
© Oliver Nauditt
Gut Königsmühle: Isolation soll für behinderte Menschen wie Urlaub sein
Coronavirus
Die Wohn- und Lebensgemeinschaft auf Gut Königsmühle hat sich in der Corona-Krise komplett abgeschottet. Seit fast drei Wochen ist der Kontakt zur Außenwelt gekappt. Von Lagerkoller keine Spur.
Mit der Corona-Krise kam für die Bewohner der Wohn- und Lebensgemeinschaft des „Christopherus-Hauses“ auf Gut Königsmühle der Urlaub. Die freien Tage verordnete ihnen Leiterin Ulrike Hartung am 13. März – noch vor der offiziellen Schließung aller Behinderten-Werkstätten.
„Seit dem 18. März haben wir uns dann die totale Isolation auferlegt“, sagt die 56-Jährige. Konkret heißt das: Niemand darf die behinderten Menschen besuchen, keiner der Bewohner und Mitarbeiter darf den inklusiven Begegnungshof in Ellinghausen verlassen, jeder Kontakt zur Außenwelt ist tabu.

Einmal am Tag öffnet für eine Stunde das „Büdchen“, dann können sich die Bewohner mit Süßigkeiten, Chips und Getränken eindecken. © privat
„Alle ziehen mit, auch die Angehörigen“, sagt Ulrike Hartung. Jedem sei der Ernst der Lage bewusst. „Mindestens vier der Bewohner haben ein erhöhtes Risiko und dürfen sich keinesfalls infizieren.“ Die meisten hätten ein schwaches Immunsystem.
Nur drei Mitarbeiter sind während der Corona-Krise im Einsatz
Aufgrund der Abschottung sei das neunköpfige Team aus Heilerziehungspflegern, Erziehern, Sozialassistenten, Alltagsbegleitern, Gesundheits- und Krankenpflegern erheblich geschrumpft. Um Außenkontakte strikt zu vermeiden, könnten nur die Mitarbeiter im Einsatz sein, die auf dem Gut wohnen. „Deshalb sind wir zu dritt.“
Dass ihre beiden jungen Mitarbeiter (Mitte 20) so mitziehen würden, sei schon besonders, betont Hartung. Die Kollegen draußen würden sie mit Lebensmitteln versorgen – alles kontaktlos – und in den Einrichtungen in Bochum und Witten helfen.
Die zwölf Bewohner der Wohn- und Lebensgemeinschaft haben unterschiedliche Handicaps. „Down-Syndrom, autistische Lebenssituationen, körperliche Beeinträchtigungen und Mehrfach-Behinderungen“, zählt Ulrike Hartung auf. Einige hätten etwas länger gebraucht, die Corana-Krise und ihre Folgen zu begreifen.

Ulrike Hartung leitet die Wohn- und Lebensgemeinschaft. © (A) Oliver Schaper
Auf der Internetseite der Lebenshilfe finde man Erklärungen in einfacher Sprache. „Ich glaube aber auch, dass wir als Vorbild handeln. Die Bewohner verstehen es besser, weil wir auch nicht weggehen.“
Urlaubsstimmung statt Lagerkoller
Bislang seien alle gesund, freut sich Ulrike Hartung an Tag 16 der selbst gewählten Isolation. Vom Lagerkoller sei man weit entfernt. Im Gegenteil. „Die Tage sind bislang sehr kurzweilig.“
Alle seien in einer Art Urlaubsstimmung. Dafür sorgten unter anderem tägliches Ausschlafen, ein Frühstücksbuffet „wie im Hotel“ und ein abwechslungsreiches Programm.
„Die Bewohner können Basketball spielen, wir haben für sie ein Heimkino eingerichtet, und jeden Nachmittag öffnet für eine Stunde unser internes Büdchen. Da können sie sich mit Süßigkeiten, Chips und Cola eindecken“, berichtet Ulrike Hartung.

Nach dem Ausschlafen wartet auf die Bewohner ein üppiges Frühstücksbuffet - wie in einem Hotel. © Ulrike Hartung
Alle seien aber auch gut darin, sich selbst zu beschäftigen. „Sogar die kleinen Aufgaben im Haushalt machen den Bewohnern Spaß“, so die 56-Jährige. Abends besuche sie jeden Schützling in seinem Zimmer. „Unser Plauschstündchen.“
„Wir sind als Gemeinschaft noch mehr zusammengewachsen“
Die Bewohner würden sich in dieser „besonderen Klausur“ offensichtlich wohlfühlen. Dabei helfe auch die gleichsam abgeschiedene wie idyllische Lage von Gut Königsmühle. „Im Moment leidet hier Gottseidank niemand“, so Hartung. Durch die Corona-Krise sei man als Gemeinschaft noch mehr zusammengewachsen.

Damit es den jungen Erwachsenen in der Corona-Isolation nicht zu langweilig wird, haben die Mitarbeiter ein Heimkino eingerichtet. © Ulrike Hartung
Ulrike Hartung weiß, dass sie großes Glück hat. „Dass bei uns alles so positiv läuft, ist bestimmt unserer Infrastruktur, der glücklichen Situation meiner Mitarbeiter und auch der zehnjährigen Beziehungspflege geschuldet.“ 2010 zogen die ersten Bewohner in die Wohn- und Lebensgemeinschaft auf Gut Königsmühle ein.
In anderen Einrichtungen sei diese Zeit hingegen besonders schwierig, weiß Ulrike Hartung. „Wenn Mitarbeiter Familie haben, werden sie nicht einen solchen Einsatz leisten können, wie wir ihn gerade erleben. Dann stehen die Träger vor einer großen Herausforderung und haben wirklich große Probleme.“
1968 geboren und seit über 20 Jahren Redakteurin bei Lensing Media. Zuständig für den Dortmunder Westen mit seinen Stadtbezirken Lütgendortmund, Mengede und Huckarde sowie für die Stadt Castrop-Rauxel.
