Kriminalität zahlt sich nicht aus, sagt man kleinen Kindern. Früher oder später fliege jeder auf. Es gibt allerdings auch Geschichten wie die der Soester Straße 39: Geschichten mit vielen Verlierern - und einer Person, die auf deren Kosten erfolgreich eine gute Viertelmillion Euro ergaunert hat.
Die Soester Straße befindet sich in der Nähe des Borsigplatzes in der Dortmunder Nordstadt. Die eine Hälfte des großen Mehrfamilienhauses sieht ordentlich gepflegt aus. Links stehen die Mülltonnen in Reih und Glied, die Fassade ist relativ frisch gestrichen. Allerdings nur ganz genau bis zu der gerade gezogenen Linie, wo die Nachbaradresse, Hausnummer 39, beginnt.
Jenseits dieser Linie sieht man schwarzen Ruß an der Hauswand. Geplatzte Fensterscheiben, in den unteren beiden Etagen sogar ganz fehlende Scheiben und komplett verbrannten Putz. Blanke Ziegelsteine geben dem Haus den Look eines Film-Bösewichts mit verätztem Gesicht, dessen Kieferknochen man sehen kann.
Im Juli hat es hier gebrannt, vor neun Monaten. Doch immer noch liegen verkohlte Möbelstücke vor dem Haus, ins Erdgeschoss kann man ganz einfach durchs Fensterloch reinklettern. Obdachlose würden das auch tun, hört man aus der Nachbarschaft. Niemand kümmert sich um Haus Nummer 39.

Die Akte des verwahrlosten Grundstücks, die im Amtsgericht Dortmund lagert, ist 200 Seiten dick. Die ersten Dokumente darin stammen aus dem Jahr 2008, interessant wird die Geschichte drei Jahre später. Im Mai 2011 ist das Haus verkauft worden, von einem Gelsenkirchener Ehepaar an einen Mann aus der Dortmunder Nordstadt.
Nur drei Monate später hat dieser Mann das Haus schon wieder weiterverkauft, von einer Rechtsanwältin beglaubigt. Als Käufer ist ein Doktor aus Gelsenkirchen genannt. Der Name ist unserer Redaktion bekannt, für diesen Artikel ändern wir ihn in Dr. Franz Aust. Nicht, weil er selbst das möchte - sondern jemand anderes.

„Der Erschienene wies sich aus durch Vorlage seines niederländischen Reisepasses“, ist in der Akte zu lesen. 275.000 Euro seien fällig, noch im selben Jahr wurde der Eigentumswechsel ins Grundbuch eingetragen.
260.000 Euro hatte der Käufer als Kredit von der Münchener Hypothekenbank bewilligt bekommen. Nur wenige Monate später, Ende Januar 2012, dann die Mitteilung: „Der Kostenschuldner ist nicht (mehr) zu ermitteln.“
Etwa zu dieser Zeit muss es gewesen sein, dass ein Dr. Franz Aust aus Essen zum ersten Mal wegen dieses Vorgangs kontaktiert wurde. „Das ist eins der merkwürdigsten Dinge, die ich in meinem Leben erlebt habe“, erzählt der Rentner im Frühjahr 2023. Er ist es, der wünscht, den Namen für den Artikel zu ändern.
Der Essener wurde angeschrieben, nachdem an der ursprünglich angegebenen Gelsenkirchener Adresse kein Dr. Franz Aust anzutreffen war. Der Arzt fragte nach und fand heraus: Da hat jemand gleich zwei Ausweise mit seinem Namen und sogar Gehaltsabrechnungen seines damaligen Arbeitgebers gefälscht.
Arzt bekam Zahlungsaufforderungen
Der niederländische Reisepass, der im Notariat für den Hauskauf vorgelegt wurde, war nicht echt. Niemand weiß, wer das tatsächlich war, wer im August 2011 den Namen Aust unter den Vertrag geschrieben hat. „Völlig abartig“, sagt der echte Essener Doktor: „Ich habe Zahlungsaufforderungen bekommen und sollte Müllabfuhrgebühren und ähnliches zahlen.“
Das führte so weit, dass der Mediziner Angst um seine Sicherheit bekam. „Mir wurde geschrieben, dass den Mietern des Hauses die Heizung abgestellt wird.“ Also fürchtete der unbescholtene Mann, der ja gar nicht wirklich der Hausbesitzer war, dass eines Abends Fremde vor seiner Tür stehen könnten, die denken, er sei schuld, dass sie zu Hause frieren müssen.
Dr. Austs Glück war, dass er fundiert aufklären konnte, dass er das Haus wirklich nicht gekauft hatte. Das Geburtsdatum des gefälschten Ausweises wich um 17 Jahre von seinem tatsächlichen ab. Und auf den beiden Pässen, die den betrogenen Unternehmen und Behörden vorlagen, seien ganz offensichtlich verschiedene Männer abgebildet gewesen, sagt der Essener.
Die Dortmunder Stadtkasse fragte beim Notariat nach, in dem der Kaufvertrag beglaubigt worden war: „Liegen Ihnen nähere Informationen zu dem Erwerber vor?“ Die Antwort fiel äußerst knapp aus. Gefolgt von nur drei weiteren Sätzen hieß es: „Die Notare unterliegen der Schweigepflicht.“

Bei der ganzen Masche ging es wohl nie um den tatsächlichen Erwerb des Hauses, sondern um die 260.000 Euro von der Bank. „Erschleichung eines Darlehens“, formuliert es die Dortmunder Stadtkasse. Die Polizei wird eingeschaltet.
Mehrere Jahre gehen ins Land, bis die Staatsanwaltschaft aus München, wo die betrogene Bank sitzt, 2018 mitteilt: „Das Verfahren wurde eingestellt, da ein Täter nicht ermittelt werden konnte.“
„Ich finde es unmöglich, dass da nicht mehr gemacht wurde“, sagt der echte Dr. Franz Aust im Frühjahr 2023. „Da hat doch jemand Geld bekommen, und dieses Geld muss man verfolgen.“
Zurück bleiben jedoch ein zunehmend verfallendes Mehrfamilienhaus in Dortmund, viele Verlierer - und nur ein Gewinner, der eine Viertelmillion reicher ist und damit offenbar davonkommt.
Unklare Zukunft fürs Wohnhaus
Doch warum passiert bis heute nichts mit dem Gebäude, dessen Besitzer niemand sein will? Die Stadt Dortmund hat der Akte zufolge bereits vor Jahren geäußert, das Grundstück übernehmen zu wollen.
Auch der Nordstädter, der das Haus 2011 an den angeblichen Dr. Aust verkauft hat, sei bereit, es wieder in seinen Besitz zurückzunehmen, hieß es bereits 2018.
Das letzte Blatt in der 200-Seiten-Akte stammt aus dem April 2021. Das Verfahren, was mit dem Haus geschehen soll, werde einer Richterin „zur Entscheidung übertragen“, hieß es damals vom Landgericht Dortmund.
Auf Nachfragen unserer Redaktion zum aktuellen Stand antworteten weder Stadtverwaltung noch Landgericht bis zum Redaktionsschluss dieses Artikels (2.5., 18.30 Uhr).
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 3. Mai 2023.