Mehr Lappalien – und vor allem härtere Gewalt Eine Nacht in der Notaufnahme in Dortmund

Brutale Gewalt ist ihr Alltag: Eine Nacht in der Notaufnahme
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Es ist etwa 23.30 Uhr in der Notaufnahme, als Rettungssanitäter einen Mann einliefern, der kaum noch als solcher zu erkennen ist. Sein Gesicht ist komplett entstellt, überall ist Blut. Er zittert so stark, dass das Pflegepersonal ihn festhalten muss. Während sie ihn auf seiner Liege schnell in den Schockraum fahren, ruft er halblaut etwas Unverständliches. Später wird klar, er möchte dem Personal mitteilen, dass seine Frau schwanger ist, er müsse das Telefon im Auge behalten.

Das Personal reagiert routiniert, Pflegerin Gabriela spricht ruhig mit dem Patienten, während sie ihn behandelt: „Das geht gerade nicht, wir müssen uns erst um Sie kümmern.“ Das Handy liegt in ihrer Nähe bei seinen anderen Sachen; es ist komplett zerstört. Während er für die weiteren Untersuchungen entkleidet wird, besprechen sich Sanitäter und Pfleger. Der Mann sei überfallen worden, er habe große Schmerzen im Kopf und in der Seite. Gleichzeitig scheint er sehr zu frieren, eine mögliche Erklärung für das gewaltige Zittern.

Das Team wirkt eingespielt. Schnell, aber nicht hektisch. Nach und nach geht das Pflegepersonal die Behandlungsschritte durch. Von der Ankunft des Patienten bis zur letzten Untersuchung im CT vergehen gerade einmal 15 Minuten. Es ist nur ein Einsatz von vielen in dieser Nacht in der Zentralen Notaufnahme des Klinikums Dortmund.

Schnell! Aber nie hektisch.

Als der Anruf vom Rettungsdienst kam, war es 23.18 Uhr. Der Unfallchirurg in Bereitschaft, Soheil Amin, bereitet sich gerade auf eine OP vor. Links liegt die Belehrung für den Patienten, der gleich ein paar Schrauben in die Hüfte bekommen soll, rechts wird schnell für die Kolleginnen und Kollegen notiert, was auf sie zukommt.

In dem Moment betritt Pfleger Alex den Raum. Amin: „Patient für Schockraum 1. Brutal zusammengeschlagen.“ - „Wann?“ - „Zehn Minuten.“ Das war die ganze Übergabe. Schnell und effizient. Das zeichnet den Umgang des Personals aus, erzählt auch Pflegerin Gabriela in einer ruhigen Minute: „Kurz und knapp, das ist wichtig. Deswegen Duzen wir uns auch und unser Umgangston wirkt manchmal sehr rau. Aber wir haben keine Zeit für höfliche Formulierungen im Ernstfall.“

Gabriela ist seit etwa 13-14 Jahren im Klinikum. Sie wirkt im Team wie eine Mutterfigur, hat in allen Situationen die Ruhe weg. In ihrem leicht osteuropäischen Akzent sagt sie, während sie sich einen Kaffee macht: „Es hat sich viel verändert. Viel mehr Leute kommen mit Lappalien zu uns. Vor allem anderen ist aber die Gewalt härter und häufiger geworden – draußen und sogar hier drinnen.“

Gewalt gegen das Personal

Die Gewalt von außen war sichtbar an den Patienten, die in dieser Nacht eingeliefert, wurden, zu sehen. Viele, die per Rettungswagen ankommen, kommen wegen Körperverletzungen. Sie wurden ausgeraubt, verprügelt und einer hatte eine riesige Wunde am Kopf wegen eines Bierglases, das er dagegen bekommen hatte. Aber es kommt auch in dieser Osterschicht zu Gewalt im Inneren der Notaufnahme.

Nachtschicht zu Ostern in der ZNA Nord
Nachtschicht zu Ostern in der ZNA Nord © Sophia Wibbeke

Vier Stunden früher, gegen 20 Uhr, meldet ein Sanitäter einen stark alkoholisierten Patienten. Er wurde wohl angefahren, ist aktuell kaum ansprechbar, man habe aber den Pass. „Den kann ich hier nicht aufnehmen, der hat Hausverbot“, sagt die Dame an der Anmeldung. Rauchen auf der Toilette, Beleidigung, Aggressionen. Der Patient war schon oft im Klinikum Nord. Doch es hilft nichts, er ist verletzt, und wird aufgenommen und auf den Flur gefahren.

„Hilfe! Jemand soll mir jetzt sofort helfen, verdammte Scheiße!“, brüllt er über den Flur. Christian Eggers schreitet ein. Er ist der pflegerische Leiter der Notaufnahme und hat die Entscheidung gefällt, den Mann aufzunehmen. „Wir helfen dir, aber dafür musst du Geduld haben und aufhören zu schreien“, sagt er ganz ruhig.

Das Pflegepersonal auf dem Flur der ZNA.
Das Pflegepersonal auf dem Flur der ZNA © Sophia Wibbeke

Der Ton täuscht nicht darüber hinweg, wie genervt seine Kolleginnen sind. Während der Alkoholisierte weiter auf Deutsch und Polnisch flucht und ruft, hört man sie murmeln: „Immer wieder so ein Mist.“ - „Ja, ruf doch die Polizei, wir würden uns freuen.“ Da hilft dann nur Humor. Ein weiterer Pfleger, Markus, nutzt die Gelegenheit für einen Running Gag in der Belegschaft: „Wir sorgen immer für 90 Prozent Kundenzufriedenheit. Das da sind die 10 Prozent.“ Das hellt die Stimmung auf, die Kollegen lachen.

Polizei im Klinikum auf Spurensuche

Viermal kommt die Polizei in der Nacht von Ostersamstag auf -sonntag in die Notaufnahme. Meist zur Spurensicherung bei Opfern von Gewaltdelikten, wie bei dem Mann mit der schwangeren Frau. Und einmal kommt sie tatsächlich wegen des aggressiven Mannes aus dem Flur. Der war plötzlich der Meinung, man habe ihm sein Portmonee gestohlen. Leiter Christian Eggers muss raus in die Kälte, um die Situation mit den Beamten zu klären.

Die Geschichte endet unspektakulär. Der Patient findet sich schnell damit ab, als die Polizei ihm sagt, dass es wahrscheinlich ist, dass er sein Portmonee einfach in der Nacht verloren hat. Doch es kostet Zeit, immer wieder musste sich das Personal um den Mann kümmern, ihn zurechtweisen und dann mit der Polizei diskutieren. „Das kostet uns einfach so wertvolle Zeit, in der wir Patienten helfen könnten“, sagt Eggers, während er leicht angesäuert wieder auf die Station geht.

Die Laune bleibt aber nicht lange schlecht, denn auf Eggers wartet schon eine Überraschung. Zwei weitere seiner Mitarbeiterinnen sind angekommen – als Patientin und Begleitung. Die Kirmes hat ihnen nicht bekommen. Es wird viel gewitzelt, sogar die Kollegin auf dem Behandlungsstuhl macht mit, noch mit einer Kotztüte in der Hand.

Alex, Pia, Gül, Michelle. Mitarbeiter im Klinikum Nord in Dortmund.
Zwei Mitarbeiterinnen führte es abseits der Schicht in die Notaufnahme. Nach dem Kirmesbesuch ging es ihnen gar nicht gut. Von links hinten: Alex, Pia, Gül, Michelle. © Sophia Wibbeke

Der Patientin, Gül, geht es nach Behandlung durch die Kollegen Alex und Pia schnell besser. Sie fragen sicherheitshalber die zweite Pflegerin in zivil, Michelle, wie es ihr denn geht. „Geht so“, sagt sie, „ich hatte eigentlich nicht vor, heute auf der Arbeit aufzutauchen.“

Michelle, die heute nur zufällig hier ist, hat vor einem Jahr nur wenige Zimmer weiter von einem Patienten die Nase gebrochen gekriegt. Spontan sei er bei der Untersuchung ausgerastet und ihr mit einem Stiefel ins Gesicht getreten. Das war damals gerade einmal ihr zweiter Arbeitstag.

Ihre Nase weist keine Spur mehr von diesem Gewaltausbruch auf der Arbeit auf. Innerlich sehe das aber anders aus: „Psychisch war es einfach viel zu viel. Ich habe immer geweint, vor allem, wenn ich mich im Spiegel angesehen habe. Wenn du hier so etwas erlebst, das verändert dich.“

Gewalt in der ZNA ist Alltag

Gewalt ist Alltag in der ZNA, nicht immer so krass wie bei Michelle, aber jede Mitarbeiterin, jeder Mitarbeiter hat eine Geschichte. „Der eine letztens, der wollte uns doch töten und ficken, oder?“ - „Ja, aber der ist nicht so schlimm, wie der, der mit dem Feuerlöscher das Bad auseinandergenommen hat.“

Mehmet der Sicherheitsmann
Mehmet ist für die nächtliche Sicherheit in der Zentralen Notaufnahme des Klinikums Nord zuständig. © Sophia Wibbeke

Und wie um diese Geschichten zu bestätigen, wird es in der Osternacht noch einmal ernst. Schon aus der Ferne hörte man das Fluchen einer Frau, einer Sanitäterin. Sie und ihr Kollege haben einen blutüberströmten Mann in die Notaufnahme gebracht. „Sie bleiben hier stehen!“, sagt sie, „Ihr habt mir überhaupt nichts zu sagen!“, antwortet er. Die Geschichte scheint bereits im Rettungswagen angefangen zu haben.

Der Kollege der Sanitäterin will helfen. Das provoziert den Mann, es kommt zu einem leichten Gerangel, es gehen Leute zwischen die Männer, um Schlimmeres zu verhindern. Erst das Eingreifen des Sicherheitsmanns Mehmet deeskaliert die Situation. Obwohl auch er provoziert wird, bewahrt er die Ruhe.

„Gewalt ist hier ganz normal. Aber das Schlimmste, was man machen kann, ist, sich provozieren zu lassen.“ Sicherheitsleute wie Mehmet gibt es in der ZNA seit einigen Monaten. Man hat im Klinikum irgendwann keine andere Möglichkeit mehr gesehen, als für zusätzlichen Schutz zu sorgen.

Ob das langfristig ausreicht, weiß man nicht. Aktuell jedoch scheint es zu klappen, und sei es nur, indem Mehmet Präsenz zeigt und deeskaliert. „Nur im äußersten Notfall setzen wir Gewalt ein. In vielen Fällen reicht es, ruhig zu bleiben und auf die Menschen zuzugehen. Der Mann zum Beispiel von vorhin“, sagt Mehmet zu demjenigen, der sich gerade noch mit einem Sanitäter schlagen wollte, „sitzt jetzt nach einem kurzen Gespräch friedlich im Wartezimmer und wartet auf die Folgeuntersuchung.“

Dieser Text erschien erstmals am 03. April 2024. Aufgrund des großen Interesses haben wir ihn erneut veröffentlicht.