem Grund gibt es zwischen Starts und Landungen in derselben Richtung immer eine Pause.
  • Die Kraft einer Wirbelschleppe hängt auch vom Gewicht eines Flugzeugs ab: Je schwerer der Flieger ist, desto mehr Luftbeschleunigung nach unten muss an der Tragfläche entstehen, um den Flieger in der Luft zu halten.
  • In weiterer Entfernung vom Flugzeug nimmt die Energie der Wirbelschleppe ab, weil sich die bewegte Luftmasse immer stärker mit der umgebenden vermischt.

Der Flughafen mag diese Frage nicht beantworten, zumindest nicht im öffentlichen Raum. „Wenn Frau Harth noch Fragen an den Flughafen hat, kann sie sich gerne wie in der Vergangenheit auch direkt an uns wenden. (...) Wir glauben nicht, dass es der richtige Weg ist, über die Presse weitere Details zu klären, sondern beantworten ihr gerne offene Fragen direkt“, hieß es dazu von der Pressestelle des Unternehmens. Und in der durchaus zur Veröffentlichung bestimmten Stellungnahme, die der Flughafen unserer Redaktion vorgelegt hat, fänden sich keine korrekturbedürftigen Aussagen.

Doch auch andere Beobachter stellen Aussagen des Flughafens auf den Prüfstand. So hat der Flughafen mitgeteilt, dass sich „der letzte anerkannte Wirbelschleppenvorfall“ im Jahr 2008 ereignet habe. Offensichtlich aber gibt es zwischen anerkannten und nur aus Kulanz bezahlten Fällen eine Unterscheidung.

Lose Dachpfannen kein Einzelfall

Die vereinseigenen Statistiken der Schutzgemeinschaft Fluglärm weisen vier Fälle von Schäden an Gebäuden aus, die sich nach 2008 ereignet haben. In zwei Fällen konnte sogar der genaue Flug benannt werden, der seinerzeit als Auslöser erschien. Drei andere Fälle hatten die jeweils Betroffenen unserer Zeitung gemeldet. Und die Geschädigte Brigitte Harth benennt drei Fälle aus der unmittelbaren Nachbarschaft, in denen der Flughafen 2015, 2016 und 2017 für Gebäudeschäden aufgekommen sei.

Meist waren es einzelne Dachpfannen, die sich gelöst hatten. In einem Fall erlitt eine Markise Totalschaden. Uneinheitlich erscheint das Abbild der Schadensorte: Mal hoben die Dachpfannen bei einem Anflug über Massen ab, mal in Aplerbeck. Einen Schaden hat die Schutzgemeinschaft Fluglärm rund 1500 Meter vor der Landeschwelle an der Bergstraße aufgenommen, andere in mehr als doppelt so großer Entfernung. Manche der Häuser stehen in der anerkannten Risikozone, andere außerhalb.

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Schäden wie die bei Brigitte Harth an der Massener Dorfstraße sind keine Einzelfälle. Der Flughafen reagiert darauf etwas widersprüchlich: In der Regel zahlt er, allerdings ausdrücklich nur aus gutem Willen und „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“.

Schäden wie die bei Brigitte Harth an der Massener Dorfstraße sind keine Einzelfälle. Der Flughafen reagiert darauf etwas widersprüchlich: In der Regel zahlt er, allerdings ausdrücklich nur aus gutem Willen und „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“. © Privat

Eine vollständige Übersicht aller Schäden, die im Zusammenhang mit Überflügen von Flugzeugen stehen oder stehen könnten, ist vermutlich nicht zu erstellen. Das Bild, das sich aus den Informationen der Bürgerinitiative oder der Berichterstattung unserer Zeitung ergibt, zeigt nur die Puzzlestücke, die von den jeweils Geschädigten vorgelegt worden sind.

Der Flughafen selbst hält sich mit Angaben, die den Charakter einer Selbstbezichtigung haben könnten zurück: „Seit 2003 wurden dem Flughafen Dortmund zwar vereinzelt Vorfälle gemeldet, die jedoch nach näherer Untersuchung keinem Flugereignis zuzuordnen waren bzw. andere Ursachen hatten“, schreibt er auf eine Anfrage unserer Redaktion. Wie im Fall von Frau Harth seien auch dabei „in der Regel die Kosten für die Schadensbeseitigung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht übernommen“ worden.

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