Leben in der Generation Corona „Habe immer noch das Gefühl, als hätte ich was verpasst“

Von Marlene Körbel
„Ich habe so viel verpasst“: Der Corona-Jahrgang
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Die Mensa der TU Dortmund ist gut gefüllt. An den Tischen sitzen Gruppen an Studenten. Sie unterhalten sich über verschiedene Vorlesungsinhalte und eine Party vom letzten Wochenende. An einem Tisch direkt am Fenster sitzt Malte (22). Der Maschinenbaustudent hat im Jahr 2020 angefangen zu studieren.

In dem Jahr, an das sich niemand gerne zurück erinnert: Maskenpflicht, Ausgangsverbot, ein Geschäft schließt nach dem nächsten; die Corona-Pandemie verändert den Alltag der ganzen Gesellschaft. Begleitet von der andauernden Sorge, dass Familienmitglieder und Freunde krank werden könnten. Der Studienbeginn und auch der Schulabschluss von Malte gehen in dieser Zeit komplett unter.

In der nun vollen Mensa zu Beginn des Wintersemesters 2024/2025 erzählt Malte von der Zeit, von der er sagt, sie sei eine verlorene Zeit. „Mir fehlt ein großer Teil meiner Jugend.“

Eine Absage nach der anderen

Für ihn und für eine ganze Generation beginnt diese schwierige Zeit schon in der Oberstufe, im Frühjahr 2020. Für den damals 18-Jährigen ist die Schule viel mehr als nur ein Ort zum Lernen – sie ist das Zentrum seines Alltags. Jeden Tag steht er zur gleichen Zeit auf, steigt in den gleichen Bus und sieht tagtäglich seine Freunde. Zwölf Jahre lang lebt er in einem festen Gefüge und kennt nichts anderes.

Seit der fünften Klasse verfolgt der Schüler mit großen Augen, wie die älteren Jahrgänge in der jährlichen Mottowoche ihren Abgang feiern. Die letzte Schulwoche vor den Osterferien gehört auf eine Art und Weise nur den zukünftigen Abiturienten. Im Jahr 2020 aber fällt die Mottowoche aus. „Das war echt super traurig, die Woche kann man nie wieder nachholen“, erinnert sich Malte.

Auch der Anzug, den er extra für den Abiball gekauft hat, bleibt im Schrank hängen - denn auch der Abiball wird abgesagt. So oft hatte Malte sich diesen einmaligen Abend ausgemalt. Doch die Augenblicke, die er sich vorher nie wegdenken konnte, fallen alle weg. „Man hatte das Gefühl, und das habe ich auch immer noch, als hätte ich etwas verpasst“, erzählt er.

Was mache ich jetzt mit mir?

Nach dem abrupten Abschied von den 12 Jahren, die Malte in der Schule verbracht hat, steht er nun vor viel Ungewissheit. Der Lockdown zieht sich immer mehr in die Länge, den vorher so strukturierte Alltag aus der Schulzeit gibt es nicht mehr und Freunde, mit denen man vorher fast täglich Zeit verbracht hat, sieht man nur noch per Videochat. Malte fragt sich, wie es für ihn weiter gehen soll. „Ich wusste nicht richtig, wohin mit mir“, sagt er heute.

Auf der Suche nach neuem Ansporn, entscheidet er sich dann dazu, das Pflichtpraktikum für sein zukünftiges Maschinenbaustudium vorzeitig zu beginnen. „Dadurch bin ich endlich wieder raus gekommen.“

Virtueller Start

Im Oktober 2020 schreibt sich Malte dann für das Maschinenbaustudium an der Technischen Universität in Dortmund ein. Sowohl Erstis als auch die Uni müssen sich an die vielen Veränderungen anpassen. Der Präsenzunterricht wird eingestampft, das Uni-Gebäude geschlossen und die komplette Einführungswoche für die Erstis wird gestrichen.

Die sonst so gut besuchte jährliche Ersti-Begrüßung im Dortmunder Signal Iduna Park wird durch eine Online-Übertragung aus dem leeren Stadion ersetzt. Genauso geht es dann weiter.

Nachdem der Abschied von der Schulzeit Malte schon durch die Pandemie genommen wurde, freut er sich auf einen neuen Abschnitt. Eigentlich ist Malte ein sehr kontaktfreudiger Mensch, hat oft gute Laune und findet schnell Anschluss. Aber in der Anfangszeit funktioniert das gar nicht, denn mehr als kleine Kästchen auf der Videochatplattform Zoom sieht Malte monatelang nicht. „Die Kennenlernspiele waren alle online. Da konnte man sich gar nicht kennenlernen. Ich habe die Leute ja nur virtuell gesehen“, sagt der Student.

Der Studienbeginn ist für Malte eine komplette Enttäuschung: „Das hat man bis dahin nur in Filmen gesehen und hat eine bestimmte Vorstellung. So voll das coole Leben, du lernst viele Leute kennen, gehst auf Ersti-Partys und das gab es einfach gar nicht.“ Statt des ausgelassenen Studentenlebens, das sich Malte bis dahin immer ausgemalt hatte, steht der Student morgens auf und setzt sich zu Hause an den Schreibtisch. Einen Grund bei seiner Mutter auszuziehen, gibt es nicht. „Es gab keine Veränderung, ich habe mich gar nicht wie ein Student gefühlt, das war irgendwie surreal“, erzählt er und schüttelt den Kopf.

Ein Gebäude Trakt der Technischen Universität in Dortmund
Nach zwei langen Jahren kann Malte nun endlich das Gebäude der TU-Dortmund betreten. © Westerkamp (Archivbild)

Uni auf - Uni zu

Ein ganzes Jahr später, im Oktober 2021, gibt es dann endlich die Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen. Die Kneipentour der neuen Erstis steht an und die jetzt schon Drittsemester dürfen mitkommen. Malte nimmt Teil, denn er will jetzt endlich seine Kommilitonen kennenlernen. Bekannte Gesichter findet er jedoch kaum, denn in den Online-Veranstaltungen wurden nur selten Kameras eingeschaltet. „Mir haben die Namen was gesagt, aber viel weiter ging’s da nicht.“

Erst nach zwei langen Semestern dürfen die Studenten im Wintersemester des Jahres 2021 das erste Mal die Vorlesungssäle betreten.

Malte hofft, dass sein Studentenleben endlich losgeht. Bei der Kneipentour bildet sich eine Lerngruppe, die bis heute besteht. Er zieht im November von zu Hause aus und in eine Studenten-WG ein. Der Anreiz dafür, erzählt er, war der Drang nach Veränderung: „Ich habe ein Jahr lang nur zu Hause gehockt, das ging mir mega auf die Nerven. Ich dachte, jetzt muss ein Cut kommen.“

Nach dem Umzug und den ersten Präsenzveranstaltungen geht es bergauf. Doch die positiven Gefühle halten nicht lange an. Bis Weihnachten kann Malte in die Uni gehen, dann schließen sich die Türen der TU wieder. Das isolierende Online-Studium geht wieder von vorne los.

Präsenz-Uni, viele geben auf

In Maltes viertem Semester geht es dann doch wieder zurück in die Uni und dabei bleibt es dann diesmal. Trotz der Freude darüber, findet sich der Student nur schwer ein. „Ich habe im vierten Semester das erste Mal eine Präsenzklausur geschrieben, wo ich physisch einen Stift in der Hand hatte - das kannte ich vorher noch gar nicht.“

Der Druck ist durch die Präsenzklausuren auf einmal viel höher, die Art zu lernen wieder ganz anders. Die nächsten zwei Semester laufen deshalb nicht gut, berichtet Malte.

Die Herausforderungen führen dazu, dass viele in Maltes Jahrgang das Maschinenbaustudium abbrechen, wie uns die Pressestelle der TU Dortmund berichtet. Natürlich gibt es hierfür auch Gründe, die nichts mit der Pandemie zu tun haben. Trotzdem fällt die vermehrte Zahl der Abgänge im Wintersemester 2020/2021 auf. Laut Angaben der TU war die Anzahl der Exmatrikulationen zu der Zeit doppelt so hoch wie sonst im Median zwischen 2017 und 2024 - also dem Wert, der in einer geordneten Liste genau in der Mitte steht.

Das fällt auch Malte auf. „Am Anfang waren wir ungefähr 200 Leute. Letztes Semester saß ich in Pflichtvorlesungen mit 20 Leuten.“ Malte erzählt außerdem von einem Bekannten, der abgebrochen hat, weil er nach dem enttäuschenden Studienbeginn nochmal neu anfangen wollte.

Am Ende wird alles gut

Nachdem Malte sich durch den schwierigen Start geboxt hat, läuft das Studium nun sehr gut. Der Student hat sich immer wieder daran erinnert, optimistisch zu bleiben und nach neuen Herausforderungen gesucht. Aktuell arbeitet er sogar an der Uni und hat dort einen guten Anschluss gefunden. „Diese Hiwi-Stelle ist einfach Gold wert“, schwärmt er und lächelt.

Auch wenn er anfangs bereut habe im Jahr 2020 sein Studium begonnen zu haben, ist der Student nun positiv gestimmt: „Ich bin über den Berg jetzt drüber. Da mache ich mir eigentlich keine Sorgen mehr.“ Malte will sein Studium auf jeden Fall beenden und im kommenden Jahr 2025 seine Bachelorarbeit schreiben.