Die Drogenhilfeeinrichtung Café Kick hat ihre Pforten im Neubau am Grafenhof geöffnet. Und das, obwohl derzeit noch ein Mediationsverfahren zu dem Standort läuft.
Es ist kurz vor 10 Uhr. In dem Innenhof in der City stehen mehrere Männer und zwei Frauen, auf dem Bürgersteig davor gehen zwei Sicherheitsdienst-Mitarbeiter auf und ab.
Wie seit vielen Jahren sind die meisten dieser Menschen gekommen, um unter sterilen Bedingungen Drogen zu konsumieren. Einzig die Örtlichkeit hat sich geändert: Nach einigen juristischen Vorspielen öffnete der Drogenkonsumraum „Café Kick“ am 20. Januar am Grafenhof seine Pforten. Und das, obwohl eine verbindliche Entscheidung über diesen Standort noch immer aussteht.
Intravenöser und inhalativer Konsum
Dass vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen derzeit ein Mediationsverfahren zu der Drogenhilfeeinrichtung läuft, ist in dem hellen Neubau am Grafenhof, der in das Gesundheitsamt übergeht, nicht zu spüren. Während in der offenen Küche gearbeitet wird und eine Tafel auf das Mittagsgericht „Hähnchenbrust mit Beilagen“ für 1,60 Euro hinweist, sind die Räumlichkeiten ab Punkt 10 Uhr gut gefüllt.
Drogenabhängige stehen vor der Anmeldung, sitzen an den vielen Tischen und quatschen, suchen ein Beratungsgespräch mit einem Mitarbeiter oder begeben sich in einen der beiden Konsumräume, in denen sie mitgebrachte Drogen entweder intravenös oder per Inhalation zu sich nehmen.

Jan Sosna ist Einrichtungsleiter des Café Kick am Grafenhof. Der 41-Jährige hat langjährige Erfahrung in der Drogenhilfe. © Michael Schuh
Jährlich besuchten über 1000 verschiedene Menschen das Café Kick, das sich bis Dezember 2019 in der Straße „Eisenmarkt“ befand, sagt Einrichtungsleiter Jan Sosna: „Pro Tag sind es 250 bis 300. Einige kommen dreimal pro Woche, andere jeden Tag.“
Den Konsumraum suchten täglich allerdings nur rund 150 Besucher auf, fährt der Sozialpädagoge fort. Und das hat vor allem rechtliche Gründe: Laut Auflage der Stadt dürfen nur Dortmunder Bürger hier konsumieren. Abhängige aus Nachbargemeinden wie Unna, Herdecke oder Kamen hingegen steht ausschließlich das weitere Angebot des Cafés offen: Beratung und kleinere medizinische Hilfen, zum Beispiel bei chronischen Wunden oder Abzessen.
Opiate und deren Derivate, Kokain, Amphetamine oder Benzodiazepine - die Palette der Substanzen, die sich die Menschen hier selbst verabreichen, ist breit. Die meisten von ihnen konsumierten aber mehrere Drogen, sagt Sosna, der eine Veränderung bemerkt hat: „Rund 85 Prozent sind heroinabhängig, früher waren es noch 96 oder 97 Prozent.“
Was keineswegs bedeute, dass die Zahl der Nutzer abgenommen habe: „Der Konsum von Kokain ist dafür deutlich gestiegen.“ Und in den vergangenen zwei Jahren nahm außerdem der Crack-Konsum zu - und zwar gewaltig. „Der Zuwachs beträgt 11.000 Prozent“, sagt Josna, „von einer einstelligen ist die Zahl des Konsums bei uns auf eine vierstellige angewachsen. Etwa 1000 pro Monat.“
Menschen sind kaum wiederzuerkennen
Und das, obwohl gerade Crack, das oft mit wenig Schlaf und einem verringerten Hunger- und Durstgefühl einhergeht, für extreme Veränderungen sorge: „Wenn ich nach drei Wochen aus dem Urlaub zurückkomme, kann es sein, dass ich jemanden nicht wiedererkenne.“
Dennoch erreiche das Café Kick sein Ziel, das Leben der drogenabhängigen Menschen zu verlängern. Waren 2010 nur die Hälfte der Besucher älter als 36 Jahre, so sind es mittlerweile fast 78 Prozent. „Wenn wir nicht gewesen wären, würden wir mit vielen dieser Leute heute nicht mehr arbeiten“, ist sich der Sozialpädagoge sicher.
Mehr Sicherheit für 10 Cent
Zur Lebensverlängerung tragen neben der Beratung und der medizinischen Hilfe vor allem vermeintlich kleine Dinge bei: Die Besucher können gebrauchte Spritzutensilien gegen neue tauschen oder zwei Kanülen für 10 Cent kaufen. Auch mit Wasser, Filtern, Alkoholtupfern oder Pflastern werden sie hier versorgt.
Zudem sorge die Einrichtung dafür, dass der Konsum im öffentlich Raum deutlich zurückgehe, sagt Sosna. Dass Spritzen dennoch zum Dortmunder Stadtbild gehören, habe mehrere Gründe: „Ein Auswärtiger, der nach Dortmund kommt, um Drogen zu kaufen, der konsumiert die normalerweise auch umgehend hier in der Stadt, darf das aber nicht bei uns.“

Stefan Ufer ist Objektleiter und einer von drei Mitarbeitern der Firma WZ Security, die täglich für die Sicherheit am neuen Café Kick am Grafenhof sorgen. © Michael Schuh
Und es gebe es ja auch Zeiten, in denen das Kick geschlossen sei. Und Menschen, die Hausverbot hätten. „Das wird erteilt, wenn jemand beim Versuch zu dealen erwischt wird oder hier eine Auseinandersetzung hatte. Daruf achtet der Sicherheitsdienst.“
Trotz der allgemein anerkannten Notwenigkeit solcher Einrichtungen und ihrer Erfolge gibt es Bürger, die sich gegen die Ansiedlung des Café Kick am Grafenhof wehren: Zwei Hauseigentümer klagten vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen. Ihr Antrag auf eine einstweilige Verfügung zum Baustopp scheiterte 2018 zwar, mündete aber in besagtes Mediationsverfahren.
Ängste aus der Welt räumen
„Ich kann die Ängste nachvollziehen; wir möchten dabei helfen, sie aus der Welt zu räumen“, sagt Josna und nennt Befürchtungen wie Lärmbelästigung, herumliegende Spritzen oder den Wertverlust einer nahen Immobilie. „Deshalb gibt es auch eine Rufnummernliste mit Ansprechpartnern bei der Polizei, bei uns oder im Gesundheitsamt, an die man sich bei Problemen wenden kann.“
Und was passiert, sollte das Mediationsverfahren scheitern und die Kläger vor der zuständigen Kammer anschließend Recht bekommen? Jan Sosna zuckt die Schultern und atmet tief aus. „Noch einen Umzug schaffe ich nicht. Der letzte hat mir schon viele graue Haare eingebracht.“