Trotz des hohen Ansteckungsrisikos mit Corona-Viren muss HNO-Arzt Sebastian Stoll zurzeit ohne Schutzmasken Patienten behandeln, weil es keine Schutzausrüstung gibt. Zahnärzten geht es ebenso.

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„Extrem hohes Ansteckungsrisiko“: Dortmunder Ärzten fehlt Schutzausrüstung

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Zahnärzte sowie HNO-Ärzte kämpfen zurzeit wie Feuerwehrleute in Badehosen: Sie haben keine Schutzmasken, wenn die Spucke fliegt oder sie Sekrete aus der Nase holen. Sie müssen es trotzdem tun.

Dortmund

, 24.03.2020, 06:30 Uhr / Lesedauer: 3 min

Im Kampf gegen das Coronavirus steht das medizinische Personal an vorderster Front. Gesundheitsminister Jens Spahn spricht von einem „Bollwerk“. Das ist in den Augen des niedergelassenen Dortmunder Hals-Nasen-Ohrenarztes Sebastian Stoll aber selbst schutzlos; denn ihm und seinem Praxisteam fehlen Gesichtsmasken und Schutzkleidung. Dabei sind seine Fachkollegen ebenso wie Zahnärzte und Oralchirurgen besonders betroffen.

„Wir haben als HNO-Ärzte ein extrem hohes Risiko, mit Corona infiziert zu werden, aber eventuell auch selbst Patienten mit Corona zu infizieren“, sagt Stoll. „Das liegt daran, dass wir den Patienten beim Untersuchen sehr sehr nahe kommen und die Nase das wohl größte Virusreservoir im Körper darstellt. Wir haben ein hohes Ansteckungsrisiko für uns selbst und unsere Patienten.“

Nicht eine einzige Maske

Der Berufsverband habe den HNO-Ärzten empfohlen, sich und die Patienten maximal zu schützen, zum Beispiel mit den oft erwähnten FFP 2-3 Masken und Schutzbrillen. „Die Krux ist, dass diese Sachen im Moment nicht bestellbar sind und bislang auch von der Kassenärztlichen Vereinigung nicht zur Verfügung gestellt werden können“, erläutert Stoll: „Wir haben nicht eine einzige dieser Masken in der Praxis.“

Da ist es wenig beruhigend, wenn der Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte feststellt, dass HNO-Ärzte seit Corona weltweit die Gruppe mit den meisten verstorbenen Medizinern ist.

Auf der Suche nach Schutzmasken hat Stoll am Montag (23.3.) mehr als drei Stunden lang Apotheken bis nach Ostdeutschland abtelefoniert. Erfolglos. Er selbst sei ein großer Verfechter der Idee, die Kurve der Infizierten flach zu halten, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten.

Allergietest aktuell nicht angesagt

Stoll sagt auch, dass sich vieles pragmatisch mit sinnvollem Ressourceneinsatz regeln lässt. Statt wegen Allergiebeschwerden Mund und Nase zu untersuchen, könne er auch in Zeiten von Corona zunächst nur Allergienasenspray und -tabletten verordnen und die erforderliche Spiegeluntersuchung zu einem anderen Zeitpunkt nachholen. „Doch dafür müssten Patienten über solche Lösungen aufgeklärt werden.“

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Die Praxis setzt im Moment verstärkt auf telefonische Beratung oder Videosprechstunde. Schon über 100 Patienten, so Stoll, habe man in den letzten Tagen so helfen können.


Viele Patienten hätten verstanden, dass der Kontrolltest vom Hörgerät aktuell nicht angesagt ist. Es gebe aber auch andere, die schon bei drei Ärzten gewesen seien und sich jetzt auch noch eine vierte Meinung einholten.

Auch Zahnärzte sind hoch gefährdet: Einige Zahnarztpraxen hätten seit letzter Woche geschlossen, berichtet ein Dortmunder Zahnarzt, der nicht namentlich genannt werden möchte. Trotz der Ansteckungsgefahr für ihn und seine Patienten bei fehlender Schutzkleidung hält er seine Praxis offen. Muss er auch.

Die Bundeszahnärztekammer hat die Vertragszahnärzte darauf hingewiesen, dass sie grundsätzlich „verpflichtet“ sind, Patienten zu behandeln – es sei denn, die Praxisschließungen würden nach dem Infektionsschutzgesetz behördlich angeordnet. Das zeichnet sich aber nicht ab.

Bedarf an Schutzkleidung abgefragt

Die gesicherten Rahmenbedingungen zur Erfüllung der zahnärztlichen Aufgabe stehen zurzeit mehr als in Frage - auch, wenn die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe in einem Rundschreiben an ihre Mitglieder eine Abfrage zum Bedarf an chirurgischem Mundschutz, Einmalhandschuhen und Desinfektionsmittel gestartet hat.

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„Sie versuchen, uns Schutzausrüstung zu besorgen“, sagt der Zahnarzt, „und hoffen auf diese Woche. Das hören wir aber jetzt schon seit drei Wochen.“ Einen offiziell infizierten Patienten sollen Zahnärzte in die Klinik schicken.

„Das Tückische an der Krankheit ist aber doch, dass man das nicht weiß, ob jemand infiziert ist“, so der Dentist. Er selbst hat am Wochenende bei einem Rasenmäher-Geschäft Schutzvisiere bestellt, wie man sie aus dem Arbeitsschutz kennt. „Die sollen am Mittwoch kommen.“

„Wir sitzen auf dem Präsentierteller“

Sein Team sei bereit und habe grundsätzlich eingesehen, dass in einer Zahnarztpraxis eine Erkrankung in Kauf genommen werde. Der Zahnarzt: „Wir sitzen auf dem Präsentierteller. Es ist echt hart, dass wir keine Schutzausrüstung haben. Wenn der Patient es hat, dann kriegst du es auch.“

Er selbst hat sich nach einem Tirol-Urlaub vor zwei Wochen testen lassen. Negativ. Es habe zwar über das Wochenende vier Tage gebraucht, bis sich das Gesundheitsamt nach seiner Testanfrage bei ihm gemeldet habe, doch das Ergebnis habe er nach 24 Stunden gehabt, erzählt er. Dagegen ringe ein Freund von ihm außerhalb Dortmunds jetzt um sein Leben.

Katrin Menzebach ist Vorsitzende des Dortmunder Zahnärzte-Vereins, dem mehr als 200 der 350 niedergelassenen Zahnärzte in Dortmund angehören. Die Redaktion hat sie zu den Problemen befragen wollen. Sie sah sich aber nicht in der Lage, Auskünfte zu erteilen. Sie sagte nur: „Es gibt keine gerade Linie.“