Weinend liegt Jeanette (41) nachts in ihrem Bett. Zu groß ist der Schmerz, die Traurigkeit über viele Dinge, die in ihrer Beziehung falsch laufen. Der Hauptgrund dafür: Ihr damaliger Partner, der seine Lebensgefährtin immer wieder leiden lässt. Emotional völlig unberechenbar, hochgradig manipulativ, oft sehr wütend und nach Streit eiskalt abweisend.
Sein letztes, extremstes Mittel: Völliger Kontaktabbruch von der einen auf die andere Sekunde, inklusiver geblockter Handynummer - nur um sich vier Wochen später wieder zu melden, als sei nichts vorgefallen.
Wenn Jeanette nachts die Tränen kommen, liegt dieser Mann neben ihr - und ignoriert das Leid seiner Partnerin komplett. Er schläft ein, als wäre alles in bester Ordnung.
Es ist nur ein kleiner Ausschnitt, aber er macht für Außenstehende schnell deutlich, dass in dieser Partnerschaft einiges falsch lief. Heute sagt Jeanette: „Er war Narzisst.“ Und hat die Dortmunderin völlig fertig gemacht, krank gemacht. Irgendwann schafft sie es, die Partnerschaft zu beenden - ganz abgebrochen hat sie den Kontakt zu diesem Menschen aber noch immer nicht.
Hilfe für Betroffene
Es ist nicht Jeanettes erste Beziehung, die nach solch einem Muster abläuft. Im Rückblick sagt sie heute: „Ich war schon drei Mal mit narzisstischen Männern in einer Partnerschaft.“ Wobei sie selbst einschränkt: „Ich bin keine Therapeutin, ich hab kein Recht, jemanden als pathologischen Narzissten zu bezeichnen.“
Aber Jeanette hat sich in den vergangenen Monaten sehr viel mit dem Thema krankhafter Narzissmus beschäftigt, Bücher gewälzt, Experten zugehört und sich sehr viel mit anderen Betroffenen ausgetauscht. Aktuell bemüht sie sich darum, in Dortmund eine Selbsthilfegruppe für Frauen, die mit Narzissten in Beziehung sind oder waren, aufzubauen (Infos unten). „Wenn man sich mit anderen Betroffenen austauscht, hört man immer wieder: Bist du gerade mit meinem Ex-Freund zusammen? Weil sich das Verhalten so gleicht.“
Egoistisch, arrogant, selbstverliebt - so würde man narzisstisches Verhalten umgangssprachlich umschreiben. Es gibt Menschen, die einzelne narzisstische Züge haben - und es gibt Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Hier ist das Verhalten tiefgreifender, extremer, dominiert das Alltagsleben und verursacht großes Leid bei Partnerinnen und Partnern.
„In zwischenmenschlichen Beziehungen sind Narzissten häufig ausbeuterisch und ziehen zum Beispiel Nutzen aus anderen Personen, um die eigenen Ziele zu erreichen. Ihnen mangelt es zudem an Empathie, das heißt, sie sind nicht willens oder fähig, die Gefühle und Bedürfnisse anderer zu erkennen oder sich mit ihnen zu identifizieren“, heißt es etwa im Deutschen Ärzteblatt.

Das erste Kennenlernen wirkt hingegen wie aus dem Bilderbuch, beschreibt Jeanette ihre Erfahrungen: „Der Narzisst fängt sofort an, dich absolut zu idealisieren. Da fallen Sätze, die kennt man sonst nur aus Disneyfilmen: `Dich hat das Universum geschickt.` Oft kommt das erste `Ich liebe dich` schon ganz früh.“ Zudem wäre das Verhalten des Narzissten absolut perfekt: Die Jacke wird angereicht, die Tür aufgehalten, Geschenke gemacht. Mal Kleinigkeiten, wie die Lieblingsblumen. „Aber es gibt auch Narzissten, die gleich eine Kreuzfahrt buchen.“
Das Vorgehen habe System und richte sich immer an den gleichen Typ Mensch: „Lovebombing nennt man das. Eine Frau, die ihren Selbstwert kennt, fällt darauf nicht rein - aber wir Menschen mit geringem Selbstwertgefühl, wir finden das grandios.“
Die 41-Jährige spricht damit einen Punkt an, der ihr wichtig ist: Narzissten würden ihre Partnerinnen nach einem gewissen Schema aussuchen - ein geringes Selbstwertgefühl hätten alle Betroffenen gemeinsam.
Und das sorgt auch dafür, dass die Beziehung aufrechterhalten wird, auch wenn das Verhalten des Narzissten irgendwann umschlägt. Kleine, kritische Anmerkungen („Kannst du das Geschirr bitte in die Spülmaschine stellen und nicht drauf?“) führen zu totalen Ausrastern, sagt Jeanette. „Das ist eine Eskalation, die kann man sich nicht vorstellen.“ Gegenstände fliegen, Beleidigungen aus der untersten Schublade: „Hure, Schlampe, Whats-App-Nachrichten mit ekelerregendem Inhalt.“
„Im Hintergrund leiden Narzissten unter einem niedrigen Selbstwertgefühl, einer ausgeprägten Kritikempfindlichkeit und Versagensängsten. Betroffene sind stets auf die Bestätigung von außen angewiesen, um das eigene Selbst und ihr Wohlgefühl zu stabilisieren“, so das Infoportal Neurologen und Psychiater im Netz. Das erlebt Jeanette exakt so: „Man muss ständig loben, wie toll etwas gemacht wurde. Bleibt das aus, äußert man Kritik, eskaliert es.“ Abwertungsphase nennt die Dortmunderin das.
Und darauf folgt, in ihrer letzten Beziehung in regelmäßigen Abständen von zwei bis sechs Wochen, die „Entsorgung“. Der Kontaktabbruch nach einem Streit. „Da findet keine Trennung statt, man hat keine Chance auf ein abschließendes Gespräch, man wird entsorgt“, sagt Jeanette.
Falsche Versprechungen
Die Dortmunderin weiß selbst: „Menschen mit normalem Selbstwertgefühl haken das ab.“ Nicht so Menschen mit mangelndem Selbstwertgefühl. „Ich habe schwer darunter gelitten. Man ist emotional abhängig, denkt, man kann ohne diesen Menschen nicht mehr leben.“
Vier Wochen später dann aus dem Nichts eine Nachricht des (Ex-)Partners: „Lass uns treffen und reden.“ Es folgen Entschuldigungen und das große, falsche Versprechen, sich zu bessern.
Denn es beginnt immer wieder von vorn: Lovebombing, Abwertung, Entsorgung. Nicht nur in ihrer letzten Partnerschaft, sondern auch in zwei teils sehr langjährigen, narzisstischen Beziehungen zuvor, ist Jeanette krank geworden: „Man steht ständig unter emotionalem Stress. Ich habe Panikattacken bekommen in allen Beziehungen. Ich bin nicht mehr Auto gefahren, weil ich die Konzentration nicht mehr hatte. Ich habe büschelweise meine Haare verloren. Hautprobleme ohne Ende, Essstörungen. Unter hohem Blutdruck leide ich bis heute.“
Dabei hat sie ihre Beziehung im Dezember 2023 beendet. Seit Februar gibt es jedoch wieder Kontakt zu ihrem Ex-Freund. „Wir haben uns auch getroffen, führen Unterhaltungen.“ Aber eine Beziehung möchte sie nicht mehr. „Weil mich das psychisch krank macht.“
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 21. April 2024.
Selbsthilfegruppen für Opfer von Narzissmus
- Die Selbsthilfe-Kontaktstelle Dortmund plant aktuell die Gründung von zwei Gruppen für Opfer von Narzissmus: Eine für Frauen, die sich in narzisstischen Beziehungen befinden oder diese Beziehungen verlassen haben (Start am 23.4.). Und eine zweite, die offen ist für alle Menschen, die Opfer von narzisstischem Verhalten geworden sind: Sei es in familiären, beruflichen oder anderen sozialen Beziehungen (noch kein Starttermin).
- Diese Gruppen bieten einen sicheren Ort, um Erfahrungen auszutauschen, Unterstützung zu finden und Strategien für den Umgang mit den Herausforderungen einer solchen Beziehung zu entwickeln. Bei beiden Gruppen sind die Treffen monatlich in der Dortmunder Innenstadt geplant.
- Interessierte erhalten weitere Informationen bei der Selbsthilfe-Kontaktstelle, die auch zum ersten Kennenlernen einladen wird: Telefon: 0231/529097, per Mail an selbsthilfe-dortmund@paritaet-nrw.org
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