Sich nach langer Zeit als Single wieder auf eine Beziehung einzulassen, ist manchmal gar nicht so leicht.
Ich begleite immer wieder alleinstehende Personen, die sich nach vielen Jahren des Allein-Lebens nur noch schwer vorstellen können, mit einem anderen Menschen in enger Beziehung zu sein oder sogar zusammenzuleben.
Diese Menschen haben in ihrer Zeit allein eine so große Autonomieerfahrung gemacht und gelebt, dass die Vorstellung beängstigend sein kann, sich eng mit einer anderen Person zu verbinden.
An dieser Stelle ist es in der Arbeit interessant, einmal sehr genau zu ergründen, was uns die Ablehnung eines potenziellen neuen Beziehungsmenschen sagen will.
Ist es, wie in der letzten Kolumne beschrieben, das Spüren von „etwas passt mir nicht - es reicht mir nicht für eine feste Bindung“, oder meldet sich hier vielleicht eher die Angst vor einem möglichen Autonomieverlust - denn dann wird häufig das berühmte „Haar in der Suppe“ gesucht.
Fluchtinstinkt nach einem halben Jahr Beziehung
Eine Klientin von mir, nennen wir sie Britta, hatte nach einer jahrelangen Zeit des guten Allein-Lebens einen Mann kennengelernt, der sie zum ersten Mal seit langer Zeit als möglichen Beziehungsmenschen interessierte.
Die erste Dating-Phase verlief super und nach einigen Monaten entwickelte sich etwas Festeres daraus. In der Zeit der ersten Verliebtheit, der Schmetterlinge, des Nicht-Wissens, wo die Reise hingeht, ging es Britta sehr gut, da alles noch ein Stück weit unverbindlich, noch nicht wirklich sicher und auch noch sehr aufregend war.
Als sie jedoch circa ein halbes Jahr mit dem Mann in Verbindung war, bekam sie starke Fluchtimpulse und dachte bereits wieder über eine Trennung nach. So kam sie zu mir in die Praxis.
Wenig Erfahrung mit Autonomie
Britta hatte in ihrer Kindheit und Jugend nur wenig eigene Erfahrungen von Autonomie machen können, da sie sich schon früh um zwei ihrer drei Geschwister kümmern musste, da die Eltern viel mit der Sorge um eine andere (erkrankte) Schwester befasst waren.
Seit sie circa elf Jahre alt war, hatte sie als älteste Tochter nicht wirklich Raum für eigene kindliche und spätere pubertäre Entwicklungen und Erfahrungen mit der eigenen Autonomie, die aus psychologischer Sicht in dieser Zeit an der Reihe gewesen wären.
Sie lernte früh, auf sich gestellt zu sein, sich eigenständig und verantwortlich um Dinge zu kümmern und anstehende Probleme zu lösen. Ein Verhalten, für das Kinder übrigens oftmals als „besonders verantwortungsbewusst, vernünftig oder wenig problematisch“ wahrgenommen werden.
Rollenumkehr in der Kindheit
Leider ist das ein Trugschluss, denn diese Kinder sind voll und ganz in einer sogenannten „Überanpassung“ und erleben eine „Rollenumkehr“.
Sie wollen alles richtig machen, die Familie entlasten und alles dafür tun, dass die Eltern nicht noch mehr Sorgen haben. Sie funktionieren und leisten und tun sehr viel, damit es den anderen gut geht, sie versorgt sind und so weiter. Das heißt, sie übernehmen viel Verantwortung für andere und wenig für sich.
Nun könnten Sie denken: „So ein bisschen aufpassen auf Geschwister führt doch bestimmt nicht zu späteren Beziehungsproblemen!“ Nun, nicht immer. Oft führen solche Menschen durchaus (langjährige) Beziehungen und sind häufig auch selbst Eltern.
Sie führen ihre Beziehungen aber häufig so, dass sie einfach (unbewusst) so weiter machen, wie früher. Dies führt allerdings genauso oft irgendwann zur absoluten Erschöpfung, Burnout oder auch zu depressiven Verstimmungen.
„Dann doch lieber gar keine Verbindlichkeit.“
Wenn keine Autonomie erlebt wird, keine eigenen Bedürfnisse gespürt und gelebt werden, wird man in vielen Fällen irgendwann unglücklich oder krank.
Wie im Fall von Britta gibt es viele Menschen, die sich daher eher vor Beziehungen schützen, denn aus alter Erfahrung ist abgespeichert: Beziehungen machen unfrei, ich muss mich anpassen und leisten und funktionieren! So wie früher. Dann doch lieber gar keine Verbindlichkeit.
Als ich mit Britta noch ein paar Sitzungen lang intensive Biografiearbeit machte und mit ihr daran arbeitete, ihre alten Muster zu erkennen, konnte sie deutlich sehen, was ihr Rückzug/Fluchtverhalten in der aktuellen Beziehung auslöste.
Alte Muster erkennen
Das bedeutet nicht, dass durch das bloße Erkennen von Ursachen und Prägungen alles anders und leichter funktioniert.
Wir erkennen aber bewusster und sehr viel schneller, was für ein altes Muster uns gerade aktiviert, und so können wir im „Hier und jetzt“ innehalten und eine andere, eine erwachsene und der Situation angemessene Entscheidung treffen.
Britta stellt sich ihren alten Ängsten und lernt gerade Stück für Stück, dass Beziehung nicht gleich bedeuten muss, sich selbst aufzugeben. Autonomie und Bindung funktionieren auch zusammen, wenn man sich seiner Muster und Bedürfnisse bewusst ist.
Nicht immer gleich gut und nicht immer einfach. Aber wir können es erkennen und uns bewusst entscheiden.
Birthe Kottmann ist systemische Einzel,- Paar- und Familientherapeutin in freier Praxis in Dortmund. Der Schwerpunkt ihrer therapeutischen Arbeit liegt darin, Menschen dabei zu begleiten, ihre Muster und Prägungen zu verstehen, zu reflektieren und sich dann so entwickeln, dass sie erkennen, was ihre eigenen Bedürfnisse, Wünsche und vor allem ihre eigenen Grenzen sind.
Dabei zeigen sich häufig frühe Bindungs- und Entwicklungsthemen, die uns zu dem Menschen machen, der oder die wir heute sind. In ihrer Kolumne gibt sie Alleinstehenden und Singles Tipps, wie man mit Einsamkeit, Stress erzeugenden und übergriffigen Kommentaren und den Erwartungen der Gesellschaft, nun endlich doch den oder die Richtige zu finden, umgeht. Mehr Infos und Kontakt unter www.birthekottmann.de.
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