Was ist für Sie das drängendste Problem in Dortmund?
Derzeit kann ich allumfassend sagen, dass es mir an Menschlichkeit fehlt in Dortmund, also dass jeder Mensch sein Gegenüber auch als gleichwertigen Menschen betrachtet. Wir hatten in den letzten Wochen drei kältetote Menschen. Das sind Randnotizen, das wird nicht wirklich wahrgenommen. Es waren wohnungslose Menschen. Ich glaube, wenn es keine wohnungslosen Menschen gewesen wären, hätten wir es mehr in den Fokus gerückt und ich habe das Gefühl, dass wir Menschen unterschiedliche Werte zuschreiben und das sollte sich wieder ändern.
Das ist Tina Wilken
- Alter: 39
- Wohnort: Dortmund
- Familienstand: ledig
- Beruf: Lehrerin
- Partei: Vorstandsmitglied der Grünen Dortmund
- Vorherige Kandidaturen: keine
- Wahlkreis: Dortmund I
Auf das Thema Wohnung kommen wir gleich noch, aber zunächst: Es wurde zuletzt viel über Migration diskutiert. Was würden Sie an der aktuellen Migrationspolitik ändern?
Für mich ist ganz klar, dass es einen viel früheren Zugang zum Arbeitsmarkt braucht. Das hat ganz verschiedene Aspekte. Jeder Mensch braucht auch eine Selbstwirksamkeit für die mentale Gesundheit. Auf der anderen Seite ist es ein wirtschaftlicher Aspekt. Ich habe mit geflüchteten Menschen zu tun, die zwei Jahre in einem Geflüchtetenheim, in einer großen Unterkunft sind, die nicht arbeiten dürfen. Es geht ihnen sukzessive schlechter. Irgendwann sind sie dann gar nicht mehr gesund genug für den Arbeitsmarkt.
Dann kommen wir doch wieder zu den Kosten, also Lebensmittel, Energie, Miete. Vieles wird gefühlt teurer, vieles auch wirklich. Was wollen Sie dagegen tun?
Wichtig, finde ich, dass wir geringe Einkommen und mittlere Einkommen weniger besteuern und eben die Milliardärssteuer einführen und vor allem die Erbschaftssteuer reformieren - komplett.
Beim Thema Wohnung ist es nicht nur eine Kostenfrage. Viele Menschen in Dortmund finden einfach keine Wohnung, finden kein Haus. Nennen Sie eine Lösung für das Problem.
Eine Lösung, die derzeit diskutiert wird, ist Wohnraumverdichtung, dass wir uns in der Stadtplanung Gedanken machen, wie wir mehr Wohnraum auf weniger Fläche verteilen können. Und die Mietpreisbremse ist natürlich auch immer ein Thema.
Auch neue Häuser bauen?
Wo es möglich ist, ja.
In vielen Ländern hatten wir zuletzt das Erstarken der politischen Extreme. Was würden Sie dagegen tun?
Ich bin immer dafür, das Symptom akut zu behandeln, aber langfristig eben an die Wurzel des Problems zu gehen. Ich habe mich in den letzten Jahren viel damit auseinandergesetzt, was Menschen dazu bringt, rechtes Gedankengut für sich zu entdecken. Und ich glaube, dass wir das Thema Einsamkeit in jüngeren Generationen angehen müssen. Parteien wie die AfD haben es geschafft, Ängste zu schüren, wo de facto keine Gefahr ist. Wenn man sich nun mal anschaut, wie groß ist das Problem von migrantischen Straftätern - und wie groß ist das Problem von Femiziden in diesem Land? Da sprechen wir durchschnittlich von 1,5 Toten durch islamistische Anschläge und von über 100 Femiziden. Es heißt aber immer wieder: Wir haben ein Problem mit migrantischen Menschen. Der Fokus muss sich wieder auf Themen richten, die wirklich wichtig sind.
Ein Anschlag findet im öffentlichen Raum statt, der Mord an Frauen eher im Privaten, also dort, wo man es nicht sieht.
Es ist das große Problem, dass wir das Thema Gewalt an Frauen überhaupt nicht in der Öffentlichkeit diskutieren, weil es immer als privates Problem gesehen wird. Es ist aber kein privates Problem. Es findet im privaten Raum statt, aber es wird zugelassen von der Gesellschaft. Es wird zugeschaut und weggeschaut vor allen.

Welches ist Ihr wichtigstes Ziel für Berlin?
Mein wichtigstes Ziel ist die Integration, aber im weitesten Sinne, also im Sinne von Einbeziehung. Wir verstehen heute das Wort „Integration“ sofort in Bezug auf ausländische Menschen. Ich meine aber mit „Integration“ aber eine Gesellschaft zu schaffen, in der alle Menschen genauso teilhaben können: Kinder, alte Menschen, junge Menschen, arme Menschen. Das kann man nicht auf ein Thema reduzieren, sondern das hat ganz viel mit Bildungspolitik zu tun. Und es hat mit Wirtschaftspolitik zu tun. Das möchte ich in Berlin vorantreiben.
Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Haben Sie ein politisches Vorbild?
Ich habe viele politische Vorbilder. Ein Vorbild für mich ist auf jeden Fall Claudia Roth. Für mich als feministische Frau ist sie einfach eine Frau, die schon früh gezeigt hat, dass man als Frau in der Politik eine Standhaftigkeit braucht. Wie sie das gemacht hat, finde ich ganz großartig.