„So blöd sind wir nicht, wie die denken“, sagt Reinhild Schmidt mit einem frechen Lachen. Mit „wir“ meint die Rentnerin sich und ihre Nachbarn. Und mit „die“ ist eine mutmaßliche Betrügerbande aus Berlin gemeint. Zwei der Nachbarn von Reinhild Schmidt aus ihrem Mehrparteienhaus in Dortmund-Wellinghofen wurden Opfer einer miesen Betrugsmasche. Ihnen wurden überteuerte Stromverträge untergejubelt.
In der Regel beschäftigt sich Reinhild Schmidt in ihrer Freizeit viel mit ihrem Smartphone, mit Computern, ist kreativ und fotografiert gerne. „Ich mache dann auch Fotobücher“, erzählt sie begeistert. Trotz ihres hohen Alters geht sie mit der Zeit, hat schon seit 20 Jahren eine Digitalkamera und liest ihre Bücher auf dem E-Reader.
Empörung und Engagement
Der Start ins neue Jahr dürfte für die 84-Jährige aber aufregender gewesen sein als so manches Buch. Noch gar nicht richtig hingesetzt, erzählt sie beim Treffen in ihrer – von ihr selbst renovierten – Wohnung aufgebracht von dem Fall rund um ihre Nachbarn. „Die Betrüger haben den Herrn direkt in die Wohnung geschubst.“ Zwei Männer und eine Frau seien am 16. Dezember im Hausflur gewesen, weiß die fitte Rentnerin noch.
Der Nachbar habe zwar versucht, die mutmaßlichen Betrüger zu verscheuchen, doch da seien sie schon in der Wohnung gewesen. „Die haben Schränke nach Stromverträgen durchwühlt und zur Unterschrift eines Vertrags gedrängt.“ Das böse Erwachen folgte dann ein paar Wochen später. Anfang Januar lag im Briefkasten der Betroffenen ein Schreiben des vermeintlichen Stromversorgers aus Berlin. In dem auf den ersten Blick echt wirkenden Brief, der auch der Redaktion vorliegt, heißt es, dass ab dem 27. Januar Strom des neuen Versorgers durch die Leitungen fließen wird. Kosten pro Monat: 99,25 Euro.
Als Reinhild Schmidt das mitbekam, erkundigte sie sich bei einer weiteren Nachbarin. Und siehe da: Auch in dem Briefkasten fand die 84-Jährige einen Brief des vermeintlichen Stromversorgers. Die Rentnerin haut auf den Tisch und erklärt: „Da war ich so empört, da musste ich eingreifen!“

Anzeige erstattet
Also ging sie am 6. Januar mit ihrem Nachbarn zur Polizei in Dortmund, um die mutmaßliche Betrügerbande anzuzeigen. Auf Nachfrage der Redaktion bestätigte die Polizei Dortmund den Fall.
Auch bei dem Dortmunder Stromversorger DEW21 und der Sparkasse waren sie gemeinsam, um den Fall aufzuklären. Zudem verfasste die couragierte Rentnerin im Auftrag des abgezockten Ehepaares einen wütenden Brief an die angebliche Versorgerfirma mit der Aufforderung zur Kündigung. „Natürlich kam da nichts zurück“, sagt Reinhild Schmidt.
Stattdessen gab es einen Brief von DEW21, dass das Vertragsverhältnis beendet worden sei. Allerdings durch die mutmaßlichen Betrüger, wie sich herausstellte. Zudem hat die Rentnerin bei der angeblichen Strom-Firma angerufen. Dort sei eine junge Frau ans Telefon gegangen und schockiert gewesen. „Von solchen Machenschaften will die nichts gewusst haben. Das war gespielt“, ist sich die 84-Jährige sicher.
„Nicht mit mir!“
„Die Abzocke am Telefon ist bekannt, aber die kommen auch in die Wohnungen. Die sind sowas von abgebrüht!“, empört sich Reinhild Schmidt über die Betrüger. Passend dazu erhielt auch sie einige Tage später einen Brief des vermeintlichen Stromversorgers. „Die wollten mich auch ködern. Aber nicht mit mir!“, so die 84-Jährige mit erhobenem Zeigefinger und einem schelmischen Lachen im Gesicht. „Ich habe die mittlerweile durchschaut!“
Sichtlich berührt erzählt die 84-Jährige aus der Zeit rund um den Betrugsfall: „Ich habe kaum geschlafen, das ist mir auf den Magen geschlagen. Es betrifft einen, wenn man sich mit den Leuten gut versteht.“

Seit 1992 Witwe
Für die lebensfrohe Rentnerin war die Unterstützung Ehrensache. „Das war selbstverständlich.“ Dabei möchte sie sich aber eigentlich gar nicht in den Vordergrund stellen. „Das Problem soll öffentlich werden, nicht ich.“
Denn ohnehin sei sie sehr engagiert: „Ich begebe mich an alles dran!“ Unter anderem kümmert sich die Seniorin gerne um die Beete in den Vorgärten der Siedlung in Wellinghofen. „Da mache ich anderen auch eine Freude.“
Seit 2013 wohnt Reinhild Schmidt in dem Haus im Dortmunder Süden und ist dort Teil des Beirats. „Langeweile habe ich nie“, meint sie. Zwar lebt sie alleine dort, das macht ihr aber nichts. „Vorher habe ich mit meinen Kindern in einem Haus ganz in der Nähe gewohnt.“ Ihr Sohn (50) und ihre Tochter (51) seien dann „natürlich irgendwann ausgezogen“. Ihr Mann ist schon lange tot, er starb kurz nachdem sie das Haus gekauft hatten, da war er erst 52 Jahre alt.
Seniorin, die anpackt
Stolz ist Reinhild Schmidt nicht auf ihr Eingreifen in dem Betrugsfall. Trotzdem ist in ihren Augen Zufriedenheit zu erkennen. „Ich würde immer wieder so reagieren“, versichert sie.
Denn: Reinhild Schmidt ist eine Frau, die anpackt. „Ich kann auch mit der Bohrmaschine umgehen!“, sagt die 84-Jährige selbstbewusst. „Als mein Mann und ich uns kennenlernten, hatte ich einen größeren Werkzeugkasten als er.“
Ihre Leidenschaft für das Handwerk wollte Reinhild Schmidt auch im Beruf ausleben. Doch diese Chance bekam sie nie. Stattdessen begann sie bei der Post und dem Fernmeldeamt, wurde dort jedoch nicht alt. Nach einer Zeit an der Musikschule Düsseldorf ergriff sie einen kreativen Beruf, war Organistin in der Kirche und übernahm dort weitere Aufgaben.
Musik und Kirche gehören auch heute noch zu Reinhild Schmidts Leben. In Dortmund organisiert sie Taizé-Andachten mit und ist beim Musikkreis festes Mitglied. Dort spielt sie Blockflöte, womit die heute 84-Jährige bereits im Kindesalter begonnen hat. „Das habe ich mir auch selber beigebracht“, sagt sie stolz. Mit ihrem verstorbenen Mann hat Reinhild Schmidt zudem lange im Chor gesungen.
Gutes Ende
Auch mit 84 Jahren ist Reinhild Schmidt noch vielseitig aktiv, kennt sich mit den verschiedensten Dingen gut aus. Aber sie sagt auch: „Geschäftliches ist gar nicht meins!“ Und trotzdem ergriff die engagierte Rentnerin die Initiative und kämpfte mit ihren Nachbarn gegen die Betrüger und untergejubelten Verträge.
Der Fall scheint jedenfalls auch dank Reinhild Schmidt ein glimpfliches Ende genommen zu haben. Auf Nachfrage der Redaktion konnte die Pressestelle von DEW21 zwar aus Datenschutzgründen keine Angaben zu den Betroffenen machen, man habe den Fall aber im Blick. Grundsätzlich seien Haustürgeschäfte jedoch nichts Ungewöhnliches. Dabei würden sich DEW21-Mitarbeiter allerdings immer ausweisen können und würden sich zudem nie unbefugt Zutritt zu Wohnungen verschaffen.
An die mutmaßlichen Betrüger wird kein Geld fließen. Das haben die Rentnerin und ihre Nachbarn bei der Sparkasse erwirkt. Sowohl die Angehörigen der Nachbarn, als auch ihre eigenen Kinder seien der Seniorin dankbar, erzählt sie mit fröhlicher Stimme. Und sagt lachend: „Man entwickelt ungeahnte Kräfte!“
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien erstmals am 2. Februar 2025.