Gerade noch Note „ausreichend“ Welche Ziele OB Thomas Westphal erreichte, welche nicht

Bilanz der Prioritäten von OB Westphal : Nachtleben liegt vorn, Wohnen auf dem letzten Platz
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Da hatte sich Thomas Westphal (SPD) viel vorgenommen, als er im Jahr 2020 für das Amt des Oberbürgermeisters kandidierte. 60 Ziele, die er innerhalb von fünf Jahren erreichen wollte und die bis heute auf seiner Seite abrufbar sind, listete er auf.

Seit Mitte September haben wir in einer großen Serie überprüft, was aus den einzelnen Zielen geworden ist, denn: In einem Jahr, am 14. September 2025, stehen die nächsten Kommunalwahlen an. Vier von fünf Arbeitsjahren als OB liegen also hinter Thomas Westphal. 80 Prozent seiner Amtszeit sind verstrichen. Wenn alles glatt gelaufen wäre, müsste Thomas Westphal in diesen Wochen also auch seine Ziele zu 80 Prozent erreicht haben.

Kostenlosen Eintritt ins Schwimmbad versprach Thomas Westphal allen unter 14- und über 60-jährigen Menschen in Dortmund. Daraus wurde nichts.
Kostenlosen Eintritt ins Schwimmbad versprach Thomas Westphal allen unter 14- und über 60-jährigen Menschen in Dortmund. Daraus wurde nichts. © Stephan Schütze (A)

Um es vorwegzunehmen: Im Schnitt über alle 60 Ziele kommt Westphal in unserer Bewertung in der Zielerreichung auf eine Quote von glatt 50 Prozent. Gäbe es eine Note, so hätte er sein Examen damit so grade eben mit „ausreichend“ noch bestanden. Unter 50 Prozent wäre mangelhaft und durchgefallen. Wobei: Das ist ja nicht der Endstand. Westphal ja noch elf Monate Zeit, seine Note zu verbessern. Zudem gibt es besondere Faktoren, die bei dieser Bewertung immer mit bedacht werden müssen. Dazu später mehr.

Zunächst bleiben wir bei der Benotung. Dabei sagt die Gesamtnote von 50 wenig darüber aus, welche Prioritäten der Oberbürgermeister gesetzt hat. Wo die Stadt vorangekommen ist, und wo sie eher auf der Stelle tritt. In unserem Redaktionsteam haben wir die 60 Ziele daher zu neun Themenblöcken gebündelt: Digitalisierung, Wohnen, Verkehr, Wirtschaft, Bildung, Klima, Gastronomie und Nachtleben, Freizeit sowie weitere Ziele.

In jedem dieser Themenblöcke haben wir die verschiedenen, von Westphal genannten Ziele untersucht und geschaut, zu welchem Prozentsatz ein bestimmtes Ziel erfüllt wurde. Aus den Einzelzielen haben wir dann für jeden Themenblock eine Gesamtnote ermittelt.

Was direkt auffällt ist, dass im Sektor „Gastronomie und Nachtleben“ die gesetzten Ziele am besten erfüllt wurden, nämlich im Schnitt zu 73 Prozent. Auf den letzten vier Plätzen liegen dagegen – wie unsere Grafik zeigt – die Bereiche Verkehr, Wirtschaft, Freizeit und auf dem letzten Platz das Wohnen. Da darf man sich schon die Frage stellen, ob das auch die Prioritäten sind, die bei den Dortmunderinnen und Dortmundern an erster Stelle stehen.

Dass es jetzt einen Nachtbürgermeister, baurechtliche Erleichterungen für die Gastronomie und einen Clubfonds gibt und zudem die Vergnügungssteuer abgeschafft wurde, ist sicherlich schön. Aber wie sieht es im Bereich Wohnen aus? Die Ziele erschwinglicher Mieten und der Vernetzung der Wohnungsbaugesellschaften wurden völlig verfehlt. Die Ziele, Bauland schneller baureif zu machen sowie ein kommunales Wohnbauprogramm zu schaffen, wurden bislang nur minimal umgesetzt. All das dürfte die Menschen in Dortmund aber härter treffen, als wenn sie noch ein Jahr auf einen Nachtbürgermeister hätten verzichten müssen.

Und dass die Grundsteuer bisher nicht erhöht wurde, freut sicherlich Mieter wie Eigentümer. Allerdings wird sich in den nächsten Wochen zeigen, was aus der Grundsteuer wird. Zum 1. Januar greift nämlich ein neues Berechnungsmodell und den neuen Hebesatz muss die Stadt auch noch festlegen. Ob die Grundsteuer-Höhe dann tatsächlich auf dem bisherigen Niveau verbleibt, ist offen.

Schauen wir ein wenig genauer auf die anderen Themenfelder. Beginnen wir bei den „weiteren Zielen“, wo mit 70 Prozent die zweitbeste Quote erreicht wurde. Hier wurden die beiden Punkte „Abschaffung der Straßenausbaubeiträge“ und „keine Privatisierung städtischer Aufgaben“ erreicht.

Allerdings: Die Straßenausbaubeiträge hat nicht die Stadt, sondern das Land abgeschafft. Und der Aufwand, etwas wie die Privatisierung nicht zu verwirklichen, sondern alles so wie immer zu belassen, ist nicht besonders hoch. Beim weiteren Ziel in dieser Kategorie, dem Ausbau der EDG, ist das anders. Aber hier ist das Ziel nur zu zehn Prozent erreicht.

Im Bereich Klima hat Westphal seine Ziele, Photovoltaik-Anlagen auszubauen und zusätzlich 1.000 Bäume im Jahr zu pflanzen, schon jetzt erreicht. Beim geplanten Auf- und Ausbau eines Kältenetzes ist dagegen bisher noch kein wirklicher Erfolg erkennbar.

Im Bereich Bildung, der mit 53 Prozent in der Gesamtskala auf Rang vier liegt, gibt es Licht und Schatten. Eine Kinderkonferenz wurde auf den Weg gebracht, die digitale Ausstattung der Schulen hat große Fortschritte gemacht, die Ferienprogramme wurden ausgebaut und die Zahl der Kita-Plätze wurde deutlich, wenn auch noch nicht ausreichend erhöht.

Andere Aufgaben aus dem Zielkatalog dümpeln dagegen noch vor sich hin. Dazu zählt die Verbesserung des Ganztagsangebots ebenso wie erst recht die angestrebte Vernetzung von Grundschulen und Kitas sowie die Neuausrichtung der OGS-Betreuung.

Im Bereich Digitalisierung ist das Erreichte eher als bescheiden einzustufen: 52 Prozent. Egal, ob Baustellenmanagement, intelligent gesteuerte Straßenbeleuchtung oder Parkraumbewirtschaftung – hier wurde eigentlich immer erst die halbe Wegstrecke bewältigt.

Am Hafen sollte ein Digitalquartier entstehen. Doch das wankt jetzt wieder, obwohl beispielsweise der Lensing Media Port sich mit Riesenschritten der Fertigstellung nähert. Ob jetzt wirklich – wie vom OB versprochen – weitere digitale Vorzeige-Firmen an den Hafen ziehen, ist offen.

Die Dortmund-App ist dagegen an den Start gegangen und läuft schon gut, wenn auch noch nicht perfekt. Zudem ist der Ausbau des Glasfasernetzes auf einem ordentlichen Weg. Wo es noch hapert, ist die Digitalisierung der städtischen Dienstleistungen im Rathaus. Hier liegt das Erreichen der Ziellinie noch in weiter Ferne.

Beim Thema Verkehr wurde zwar das Ziel, das nächtliche Angebot im Nahverkehr zu erweitern, zu großen Teilen erreicht und das versprochene Verkehrswendebüro wurde ebenfalls eingerichtet.

Bei dem, was die Menschen alltäglich im Nahverkehr spüren, sind die Fortschritte allerdings eher mager: Ausbau von H- und Stadtbahn sowie der Ausbau des Radwegenetzes stocken gewaltig.

Bedenklich in der Westphal-Bilanz zu Wirtschaftsthemen stimmt, dass zentrale, von ihm selbst gesteckte Ziele, bisher nicht erreicht wurden. Einen leichten Rückgang der Arbeitslosigkeit hat es nur im Bereich der Jugendlichen gegeben, ansonsten ist die Arbeitslosigkeit leicht gestiegen.

Auch die versprochene Neuerfindung als Einkaufsstadt ist allenfalls in kleinen Teilen erkennbar. Hier sind die Kern-Probleme wie Obdachlosigkeit, Drogenszene und Attraktivitätsverlust auch durch viele Leerstände noch keineswegs gelöst.

Da ist es schon ein Lichtblick, dass die Gewerbesteuer bisher – wie versprochen – nicht erhöht wurde, und es bei der Unterstützung des Handwerks positive Signale gibt.

Sehr viel „Luft nach oben“ ist im Freizeit-Bereich festzustellen. Am härtesten dürfte es die Dortmunderinnen und Dortmunder treffen, dass Thomas Westphal den vollmundig versprochenen freien Eintritt in die Schwimmbäder für unter 14- und über 60-Jährige nicht umsetzen konnte. Und seine Idee zur Gründung einer Eventgesellschaft wurde ebenfalls verworfen.

Eine angepeilte neue Wald- und Draußenbühne gibt es bislang ebenso wenig wie ein durchgängiges neues Bezahlmodell für einen Park (Bezahl, was du willst).

Der Ausbau der Stadtteilbibliotheken ist gestartet, ebenso der Bau neuer und die Sanierung bestehender Sportstätten. Und das neue Kinder- und Jugendtheater wird kommen, auch wenn das noch dauern kann.

Bis zu diesem Punkt haben wir rein faktisch das Erreichte mit dem Versprochenen abgeglichen. Zur richtigen Einordnung müssen allerdings einige wichtige Aspekte mitbedacht werden. Sie lassen sich in fünf Punkten zusammenfassen.

1. Der Oberbürgermeister der Stadt Dortmund ist weder ein König noch ein Diktator. Seine Befugnisse sind nicht grenzenlos. Die allermeisten Entscheidungen kann er nicht alleine treffen, sondern die liegen in der Zuständigkeit des Rates.

Im Rat aber ist Westphals Partei, die SPD, lediglich mit 27 der 90 Sitze vertreten. Das heißt: Damit Westphal seine Ideen umsetzen kann, muss er sich immer mit anderen Fraktionen absprechen und so Mehrheiten organisieren.

Das ging zuweilen gehörig schief. So, um nur ein Beispiel zu nennen, als Westphal unter der Überschrift „Großstadt der Nachbarn“ ein neues Leitbild für Dortmund in den Rat einbrachte, das dieser nur noch abnicken sollte. Von dem angedachten Bürgerforum, in dem das neue Leitbild entwickelt werden sollte, war nichts mehr übrig geblieben. Der Rat fühlte sich übergangen und ließ den OB auflaufen.

2. Dortmund ist keine Insel, sondern abhängig von Entscheidungen, die auf Bundes- und Landesebene getroffen werden. Dabei sollte eigentlich immer das sogenannte „Konnexitätsprinzip“ gelten. Das besagt nichts anderes als: Wer eine neue Leistung oder Aufgabe beschließt, der sollte auch die Kosten dafür tragen.

Das ist leider nicht immer zu 100 Prozent der Fall.

So werden beispielsweise Geflüchtete vom Land über die Bezirksregierungen den 396 Städten und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen zugewiesen. Die Stadt ist dann für die Unterbringung und Versorgung zuständig. Dabei beteiligen sich Bund und Land zwar an den Kosten, dennoch belastet diese Aufgabe jede Stadt erheblich, auch Dortmund.

3. Die Corona-Jahre haben die ersten Jahre der Amtszeit von OB Westphal geprägt und belastet. Dadurch konnten viele der angedachten Aufgaben nicht so angegangen werden, wie das eigentlich geplant war. Zudem hat die Bewältigung der mit der Pandemie einhergehenden Aufgaben die Verwaltung stark gefordert, man denke allein an die Organisation der Infektions-Nachverfolgung oder den Aufbau der Test- und Impfzentren.

Die Folgen der Pandemie waren sicherlich weder für Thomas Westphal noch sonst jemanden in diesem Ausmaß vorhersehbar. Es stimmt allerdings auch: Als sich Westphal im Herbst 2020 zur Wahl stellte, lag der erste, acht Wochen dauernde komplette Lockdown schon hinter Dortmund und der zweite zog schon am Horizont auf. Hätte er da mit seinen Ankündigungen vielleicht etwas vorsichtiger sein sollen?

Anders verhält es sich beim Krieg in der Ukraine, der im Februar 2022 durch Russlands Überfall auf den Nachbarn ausbrach. Der war so nicht vorhersehbar. Die Folgen, die für die Stadt daraus erwuchsen, aber waren gewaltig. Die große Zahl an Kriegs-Flüchtlingen sowie die in der Folge ausgelöste Energiekrise samt der galoppierenden Inflation haben die Stadt auf zahlreichen Handlungsfeldern stark beeinträchtigt.

Alles in allem gilt: Ja, Corona und der Krieg in der Ukraine sind zwei Faktoren, die man bei der Bewertung der Leistung von OB Thomas Westphals als „mildernde Umstände“ anrechnen muss.

4. Ein weiterer Punkt, der während unserer Recherchen in Gesprächen mit den anderen Fraktionen immer wieder genannt wurde, war die Aussage: „Das ist doch gar nicht Westphals Idee gewesen, das haben wir doch schon viel früher und länger gefordert.“ CDU und Grüne führen dabei sehr gerne ihre „strategische Projektpartnerschaft“ ins Feld, durch die viele Themen erst auf den Weg gebracht worden seien, wie etwa das „Memorandum zur Digitalisierung 2020 – 2025“ mit zahlreichen Ideen zur Digitalisierung Dortmunds.

Ja, diese Kritik ist grundsätzlich berechtigt. Es war in unserer Überprüfung allerdings unmöglich, in jedem Einzelfall die Historie einer Idee bis zum Urheber zurückzuverfolgen. Das ist allerdings auch gar nicht nötig. Es steht in der Politik jedem frei, eine gute Idee zu seiner eigenen zu machen. Niemand muss das Rad neu erfinden. Messen lassen muss sich Thomas Westphal also nicht an der Urheberschaft für eine Idee, sondern daran, wie weit er diese umgesetzt hat. Genau das haben wir überprüft.

5. Ein Zugeständnis am Ende. Nicht bei jedem einzelnen Ziel ist es möglich, am Schluss eine mathematisch exakte Berechnung für einen ermittelten Prozentsatz vorzulegen. In solchen Fällen haben wir uns auch mithilfe externer Gesprächspartner in Näherungswerten an die Realität herangetastet und dabei bei aller kritischen Betrachtungsweise größtmögliche Fairness walten lassen.

Und hier geht es zur ganzen Serie „Westphals Ziele“.