„ÖPNV soll langfristig kostenfrei werden“ Sonja Lemke (Linke) im Interview

„ÖPNV langfristig kostenfrei“: Sonja Lemke (Linke) im Interview
Lesezeit

Was ist für Sie das drängendste Problem in Dortmund?

In Dortmund gibt es gerade ein sehr großes Problem mit Wohnungsknappheit und Wohnungsmangel. Gerade sind drei Menschen nachts unter anderem durch Kälte gestorben und weil sie keinen sicheren Schlafplatz, keine Wohnung, hatten. Genauso ist gerade ein neuer Mietspiegel eingesetzt worden. Das heißt, die Mieten können jetzt weiter erhöht werden. Viele Menschen haben Probleme damit, ihre Miete zu bezahlen. Deshalb muss da schnell was passieren.

Miete, Energie - vieles wird ja gerade teurer. Was wollen Sie dagegen tun?

Beim Thema Mieten brauchen wir einen Mietendeckel, der die Mieten sofort einfriert und da, wo sie zu hoch sind, auch absenkt. Wir brauchen mehr geförderten öffentlichen Wohnungsbau und eine Sozialbindung, die nicht ausläuft, sodass wir dauerhaft günstige Sozialwohnungen haben und die Mieten nicht nach 20 oder 30 Jahren wieder erhöht werden können. Beim Thema Preise: Die sind so stark erhöht worden, weil Konzerne Profite machen. Dieter Schwarz, der Besitzer von Lidl und Kaufland, hat in den letzten sieben Jahren sein Vermögen verdoppelt. Der besitzt 44 Milliarden Euro. So viel arbeiten kann man gar nicht, dass man so viel Geld verdient hat. Und all das hat er den Arbeiter:innen bei Lidl weggenommen, das hat er den Kunden abgezockt. Wir brauchen jetzt eine Preisdeckelung: Man darf nicht beliebig viel Profit auf die Preise draufschlagen. Und als kurzfristige Maßnahme wollen wir die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel abschaffen, damit direkt eine Preisentlastung kommt.

Zum Thema

Das ist Sonja Lemke

  • Alter: 33
  • Wohnort: Dortmund
  • Familienstand: ledig
  • Beruf: Informatikerin
  • Partei: Sprecherin der Linken Dortmund
  • Vorherige Kandidaturen: Bundestagswahl 2021
  • Wahlkreis: Dortmund II

In Dortmund gibt es zu wenige Wohnungen. Nennen Sie eine Lösung für das Problem.

Mehr Wohnungen zu bauen muss in öffentlicher Hand passieren. Wir sehen, dass mit den aktuellen Baukosten kein günstiger Wohnraum geschaffen werden kann. Da sind wir jetzt schon bei zwölf Euro pro Quadratmeter im Neubau. Wenn man erst jetzt anfängt zu bauen, ist es noch teurer. Das muss öffentlich finanziert werden. Da braucht es eine gute Struktur, um mehr günstige Wohnungen zu bauen. Wir müssen die Sozialbindungen massiv erhöhen. Und wie schon gesagt, sie darf auch nicht auslaufen, denn im Moment sind die Wohnungen nach 20, 30 Jahren genauso teuer. Und das geht nicht. Wenn es einmal eine Sozialwohnung ist, muss es auch immer eine Sozialwohnung sein.

Würden Sie an der aktuellen Migrationspolitik etwas ändern und wenn ja, was?

Ich würde weniger gegen Menschen hetzen. Dass Menschen nicht einfach so fliehen, kommt viel zu kurz. Menschen fliehen vor Krieg, Menschen fliehen vor Hunger, Menschen fliehen vor Gewalt. Und all die Menschen haben unglaublich viele traumatische Erlebnisse gehabt und haben unglaubliches Leid gesehen. Ich finde, diese Menschen haben es verdient, anzukommen und dass man mit ihnen würdig umgeht und nicht ständig sagt, sie seien an allem Schuld und ihnen dann mit Abschiebung droht. Eine Abschiebung ist ja auch ein unglaubliches traumatisches Erlebnis, das ist total schrecklich. Ich würde mir wünschen, dass man nicht den Rechten hinterherrennt, sondern Menschenrechte anerkennt und verteidigt und hinter Menschen steht, die Schutz brauchen.

Sonja Lemke beim Interview mit Ruhr-Nachrichten-Redakteur Björn Althoff im Videostudio des Medienhauses
Sonja Lemke beim Interview mit Ruhr-Nachrichten-Redakteur Björn Althoff im Videostudio des Medienhauses © Oliver Schaper

In vielen Ländern erleben wir ein Erstarken von Extremen. Was würden Sie dagegen tun?

Erstmal ist es wichtig, sich von allen Faschist:innen und allen Nazis abzugrenzen, damit man Forderungen, die die AfD schon vor Jahren gestellt hat, nicht einfach in sein Repertoire übernimmt. Das macht die SPD mit, das machen die Grünen mit, die sagen, Abschiebungen würden Probleme lösen. Abschiebungen lösen keine Probleme, senken keine Preise, schaffen keine neuen Wohnungen und führen auch nicht dazu, dass die Löhne steigen. Es ist einfach kein einziges Problem damit gelöst. Deshalb würde ich mir wünschen, dass man die wirklichen Probleme anspricht und nicht immer gegen Menschen hetzt.

Wenn Sie nach Berlin kommen, was wäre Ihr wichtigstes Ziel?

Wohnen ist auf jeden Fall eins meiner Kernthemen. Das andere Thema ist Mobilität. Gerade am Dortmunder Hauptbahnhof fallen Züge aus oder sind verspätet. Wir müssen dringend in die Bahn investieren: dass Züge sicher kommen, dass es mehr Strecken gibt, dass Züge auch dahin fahren, wo momentan noch kein Zug fährt, dass wir mehr Buslinien haben und vor allen Dingen, dass sich das jeder leisten kann. Ich bin nicht nur dafür, dass das Neun-Euro-Ticket zurückkommt - ich möchte, dass der ÖPNV langfristig kostenfrei wird, damit sich das jeder leisten kann und wir keine Diskussion mehr darüber haben, dass Leute für Schwarzfahren ins Gefängnis kommen. Wenn jeder das Recht auf Mobilität hat, kann man seine Freundin besuchen, kann man Kultur erleben und das hilft gerade älteren Menschen und vor allen Dingen auch Kindern, die noch kein Auto fahren können.

Mehrkosten für Mobilität und für Wohnungsbau - wie wollen Sie das finanzieren?

Mit der Vermögenssteuer. Die wurde ja ausgesetzt, wir wollen sie dringend wieder einführen, weil wir das Geld brauchen. Wir wollen, dass hohe Einkommen stärker besteuert werden - dann kann man niedrige Einkommen auch weniger stark besteuern. Wir wollen, dass es vernünftige Steuern auf Kapitalerträge gibt und dass es eine vernünftige Erbschaftsteuer gibt. Im Prinzip wollen wir, dass sich die die Leute, die an den ganzen Krisen verdient haben, sich daran beteiligen, sie zu beseitigen und dadurch die Schere zwischen Arm und Reich wieder kleiner wird.

Noch eine persönliche Frage: Wer ist ihr politisches Vorbild?

Ich glaube, ich kann es nicht auf nur ein Vorbild runterbrechen. Es gibt unglaublich viele Frauen, die sich politisch engagieren, auch in meiner eigenen Partei. Aber ein richtiges Vorbild … Rosa Luxemburg vielleicht. Aber es gibt nicht nur ein Vorbild, sondern es gibt Frauen, die coole Ideen haben, an denen man sich orientieren kann.