Dortmunder Digital-Stratege von Porsche bei der IHK „Das ist das deutsche Dilemma“

Digital-Stratege von Porsche bei IHK: „Das ist das deutsche Dilemma“
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Wenn es in der Dortmunder Wirtschaft angesichts der anhaltenden Rezession in Deutschland Zuversicht braucht, dann hat Cihan Sügür davon am Montagabend (7. April) eine gute Prise eingebracht. Auch der Tag des historischen Börsen-Bebens nach der Zoll-Keule des US-Präsidenten Donald Trump war für den Topmanager kein Tag, um den Optimismus zu verlieren.

Der 35-Jährige ist Digitalisierungsexperte bei der Management- und IT-Beratung MHP, einer Tochtergesellschaft der Porsche AG in Stuttgart. Cihan Sügür ist aber ein Dortmunder Junge und hat aus seinem Elternhaus in Nette heraus seinen „German dream“, wie er seinen Lebensweg selbst nennt, gestartet. Als Lead Digital Strategy hat er in den vergangenen Jahren maßgeblich die digitale Transformation von Porsche vorangetrieben. Sein Werdegang führte ihn von Dortmund über Santa Barbara, Istanbul und Stuttgart bis in die Liste der besten Manager unter 40 Jahren, die das Magazin „Capital“ zu Jahresbeginn wieder herausgab. Am Montagabend, 7. April, war Cihan Sügür Gastredner bei der Veranstaltungsreihe „Wirtschaft hautnah“ der Industrie- und Handelskammer zu Dortmund (IHK).

Die rund 150 Gäste im Großen Saal der IHK an der Märkischen Straße überraschte er gleich mit der für alle verblüffenden Feststellung, dass in einem Auto zehnmal mehr programmierte Zeilen Software enthalten sind als in einem Passagierflugzeug - nämlich 100 Millionen. „Und wir reden aber beim Auto über Hardware. Das ist das deutsche Dilemma“, sagte er. Das E-Auto müsse komplett gedacht werden, mit einer zentralen Elektronik-Steuerung und nicht mit Steuergeräten, die über das ganze Fahrzeug verteilt sind.

In der Wohlstandsblase

„China arbeitet seit 30 Jahren an der Elektro-Transformation“, sagte Cihan Sügür. Ist das für Autobauer in Deutschland und Europa aufzuholen? „Ja, auf jeden Fall“, lautete seine Antwort. Aber dafür brauche es jetzt einen Ruckmoment. Man habe sich mittlerweile ein wenig in die Wohlstandsblase begeben. Mit Bequemlichkeit sei aber noch keiner Weltmeister geworden.

Rund 150 Vertreterinnen und Vertreter aus der heimischen Wirtschaft und Politik verfolgten im Großen Saal der IHK zu Dortmund den Vortrag von Cihan Sügür.
Rund 150 Vertreterinnen und Vertreter aus der heimischen Wirtschaft und Politik verfolgten im Großen Saal der IHK zu Dortmund den Vortrag von Cihan Sügür. © Oliver Schaper

Aber auch die Politik sei gefragt und müsse mehr Planbarkeit gewährleisten. Allein die Entwicklung der E-Mobilität laufe in China seit gut drei Jahrzehnten: „Zunächst Forschung und Entwicklung, dann Aufbau der nötigen Infrastruktur. Erst nachdem der Unterbau geschaffen wurde, kamen die Fahrzeuge auf den Markt.“

Für die meisten Menschen sei das Auto – abgesehen von einer eigenen Immobilie – die teuerste Anschaffung im Leben. Und niemand investiere viel Geld in etwas, dessen Entwicklung unsicher sei. „Daher müssen die Autobauer im Schulterschluss mit der Politik dafür sorgen, dass die Verbraucher Sicherheit haben.“ So dürfe beispielsweise nicht jeder Autobauer sein eigenes Ladenetzwerk aufbauen, sondern es müsse einheitliche Standards geben.

„Zögerliches Verhalten“

Dass die Nachfrage – vor allem nach E-Autos – stockt, weiß man bei der Hülpert Gruppe, die 1950 erster Porsche-Vertriebspartner in Westfalen war, nur zu genau. Geschäftsführer Michael Webels sagte am Rande der IHK-Veranstaltung: „Die Menschen warten in der Tat auf Entscheidungen zur Elektromobilität. Wir merken auch bei den Fuhrpark-Entscheidern in den Unternehmen derzeit ein zögerliches Verhalten.“

„Nach vorne“, lautete das Credo von Cihan Sügür. Es gelte, in Deutschland nach Softwarelösungen zu suchen und zu automatisieren. „Man sollte nicht Altes mit Altem bekämpfen“, sagte der Manager.„Nach vorne“, lautete das Credo von Cihan Sügür. Es gelte, in Deutschland nach Softwarelösungen zu suchen und zu automatisieren. „Man sollte nicht Altes mit Altem bekämpfen“, sagte der Manager.
„Nach vorne“, lautete das Credo von Cihan Sügür. Es gelte, in Deutschland nach Softwarelösungen zu suchen und zu automatisieren. „Man sollte nicht Altes mit Altem bekämpfen“, sagte der Manager. © Oliver Schaper
Cihan Sügür (vorne) beim Eintrag ins Goldene Buch der IHK zu Dortmund mit Katrin Hüpler (Gesellschafterin Hülpert GmbH, Mitglied der IHK-Vollversammlung), IHK-Hauptgeschäftsführer Stefan Schreiber (2.v.r.), Michael Webels und Maximilian Mergenthaler (l., beide Geschäftsführung Hülpert Shared Service GmbH). Das Autohaus Hülpert war 1950 der erste Vertriebspartner von Porsche in Westfalen.
Cihan Sügür (vorne) beim Eintrag ins Goldene Buch der IHK mit Katrin Hüpler (Gesellschafterin Hülpert GmbH, Mitglied der IHK-Vollversammlung), IHK-Hauptgeschäftsführer Stefan Schreiber (2.v.r.), Michael Webels und Maximilian Mergenthaler (l., beide Geschäftsführung Hülpert Shared Service GmbH). Das Autohaus Hülpert war 1950 der erste Vertriebspartner von Porsche in Westfalen. © IHK/Schaper
Auch die Familie von Cihan Sügür (3.v.r.) war bei der IHK-Veranstaltung „Wirtschaft hautnah“ in Dortmund zu Gast.
Auch die Familie von Cihan Sügür (3.v.r.) war bei der IHK-Veranstaltung „Wirtschaft hautnah“ zu Gast. © Oliver Schaper

Bei einem IT-Unternehmen wie der itemis AG, die im Sommer von Lünen-Brambauer in den Lensing Media Port im Dortmunder Hafen umzieht, hat die Krise in der heimischen Autoindustrie schon zu einem Umdenken geführt. „Wir sind mit unseren Software-Produkten wirklich tief drin in der Werkzeugkette von Autoherstellern. Im vorigen Jahr sind uns da viele Aufträge weggebrochen, das war eine harte Zeit. Nun bekommen wir immer öfter Anfragen aus dem Verteidigungssektor und haben uns dafür geöffnet, damit es weitergeht“, sagte Charalambos Panagiotidis von itemis.

IHK-Hauptgeschäftsführer Stefan Schreiber gibt hier in Dortmund die Geste von Finanz- und Börsenexperten am Tag des weltweiten Börsen-Bebens aufgrund der Zoll-Keule von Donald Trump wieder: „Ruhe bewahren“.
IHK-Hauptgeschäftsführer Stefan Schreiber gibt hier die Geste von Finanz- und Börsenexperten am Tag des weltweiten Börsen-Bebens aufgrund der Zoll-Keule von Donald Trump wieder: „Ruhe bewahren“. © Oliver Schaper
Charalambos Panagiotidis vom IT-Unternehmen itemis AG, das im Sommer 2025 von Lünen nach Dortmund umzieht. Das Unternehmen litt im vergangenen Jahr stark unter der Autokrise und öffnet sich nun für Aufträge aus dem Verteidigungssektor.
Charalambos Panagiotidis vom IT-Unternehmen itemis AG. Das Unternehmen litt im vergangenen Jahr stark unter der Autokrise und öffnet sich nun für Aufträge aus dem Verteidigungssektor. © Peter Wulle

Dass viele Unternehmen in Dortmund ein schwieriges Jahr hinter sich haben, merkt Peter Orth aus dem Sparkassenvorstand jeden Tag. „Bei Erweiterungs-Investitionen passiert im Vergleich zu den Vorjahren ganz wenig. Viele Unternehmen stehen auf der Bremse und warten auf die neue Bundesregierung“, sagt er und fügt an: „Damit wieder investiert wird, braucht es Stabilität und Verlässlichkeit. An den Zinsen liegt es derzeit nicht.“

„Streng dich an“

Der renommierte Rechtsanwalt und Notar Prof. Dr. Lutz Aderhold erklärte im Gespräch mit unserer Redaktion, dass 2025 der Hebel zu weniger Bürokratie günstigerer Energie und besserer Infrastruktur umgelegt werden müsse. „Ich habe gerade an dem Verkauf einer Spedition mitgewirkt, deren Eigentümer wegen immer höherer Kosten aufgegeben hat. Er sagte, man komme von Münster bis Dortmund - das Siegerland sei schon nicht mehr belieferbar“, so Lutz Aderhold. Er hoffe, dass die Politik die Kraft für einen Aufbruch aufbringe. Optimismus sei ja an diesem Abend bei der IHK genug verbreitet worden.

Prof Dr. Lutz Aderhold ist Rechtsanwalt und Notar in Dortmund. Die Wirtschaft benötige dringend einen Bürokratieabbau, sagt er, und eine Verbesserung der Verkehrsinfrastrukur.
Prof Dr. Lutz Aderhold ist Rechtsanwalt und Notar in Dortmund. Die Wirtschaft benötige dringend einen Bürokratieabbau, sagt er, und eine Verbesserung der Verkehrsinfrastrukur. © Peter Wulle

Cihan Sügür hatte den Grund zum Optimismus aus seiner Biografie abgeleitet. „Deutschland steht für ein Versprechen. Streng‘ dich an und du bekommst deinen Teil vom Kuchen. Streng‘ dich mehr an und dein Teil wird größer. Egal woher du stammst“, sagte er. Und das ist es, was er seinen „German dream“ nennt, und weshalb er appellierte: „Sorge dafür, dass der Kuchen größer wird – dann haben alle etwas davon.“