Warum es jetzt sinnvoll ist, sich jeden Veranstaltungsbesuch gut zu überlegen

© Tobias Großekemper

Warum es jetzt sinnvoll ist, sich jeden Veranstaltungsbesuch gut zu überlegen

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Innerhalb von Tagen hat das Coronavirus das soziale Leben heruntergefahren. Warum so schnell? Wieso sind alle Veranstaltungen im Moment problematisch? Und wie geht es weiter?

Dortmund

, 14.03.2020, 04:30 Uhr / Lesedauer: 3 min

Am Mittwochabend, nach gut anderthalb Stunden Pressekonferenz zum Thema Coronavirus und den Folgen für Veranstaltungen in der Stadt Dortmund, stand folgende Frage im Raum: War hier gerade dafür plädiert worden, das komplette erweiterte soziale Leben in der Stadt herunterzufahren? „Wenn Sie das so interpretieren“, sagte Oberbürgermeister Ullrich Sierau, „dann interpretieren Sie das richtig.“

Dortmund und Deutschland erleben gerade einen historischen Einschnitt. Noch bevor das Coronavirus seinen Infektionshöhepunkt erreicht hat, bei dem niemand weiß, wie der aussieht und welche Folgen er hat, wird das gesellschaftliche Leben heruntergefahren. Alles, hier noch einmal OB Sierau, „um dafür zu sorgen, dass der Gipfel, der vor uns liegt, nicht so hoch liegt.“

Stolpern über die schweren Fälle

Der Dortmunder Gesundheitsamtschef, Dr. Frank Renken, sagt sinngemäß, dass mit den Absagen von Veranstaltungen eine Chance genutzt werden soll. Deutschland habe nämlich einen Informationsvorsprung im Vergleich zu Italien, als dort die Epidemie ausbrach.

In Deutschland wurde der Ausbruch relativ früh erkannt. Aktuell gebe es in Deutschland viele leichte Fälle und wenige schwere. Das Problem seien aber die wenigen schweren Verläufe der Krankheit Covid-19, die das Coronavirus verursacht.

Solche schweren Lungenerkrankungen müssen oftmals auf einer Intensivstation behandelt werden. Patienten müssen beatmet werden. Dafür sind die Kapazitäten in Deutschland begrenzt.

Zahl der Infektionen unten halten

Es geht darum, die Zahl der Infektionen und damit auch die Zahl der schweren Fälle, die gleichzeitig behandelt werden müssen, möglichst weit unten zu halten. So könne das Gesundheitssystem stabil gehalten werden.

Was passiert, wenn das zusammenbricht, ist gerade in Italien zu sehen. Hohe Sterblichkeitsraten und nicht genug Kapazitäten, um allen helfen zu können. Besonders nicht denen, die eine Erkrankung besonders hart trifft: Alte Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen, hier besonders Herz- und Lungenerkrankungen sowie Menschen mit einem heruntergefahrenen Immunsystem.

Was bedeutet exponentielle Ausbreitung?

Im Moment, sagt Dr. Frank Renken, gibt es in Deutschland wenige schwere und viele leichte Fälle der Coronavirus-Erkrankung. „Nichtsdestoweniger nimmt die Situation an Fahrt auf, innerhalb einer Woche hatten sich die Erkrankungsfälle in Deutschland versiebenfacht.“ Würde das so weitergehen, hätte Deutschland, was die Fallzahlen angeht, innerhalb der nächsten Woche Italien eingeholt. „Das wollen wir keinesfalls.“

Hinter der Versiebenfachung der Krankheitsfälle verbirgt sich eine exponentielle Ausbreitung beziehungsweise ein exponentielles Wachstum. Bei dieser Form des Wachstums findet eine Verdoppelung der Fälle in einem festen Zeitraum statt, das wird am Anfang gerne unterschätzt.

Ein Beispiel mit Schachbrett

Ein Beispiel dafür, auch der Dortmunder OB Sierau hat es bereits genutzt, ist das Schachbrett und die Reiskörner. Auf das erste Feld des Schachbretts wird ein Reiskorn gelegt, auf das zweite zwei Reiskörner, auf das dritte vier, auf das vierte acht. So geht es weiter, auf jedem einzelnen Feld wird die Zahl der Reiskörner verdoppelt.

Wenn man das durchspielt, kommt auf dem letzten Feld eine neunstellige Zahl an Reiskörnern zusammen. Mehr, als man sich vorstellen kann.

Man kann diese Rechnung jetzt nicht einfach für Krankheitsfälle aufmachen, aber das Beispiel verdeutlicht doch, was in Deutschland passieren würde, wenn es keine Reaktionen geben würde und das Leben so weiterlaufen würde wie bisher: Die Erkranktenzahl würde explodieren. Exponentielles Wachstum eben.

Jede Veranstaltung ist ein Risiko

Letztlich, sagt Dortmunds Sozialdezernentin Birgit Zörner, sollten alle Veranstaltungen, die nicht sein müssen, abgesagt werden. Das kann ein Skatturnier sein, ein Training der Altherrenmannschaft des örtlichen Handballclubs, ein Kinobesuch, ein Kirchen- oder Moscheebesuch oder auch die schon lang geplante Hochzeit mit vielen Besuchern der Verwandschaft aus dem ganzen Land.

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Solche rein privaten Veranstaltungen können, sagt Dortmunds Stadtsprecherin Anke Widow, von der Stadt nicht verboten werden. Was die Stadt aktuell aber tut, ist, dringend zu appellieren, solche Veranstaltungen dennoch abzusagen. Der Gedanke dahinter ist klar: Jetzt unterlassen, was nicht zwingend notwendig ist, um das, was zwingend notwendig ist, auch in Zukunft machen zu können.

Auch wird gerade an rechtssicheren Ordnungsverfügungen gearbeitet, um öffentliche Veranstaltungen auch mit weniger als 1000 Besuchern untersagen zu können, wenn Auflagen wie zum Beispiel die Identifikation aller Besucher nicht eingehalten werden können.

Klar ist, die Absage von Veranstaltungen trifft Veranstalter hart, auch Gaststätten, Kneipen und Kinos werden in finanzielle Schieflage kommen. Auch in Dortmund haben sich schon Gaststättenbetreiber entsprechend geäußert. Die fragt OB Sierau sinngemäß, was wirklich katastrophal ist: Aktuelle Umsatzeinbußen oder später keine Gäste mehr.

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