Eine Messerstecherei machte einen Konflikt öffentlich, der länger schwelt: Rocker gegen Clankriminelle. Doch welche Clans gibt es? Und was macht den Umgang mit ihnen so schwer? Ein Report.
Die Shisha-Bar, in der vor wenigen Sekunden der Innenminister verschwunden ist, ist aufgebaut wie ein Eisberg. Was man ihr, das ist der alte Trick der Eisberge, von außen nicht ansieht.
Oben, im Erdgeschoss, wirkt sie wie ein kleiner Laden. Die tatsächlichen Dimensionen der Shisha-Bar erkennt erst, wer durch einen engen und dunklen Flur gelaufen und eine Treppe herabgestiegen ist. Unten im Keller liegt neben einer eher semi-gepflegten Küche und zwei Lagerräumen hinter einer Stahltür eine Art Ballsaal. 20, vielleicht 25 Meter tief, sechs bis sieben Meter breit. Und auch aus diesem Saal geht noch eine weitere Tür ab.
„Unglaublich“, sagt der Innenminister. Und schaut sich um.
In diesem Raum stehen dann am Freitag vor einer Woche gegen 21 Uhr: der Oberbürgermeister der Stadt und ihr Ordnungsdezernent, der Innenminister von NRW, hochrangige Polizisten, Zollbeamte. „Unglaublich“, sagt Innenminister Herbert Reul und schaut sich um. Irgendjemand sagt, dass der Alkoholausschank hier nicht genehmigt sei. Und der Brandschutz ein Witz. Man kommt sich vor wie auf einer Expedition in eine unbekannte Welt. Als die Teilnehmer dann darüber beraten, ob diese Bar sofort dichtzumachen sei, meldet sich eine weitere Person, vermutlich ein Personenschützer.
Es müssten jetzt alle mal bald raus aus diesem Keller, der CO2-Gehalt in der Luft bei dieser Menschengruppe, das könne schon auch gefährlich werden. Woraufhin der Tross sich langsam in Bewegung setzt, zurück nach oben und auf die Straße.
Viel beschrieben ist der Stadtteil.
Die Münsterstraße liegt in der Dortmunder Nordstadt. Viel beschrieben ist der Stadtteil. Überregional betrachtet und breit besprochen wurde er bereits als No-Go-Area und Abziehbild für gescheiterte Integration. Jetzt stehen also diverse Mannschaftsfahrzeuge der Polizei auf der Straße, viele Polizisten in den Lokalen, dazu ein paar Schaulustige.

Vergangenen Freitag auf der Schützenstraße: Polizeiwagen stehen dichtgedrängt, Grund ist eine Aktion gegen Clankriminalität. © Bandermann
Die Münsterstraße ist nicht die erste Station des Innenministers an diesem Freitagabend. Vorher stand er am Nordausgang des Hauptbahnhofs und schaute sich eine groß angelegte Fahrzeugkontrolle an. Dicke Karren waren im Fokus, hochgetunt und teuer. Er sei, sagt der Innenminister, hier, um der Polizei den Rücken zu stärken. Und um sich ein Bild zu machen im Kampf gegen die Clankriminalität. Solche Wagen zu kontrollieren, sagt Reul, treffe Clanmitglieder an einer sehr empfindlichen Stelle. Die Trefferquote der Polizei sei sehr hoch und Aktionen wie diese habe es seit Juni 65-mal in NRW gegeben. Der Schwerpunkt habe im Ruhrgebiet gelegen.
Was Reul nicht sagen kann, ist, wie viele Clans es gibt, wie viele Mitglieder sie haben. Wie groß also dieses Phänomen insgesamt ist. Es werde, sagt Reul, aktuell ein Lagebild Clankriminalität erstellt. Was schwer sei, ergänzt ein Polizeipressesprecher, bei der Clankriminalität handele es sich um „fließende Strukturen“.
Wie stark sind diese Strukturen in Dortmund?
Ist es halb so wild?
Oder ein versteckter Eisberg?
Man muss in die Vergangenheit blicken, um die Gegenwart zu verstehen.
Wenn man von Clankriminellen spricht, muss man in die Vergangenheit blicken, um die Gegenwart zu verstehen. Die Ursprünge dieser Clans finden sich in Familien der sogenannten Mhallamiye-Kurden. Trotz dieses Namens ist es umstritten, ob es sich bei diesen Menschen um Kurden oder Araber handelt. Sie sprechen arabisch und kamen größtenteils als staatenlose Bürgerkriegsflüchtlinge seit Ende der 1970er-Jahre während des sogenannten Libanonkrieges in die Bundesrepublik. Die Familien ließen sich zunächst in Essen, Berlin und Bremen nieder, inzwischen haben sie sich in weiteren Großstädten angesiedelt. Als Schwerpunkt der Clankriminellen gelten neben den genannten Städten inzwischen Niedersachen, das Rheinland und das Ruhrgebiet.
„Kaum einer hatte unter 100 Kilo Muskelmasse am Körper“
Am 8. September 2018, ein Samstag, wird in der Dortmunder Innenstadt ein Mann niedergestochen, es handelt sich um Esmat E., 32 Jahre alt. In Polizeikreisen nennen sie ihn kurz „AJ“, auf der Straße heißt er Sammy. Sammy Miri. Nachdem der Mann niedergestochen worden ist, geschehen mehrere Dinge. Der Mann wird schwerverletzt ins Krankenhaus eingeliefert, er hat sehr viel Blut verloren. Am Krankenhaus, dem Unfallklinikum Nord, kommen mit dem Verletzten zwei Streifenwagen an, sie rufen dann zügig nach Verstärkung. Denn mit dem Verletzten zogen 40 bis 50 Personen am Klinikum und seinem Eingangsbereich auf. Sie fahren dicke Karren und tragen enge T-Shirts. Ein Klinik-Mitarbeiter wird später sagen, von den Männern hatte „kaum einer unter 100 Kilo Muskelmasse am Körper“.
Es handelt sich bei ihnen um mutmaßliche Clanmitglieder oder mindestens -Unterstützer, denn Sammy Miri alias „AJ“ gilt als „Führungsperson des Miri-Clans“ in Dortmund. So steht es in einem behördeninternen Rundschreiben kurz nach der Messerattacke. Und auch die mutmaßlichen Messerangreifer werden in dem Schreiben vom Montagmorgen bereits genannt: „Angehörige des Bandidos MC Dortmund“. Nach ihnen wird nach der Tat gefahndet, ein Messer wird am Tatort gefunden. Rund 24 Stunden später wird auf das Vereinsheim der Bandidos im Dortmunder Stadtteil Eving geschossen.
Der Dortmunder Kokainmarkt ist von überregionaler Bedeutung.
Mit diesen Attacken vor rund drei Wochen wird ein Konflikt öffentlich, der unter der Oberfläche schon länger schwelt: Rocker gegen Clankriminelle. Beide Gruppierungen leben letztlich von Kriminalität, in Dortmund ist das insbesondere der Drogenhandel. Der Dortmunder Kokainmarkt ist von überregionaler Bedeutung, mindestens ein Kilogramm der Droge wird hier täglich verbraucht, das ist wissenschaftlich nachgewiesen. Schätzungen zufolge wird mindestens ein weiteres Kilogramm von hier aus weiterverkauft. Das Gesamtvolumen der Drogengeschäfte in Dortmund wird auf mindestens 150 Millionen Euro im Jahr taxiert. Konservativ.
Bei solchen Summen kann man sich schon mal ins Gehege kommen und genau das war wenige Tage vor der Messerstecherei erstmals öffentlich eskaliert: Michael D., ein führendes Mitglied der Bandidos, soll in Begleitung seiner Partnerin zufällig einem Bruder von Sammy Miri begegnet sein, es kam, so wird es sich erzählt, zu einer Prügelei. Am darauffolgenden Samstag sollte sich ausgesprochen werden, doch das lief offenbar aus dem Ruder. Ein 37-jähriger Friseur, Benjamin G., und ein 49-jähriger Tätowierer, Michael S., Mitglieder der Bandidos, beide mit Geschäften in der Dortmunder Innenstadt, sitzen inzwischen in Untersuchungshaft. Der Friseur, der festgenommen wurde, schweigt. Der Tätowierer, der sich gestellt hat, beruft sich auf Notwehr. Sammy Miri hat sich inzwischen über einen Anwalt geäußert.
Wie bei fast allen Clanfamilien ist die Schreibweise des Namens variabel.
Der erste Clan, der sich im Ruhrgebiet mit dem Schwerpunkt Essen ansiedelte, war die Familie Al Zein. Wie bei fast allen Clanfamilien ist die Schreibweise des Namens variabel, auch El Zein ist möglich. Die Familie gilt als einer der einflussreichsten Clans in Deutschland, was zwei Gründe hat: Einerseits ist sie einer der ältesten Clans. Andererseits aber auch sehr groß, sie haben mehrere tausend Mitglieder. Einige leben auch in Dortmund. Und die Familie hat im Milieu Einfluss in der Stadt.
Und die Hierarchie ist unangreifbar.
Clankriminalität gibt es seit vielen Jahren, zwei Dinge machen den Polizeibeamten allerdings die Arbeit sehr schwer: Erstens geht den Clans ihre Familie über alles. Das Familienoberhaupt ist der Chef und diese Hierarchie ist unangreifbar. Es wird zwischen den Familien geheiratet, was das Eindringen von Spitzeln sehr schwer macht. Und dass die Familie über alles geht, gilt auch, wenn die Familie unübersichtlich groß ist und es Streit gibt. Nach innen wird zusammengehalten, nach außen wird sich abgeschottet.
Für die Streitschlichtung in oder zwischen den Clans ist ein sogenannter Friedensrichter zuständig. Mindestens vier bis fünf gibt es davon in der Nordstadt, sagt jemand, der sich auskennt. Wobei diese Richter ein verschieden hohes Ansehen genießen. Die Existenz der Friedensrichter weist auf das zweite Problem hin, das der Staat mit den Clans hat. Er selbst als Institution wird negiert und abgelehnt. Das gilt für Gerichtsverfahren wie für Polizeibeamte als auch für Ordnungsbehörden und wird in zunehmendem Maß ein Problem:
- Im März 2017 störte, so heißt es in einem Behördenpapier der Polizei Dortmund, ein Angehöriger des Miri-Clans eine Kinovorführung im Cinestar hinter dem Hauptbahnhof. Als ihn privat anwesende Polizisten aufforderten, ruhig zu sein, beschimpfte er die als „Schwuchtel-Bullen“ und rief per Telefon nach Verstärkung zum Kino, da „ein paar Wixer jetzt aufs Maul kriegen“ würden. Als der Kino-Film zu Ende war, stand dann vor dem Kino eine sich „aggressiv, arrogant und respektlos“ verhaltende Personengruppe, es kam zu einem größeren Polizeieinsatz.
- Im März dieses Jahres wurde gegen ein Mitglied des Miri-Clans vor dem Landgericht verhandelt, es ging um bandenmäßig begangenen Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen. Hussein E., ein Bruder von „AJ“, wurde zu sieben Jahren Haft verurteilt, interessant war aber, was während und nach der Urteilsverkündung geschah: Polizisten wurden als „Schwuchteln“ bezeichnet, als die Beamten den Saal verließen, wurden ihnen zwei Dinge mit auf den Weg gegeben: „Man sieht sich immer zweimal“ und „Wer zuletzt lacht, lacht am besten.“
- Eine gute Woche zuvor war die Gaststätte „Qdex“ an der Schützenstraße kontrolliert worden. Die Shisha-Bar galt zu der Zeit als inoffizielles Vereinsheim des Miri-Clans. Innerhalb von kürzester Zeit erschienen rund 20 Personen, die Polizisten wurden als „mickrige Polizeibeamte“ bezeichnet. Als die Beamten ihrerseits Verstärkung anforderten, soll der Wortführer, laut Aktenlage ein weiterer Bruder von „AJ“ , einem Polizisten gesagt haben: „Ok. Jetzt hole ich auch 50 Leute, du wirst schon sehen, dann machen wir euch kaputt.“ So wird er in den entsprechenden Akten zitiert.
Es gibt noch mehrere solcher Beispiele und es sind nicht nur Polizisten betroffen: So ist ein städtischer Beamter, der für Hygienekontrollen zuständig ist, nach einer solchen Kontrolle mit dem Wagen verfolgt worden. Wahrscheinlich sollte so erkundet werden, wo der Mann wohnt.
Wie weit eine Bedrohung im Extremfall führen kann, zeigt ein Fall aus Neubrandenburg. Dort wurde in der Nacht auf den 1. März 2018 in einen Dönerladen eingebrochen. Eine Zeugin bekam das mit und rief die Polizei. Einer der Täter attackierte dann einen hinzugerufenen Polizisten mit Reizgas. Der schoss auf den Angreifer, der aus Berlin stammende Täter starb. Als der Mann beerdigt wurde, schickten so gut wie alle Clan-Großfamilien Vertreter zu der Beerdigung. Aktuell lägen konkrete Hinweise vor, dass für diesen Polizeibeamten ein Tötungsauftrag erteilt worden ist, heißt es in einem Verschluss-Sache-Papier, das unsere Redaktion einsehen konnte.
Allianzen in diesem Gewerbe sind durchaus fragil.
Ungefähr im Jahr 2010 fiel der Polizei in Dortmund eine Gruppierung auf, die offenkundig kriminell, aber nicht klar verortbar war. Wenige Jahre später bezeichnete sich die Gruppe selber als dem Miri-Clan angehörig und wird inzwischen als solche bundesweit akzeptiert. Gute Beziehungen hat die Gruppe darüber hinaus zum Al-Zein-Clan, vor etwa einem Jahr sollen sich die beiden Bosse etwa in der Saunalandschaft des Revierparks Wischlingen getroffen haben. Wobei Allianzen in diesem Gewerbe durchaus fragil und unbeständig seien können.
Zuerst auffällig wurde das „Bar Cardi“ in der Stahlwerkstraße.
In Dortmund selber ist das „Qdexs“ an der Schützenstraße, wo den Polizisten gedroht wurde, sie „kaputt zu machen“, nicht das einzige Ladenlokal, dass in den letzten Jahren dem Miri-Clan zugerechnet wurde: Zuerst auffällig wurde das „Bar Cardi“ in der Stahlwerkstraße.

Die „Bar Cardi“ in der Stahlwerkstraße war mehrfach Ort von Auseinandersetzungen. © Bandermann
Anfang 2015 war der libanesische Balhas-Clan durch die Polizei zerschlagen worden. Im Kokainhandel in Dortmund war damit ein Vakuum entstanden. Der Streit um die Nachfolge eskalierte zwischen Libanesen und Kurden, die zum Miri-Clan gehören. Es kam zu „massiven gewalttätigen Ausschreitungen“ rund um die Bar. Und in deren Folge zu 47 Ermittlungsverfahren, unter anderem wegen Bedrohung mit einer Schusswaffe, Drogenhandel in nicht geringer Menge und gefährlicher Körperverletzung. 45 Verfahren wurden eingestellt, ein Mann wurde zu einer Bewährungsstrafe (neun Monate) verurteilt, ein weiterer bekam eine Geldstrafe (1800 Euro). Ruhig wurde es um den Konflikt erst, als ein „Friedensrichter“ sein Urteil sprach.
Doch keine zwei Jahre später stand die „Bar Cardi“ erneut im Zentrum von Auseinandersetzungen, damals ging es weniger um Kokain, diesmal ging es um Musik. Rap-Musik. Auf den ersten Blick mag das befremden, doch Clan-Kriminelle und Rapper können weitaus enger miteinander verwoben sein, als man meint. Auch böse Menschen haben offensichtlich Lieder.
Wer als Gangster-Rapper etwas auf sich hält, braucht einen „Rücken“.
Wer als Rapper, und noch viel eher als Gangsta-Rapper etwas auf sich hält, braucht einen sogenannten „Rücken“. Leute im Hintergrund, die den Rücken frei halten, mit denen man drohen oder hinter denen man sich wahlweise verstecken kann. Das und die sogenannte „street credibility“ ist, was die Clans den Rappern geben können. Für die Clans hingegen sind Rapper Gold wert: Denn mit ihnen haben sie einerseits eine legale Einnahmequelle, über die man Geldströme verschleiern kann. Andererseits haben sie mit den Rappern ihren eigenen PR-Kanal, der über Youtube und Instagram millionenfach verbreitet wird.
„Zwei Kilo Kokaina, direkt aus Costa Rica“.
Es gibt ein Lied des aus Dortmund stammenden Rappers Miami Yacine. Yacine, das ist ein Künstlername, hatte mit dem Song „Kokaina“ – der Titel ist Programm – einen veritablen Hit. Bis heute wurde der im September 2016 veröffentlichte Track mehr als 120 Millionen Mal auf Youtube angeklickt. Mehr als 120.000.000 Mal drogenverherrlichender Sprechgesang über „zwei Kilo Kokaina, direkt aus Costa Rica“, der direkt in die Kinderzimmer dieses Landes schallt. Für die enorm hohen Abrufzahlen auf dem Videoportal Youtube werden Goldene Schallplatten verliehen und eine solche sollte Yacine dann im Februar 2017 im FZW (Freizeitzentrum West) unterhalb des Dortmunder U verliehen werden.
Wenige Tage vor der Verleihung wurde der Rapper in Dortmund attackiert, es wurden Totschläger und Reizgas eingesetzt. Die Polizei geht davon aus, dass das passierte, um die Verleihung der Goldenen Schallplatte zu verhindern.
Denn der „Rücken“ von Yacine war nicht mehr der hier ansässige Miri-Clan, Yacine lässt sich inzwischen aus Dresden unterstützen. Hier in Dortmund gibt es den Rapper 18Karat, er galt lange Zeit als erfolgreichster Rapper der Stadt, die hohen Abrufzahlen seines Konkurrenten kratzten an seiner Ehre. Vermutlich wurde durch sein Umfeld die Attacke initiiert. Bereits einen Tag später dann wurde nachmittags in Dortmund auf die Bar Cardi in der Stahlwerkstraße 31 geschossen. Die Polizei ging dabei von einem Racheakt für die Körperverletzung aus.
Ausgetragene Scharmützel sind immer auch Werbung.
Natürlich sind öffentlich ausgetragene Scharmützel immer auch Werbung für die „Rapper als echte Gangster“, aber die hier erreichte Stufe geht dann über das übliche Maß hinaus. Und wer hier wen befeuert, ist für Außenstehende nicht deutlich.
Was deutlich wird, wenn man sich die entsprechenden Instagram-Kanäle anschaut, ist, wie eng der Rapper 18Karat mit dem Miri-Clan verbandelt. Da wird sich gegenseitig gehuldigt und unterstützt, gemeinsame Fotos werden veröffentlicht und somit wird schnell offensichtlich, wer zu wem gehört. Zu den Miris und 18Karat gehört der in der Szene noch bedeutendere Rapper Farid Bang. Einer breiten Öffentlichkeit wurde Bang bekannt, als er gemeinsam mit dem Rapper Kollegah 2018 trotz antisemitischer Texte den Musikpreis Echo bekam. Der Echo wurde anschließend abgeschafft, Farid Bang musiziert weiter.
„Wir kommen und unterdrücken jeden und werden jetzt die Mütter nehmen von denen, die dir Rücken geben.“
So formulieren Farid Bang und 18Karat eine Einladung in dem Lied „Komm ins Café“ an diverse andere Rapper, man müsse reden. Der Track wurde auf Youtube veröffentlicht, doch der Einladung folgte offenbar niemand. Denn ein knappes Jahr später wurde dann im März 2018 „Komm ins Café II“ im Netz veröffentlicht. Erneut das übliche Gangsta-Getue. Dicke Karren, große Brüste, Knarren und so weiter. In diesem Video-Ambiente wird dann ein vermeintlicher Gegner von einer Gang entführt und zwangsweise in ein Café gebracht, wo ihn eine Kugel erwartet. Das Café gibt es wirklich, es ist eine Shisha-Bar, sie wird in dem Track auch erwähnt: Das Qdex an der Schützenstraße.
Die gleiche Denkweise.
Man kann sich das so im Netz anschauen, natürlich wird das alles als Kunst bewertet, aber was so eine Musik und ihre Inhalte für ein Bild vermitteln, ist offensichtlich: Der Staat kann nichts, wir regeln unsere Sachen wie echte Männer und unter uns, alle anderen außerhalb unserer Gruppe sind verachtenswert. Ach, und Frauen kommen nur in Nebenrollen vor. Als Mütter, die sich Sorgen machen. Oder als Prostituierte. Es ist interessanterweise die gleiche Denkweise, die die Clans für sich in Anspruch nehmen.
Und die Kontakte zwischen Rappern und dem Clan sind nicht nur auf Instagram eng. Wenige Tage, nachdem Sammy Miri ins Krankenhaus eingeliefert wurde, bekam er, so sagt es ein hochrangiger Polizist, Besuch. Der Echo-Preisträger Farid Bang soll seine Aufwartung gemacht haben.
Wichtiger als Namen aber ist die Frage, wer mit wem verbandelt ist.
Der Miri-Clan ist aktuell die größte Gruppierung in der Stadt, aber nicht die einzige. Es finden sich hier noch die Al-Zeins, die Omeirats, die Remmos und andere. Wichtiger als Namen aber ist die Frage, wer mit wem verbandelt ist und Geschäfte macht. Und vor allen Dingen: Wie viele Menschen sind das eigentlich? Wenn man danach fragt, bekommt man offiziell keine Antworten, inoffiziell aber verschiedene. Mehrere Dutzend heißt es hier, ungefähr dreißig dort, was aber nur ein Ansatz sei, weil jeder ja auch noch mehrere Cousins oder Brüder habe. 150 sagt jemand, der sich in der Nordstadt exzellent auskennt und wahrscheinlich dürfte diese Zahl ziemlich realistisch sein. Ihnen gegenüber muss man eine andere Zahl stellen: Alleine in der Nordstadt leben rund 10.000 Türken, Libanesen und Syrer. Viele von ihnen, ohne jemals mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen.
„Wir wollen diese kriminellen Strukturen langfristig zerschlagen.“
So wirkt der Eisberg dann auf einmal sehr klein. Aber wenn 150 Menschen eine Parallelgesellschaft bilden, aus der der Staat ausgeschlossen wird und in der andere Regeln gelten, kann auch das verheerende Folgen haben. Gregor Lange ist Polizeipräsident in Dortmund, Ende Juli 2018 zitierte ihn diese Zeitung mit den Worten: „Wir wollen diese kriminellen Strukturen langfristig zerschlagen.“
Wenn man sich mit langjährigen Strafverfolgern unterhält, dann finden die sehr lobende Worte für die Polizisten, die tagtäglich in der Nordstadt arbeiten. Die Nordstadt hätte, heißt es dann, vor einiger Zeit durchaus explodieren können, was die Kriminalität angeht. Das sei nicht geschehen.
Ein grundsätzliches Problem: fehlende Beweismittel.
Stattdessen gebe es das eher grundsätzliche Problem, dass es an Beweismitteln fehle, um Verfahren vor Gericht vernünftig, also erfolgreich, durchzubringen. Einerseits müsse man auf eine durchschnittliche DNA-Probe „eher sechs als zwei Monate“ warten. Andererseits werde kaum noch eine TÜ durchgeführt. Eine TÜ ist eine Telefonüberwachung, man braucht dafür einen richterlichen Beschluss. Man braucht dafür aber auch Polizeibeamte und, das ist elementar, die richtige Telefonnummer. Sowohl an Polizisten als auch an Nummern mangelt es aber, so der Strafverfolger. Denn ein Krimineller, der etwas auf sich hält, hat nicht eine, sondern eher drei Handynummern. Und die muss man kennen.
„Natürlich gibt es zu wenig Polizei.“
Einzusammeln wären die zum Beispiel mit einem sogenannten IMSI-Catcher. Ein IMSI-Catcher ist ein ungefähr Laptop-großes Gerät, das vereinfacht gesagt unter anderem Handynummern aufzeichnen kann, die in einer bestimmten Funkzelle auftauchen. Doch es sei jedes einzelne Mal „ein Riesentheater“, einen IMSI-Catcher zu bekommen. Nicht, weil man dafür keinen richterlichen Beschluss bekäme. Das Problem sei viel mehr, dass so gut wie nie Geräte frei seien, in ganz NRW habe es beim letzten Versuch insgesamt nur zwei oder drei Geräte gegeben.
Über wie viele IMSI-Catcher die Polizei NRW verfügt, will das zuständige Landesamt für zentrale polizeiliche Dienste in Duisburg nicht sagen. „Es kann ab und an“, so die dortige Auskunft, „durch akut auftretende Lagen dazu kommen, dass manche Dinge warten müssen.“ Prinzipiell aber gebe es genug IMSI-Catcher.
Dass es zu wenig Polizisten gibt, ist eher unstrittig. Das weiß auch der Innenminister, der am vergangenen Freitag bei der Kontrollaktion gegen Clankriminalität vor Ort war. „Natürlich“, sagt er, „gibt es zu wenig Polizei. Und zu wenig Manpower.“ Aber die Einstellungen seien hochgefahren worden und würden noch weiter hochgefahren.
Ein Kampf, den man über viele Jahre durchhalten müsse.
Allerdings beklagen sich jetzt altgediente Ausbilder darüber, dass die Qualität der Auszubildenden deutlich nachgelassen habe, da man, um mit den Einstellungen hinterherzukommen, die Standards habe senken müssen. „Für Nörgeln“, sagt der darauf angesprochene Innenminister, „wird man nicht gewählt.“
Zu einzelnen Zahlen könne er jetzt und hier wenig sagen, das müsse man verstehen. Aber insgesamt sei der Nachholbedarf sehr hoch. Und an das Problem Clankriminalität müsse man jetzt ran. Das sei ein Kampf, den man über viele Jahre durchhalten müsse.
„Wir müssen da jetzt komplett durch.“
Bei städtischen Stellen, die mit der Sache beschäftigt sind, sieht man das ähnlich. Man sei jetzt an einem Punkt angekommen, an dem bei jeder Kontrolle in den entsprechenden Läden, ob jetzt bei Baurecht oder bei Lebensmittelrecht, mit genug Personal da rein gehen müsse. Falls man nicht genug Personal dabei habe, müsse man sich eventuell zurückziehen. Und jeder Rückzug würde wiederum die Kriminellen bestärken. „Wir müssen“, so heißt es, „da jetzt komplett durch und zeigen, wem die Straße gehört.“
„Wir sehen nur die Spitze des Eisbergs.“
Beim Landeskriminalamt in Düsseldorf steht diese Frage schon länger im Raum. 2016 wurde dort das Sonderprojekt KEEAS gestartet. KEEAS steht für „Kriminalitäs- und Einsatzbrennpunkte geprägt durch ethnisch abgeschottete Subkulturen“. Vier Beamte sollten die Clanstrukturen über zwei Jahre lang entschlüsseln. Gefördert wird das Projekt auch mit Mitteln aus der EU, verschiedene Polizeibehörden, so auch das Polizeipräsidium Dortmund, steuern Erkenntnisse bei. Thomas Jungbluth ist Leitender Kriminaldirektor beim LKA. Er glaubt auch, „dass wir nur die Spitze des Eisbergs sehen“. Sehr viel geschehe, ohne dass da der Rechtsstaat die Nase dran habe, viel werde durch Friedensrichter geregelt.
Clanstrukturen sind seit 2008 Thema beim Landeskriminalamt.
Die Clanstrukturen wurden beim Landeskriminalamt 2008 Thema, zuvor hatte es Hinweise aus Berlin und Niedersachsen gegeben. Jungbluth geht davon aus, dass die Clanstrukturen auch in anderen Bundesländern auftauchen werden, inzwischen gebe es auch Verbindungen nach Schweden. Wie viele Clankriminelle in NRW herumlaufen, kann Jungbluth, so sagt er, nicht seriös beantworten. Man müsse jede Familienstruktur einzeln nachzeichnen. Insgesamt gebe es rund 50 Clans in NRW. Angesiedelt seien sie in den Ruhrgebietsstädten, im Rheinland und zum Teil im Speckgürtel von Düsseldorf.
Es sei wichtig festzustellen, dass nicht jedes Familienmitglied kriminell sei. „Aber in dem Moment, in dem Sie eine Subkultur haben, die nach ihren eigenen Regeln lebt und das Regelwerk nach außen aggressiv verteidigt und den Staat ablehnt, haben Sie eine Situation, in der Organisierte Kriminalität gedeihen kann.“ Jungbluth vergleicht das mit der sizilianischen Mafia. Da habe der Staat irgendwann nichts mehr geregelt. Und wenn nicht der Staat umsetzt, was zu seinen Aufgaben gehört, dann wendet man sich in Zukunft an den Paten. Und nicht an den Staat.
„Clankriminalität bleibt kriminalpolitischer Schwerpunkt in NRW.“
Das Sonderprojekt KEEAS ist jetzt ausgelaufen, in der vergangenen Woche gab es eine Abschlusskonferenz. Jungbluth: „Wir sind in der Projektabwicklung, aber nicht in der Abwicklung, was das Thema angeht: Clankriminalität bleibt kriminalpolitischer Schwerpunkt in NRW.“
Erkenntnisse, die aus KEEAS gewonnen wurden, drehen sich um Regionen, Straftatenbereiche und Charakteristika der Clans. Zu den Charakteristika gehöre, dass die Familien ihre „traditionellen und archaischen Denkstrukturen aus dem Nahen Osten mit nach Deutschland gebracht haben.“ Die Clan-Interessen würden gegen alle möglichen Einflüsse von außen verteidigt. Alles, was gegen die Interessen des Clans ist, werde bekämpft. Das könnten, so der LKA-Mann, Geschäftsinteressen sein oder auch Ehrverletzungen. Wobei der Ehrbegriff sehr niederschwellig angesetzt werden müsse.
Das „Cafe“ steht zum Verkauf.
Die vier Läden, in denen der Clan sich angesiedelt hatte, sind inzwischen geschlossen. Mal wegen mangelnder Zuverlässigkeit des Betreibers, mal wegen baurechtlicher Mängel. Das „Café“, in das die Rapper musikalisch geladen haben, steht seit diesem Mittwoch bei Ebay zum Verkauf. Man kann sich den Laden auf Fotos im Internet anschauen, an einer Wand hängt noch das Gemälde der Maske, die der Rapper 18Karat bei seinen Auftritten trägt. Wie so eine Batman-Maske - nur halt in Gold.
Wer die hochwertig eingerichtete Bar verkaufen will, wird nicht offensichtlich. Auch ein Preis wird in dem Inserat nicht genannt. Klar ist nur: Der Laden ist teuer eingerichtet worden. Geld scheint nicht das Problem zu sein. Verkauft wird, so steht es in der Anzeige, „aus zeitlichen (beruflichen) Gründen“.
Die Nervosität ist derzeit groß auf den Straßen der Stadt. Denn die Klärung der Frage, wem sie gehören, ist im Augenblick im Gange und noch nicht abschließend geklärt.
Ich wurde 1973 geboren und schreibe seit über 10 Jahren als Redakteur an verschiedenen Positionen bei Lensing Media. Als problematisch sehen viele meiner Kollegen oft die Länge meiner Texte an. Aber ich schreibe am liebsten das auf, was ich selber bevorzugt lesen würde – und das darf auch gerne etwas länger sein.
