Heinz-Ludwig Bücking (74) steht jeden Samstag im „eigenen“ Bergwerk „Man muss dafür brennen“

Heinz-Ludwig Bücking (74) steht jeden Samstag im „eigenen“ Bergwerk
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Wenn Heinz-Ludwig Bücking im zarten Alter von 14 jemand gesagt hätte, dass er mit 74 regelmäßig durch Bergbaustollen kriechen würde, er hätte ihn wohl für verrückt erklärt. Und dass er dann auch noch Teil eines Films von Adolf Winkelmann wird und mit Schauspieler Charly Hübner im Stollen liegt? Absurd. Und doch ist es genauso gekommen. Bücking hat heute sein „eigenes“ Bergwerk in Dortmund-Syburg.

Dabei wollte Bücking eigentlich sogar Bergmann werden. Heinz-Ludwig war da 14 Jahre alt. Aber die Familie stellt sich quer. Man versteht, warum: Heinz-Ludwigs Opa war Bergmann auf der Zeche Glückauf (die stand dort, wo heute der Skaterpark in Hombruch ist), der Opa starb an den Langzeitfolgen eines Unfalls auf dem Zechengelände – die Seilbahn klemmte ihn ein. Beide Onkel sind auch Bergleute – und sterben beide an einer Staublunge. Also kommt nicht infrage, dass die Familie den Jungen unter Tage lässt. Schon der Papa wurde Maurer und nicht Bergmann.

Heinz-Ludwig geht 1965 mit der Mama zum Vorstellungsgespräch, um Modelltischler zu werden. Hier muss er beweisen, dass er rechnen kann und geschickt mit den Händen ist – anschließend geht's gleich ins Gewerkschaftsbüro: „So war das eben damals“, sagt der 74-Jährige heute. Er wird genommen. Später holt er sein Abitur nach, studiert in Duisburg Gießereitechnik und arbeitet neun Jahre als Betriebsingenieur in der Hoesch-Gießerei. Als klar wird, dass es die Stahl-Gießerei und Hoesch nicht mehr lange geben wird, wechselt Bücking gezwungenermaßen den Arbeitgeber.

Schwere Arbeit Unter Tage.
Zu tun gab es in all’ den Jahren eigentlich immer etwas. Und es war häufig Knochenarbeit. © Archiv Bücking

Zeit der Abschiede

Jahre später wird es dann doch noch etwas mit dem Bergbau: Man schreibt das Jahr 1982, Bücking ist damals Anfang 30, als sich der „Förderverein Bergbauhistorischer Stätten Ruhrreviere“ gründet. Es ist die Zeit, als überall im Ruhrgebiet der Bergbau den Rückzug antritt, aus dem Stadtbild verschwindet – und Menschen das Gefühl haben, sich kümmern zu müssen, damit dieses Kapitel des Ruhrgebiets nicht auch noch aus den Köpfen schwindet.

In Dortmund gibt es 1986 noch die Zeche Minister Stein in Eving. Ein Jahr später ist auch diese Zeche Vergangenheit – es ist aus und vorbei mit dem Bergbau in Dortmund. Am Start ist da schon der Arbeitskreis Dortmund im Förderverein Bergbauhistorischer Stätten. Mit dabei ist Heinz-Ludwig Bücking. Und damit beginnt für ihn seine Zeit im Bergbau – genaugenommen im Bergwerk Graf Wittekind in Syburg.

Dass es das heute gibt und ein Besucherbergwerk ist, das sich großen Interesses erfreut, das ist das Werk Bückings und seiner Mitstreiter, die regelmäßig – jeden Samstag – dort sind, und sich kümmern: um den Erhalt und um die Menschen, die einmal das Gefühl bekommen wollen, wie es war, früher, als die Bergleute noch einfuhren in Dortmund. Und dieses Gefühl wollen viele erleben: So viele, dass Besucher oft lange warten müssen, bis sie einfahren können. Die Wartezeit kann heute schon mal drei Monate betragen.

Früher Kinderspielplatz

Seit fast 40 Jahren also nun kümmert sich der Förderverein um die Stollen, Schächte und das Flöz mit dem Namen Sengsbank auf Syburg. „Bergbau gibt es hier schon seit 1581“, berichtet Bücking. Abgebaut wurde damals für die Kalköfen und Schmieden südlich der Ruhr. Als es damit vorbei war, blieben die Stollen offen, „ein 1 a-Kinderspielplatz“, sagt der 74-Jährige: Ein Foto aus seinen Unterlagen zeigt Kinder in den 1950er-Jahren, die hier herumkriechen – mangels Helm mit einem Topf auf dem Kopf, Bergbau spielend.

Irgendwann kommt die Idee für ein Besucherwerkwerk auf, die Idee sei damals aber bei der Stadt auf wenig Interesse gestoßen, die Stolleneingänge wurden zugeschüttet. Aber schließlich setzt sich die Idee durch, doch nun muss all‘ das Erdreich wieder raus, das zuvor hineingeschüttet worden war – ein hartes Stück Arbeit, bevor man an die eigentliche gehen kann: die Restaurierung der Stollen, um sie für Besucher zugänglich zu machen. Um so zeigen zu können, wie die Bergleute vor 400 Jahren gearbeitet haben, wie schwer es war, Kohle in Handarbeit aus dem Flöz zu lösen. „Damals gab es einen Zuschuss von der Sparkasse und vom Casino Hohensyburg“, erinnert sich Bücking. Man brauchte einen öffentlich bestellen Vermesser, um die Ausgangspunkte, den „Grubenriss“ (eine Art Untertage-Stadtplan) zu erstellen. Der ist teuer. Es ist das einzige Mal, dass der Arbeitskreis finanzieller Unterstützung dieser Art annimmt; man will unabhängig sein und bleiben.

Ein Foto aus dem 1950er Jahren im Bergbaustollen auf Syburg
Ein Foto aus den 1950er Jahren: Kinder spielten in den Gängen. Als Schutzhelm dienten ihnen Töpfe. © Archiv Bücking

Besucherbergwerk seit 1997

Seit 1997 ist das Projekt nun offiziell ein Besucherbergwerk. Seit 2003 gibt es die Führungen. Der Schauspieler Charly Hübner hat an keiner Führung teilgenommen, sondern einen Film auf Syburg gedreht: Hübner musste für den Film „Junges Licht“ mit Regisseur Adolf Winkelmann an den Abbauhammer – und Heinz-Ludwig Bücking, zeigte ihm, wie das geht. „Hat er gut gemacht“, sagt er. Als die Kameras aufnahmen, hielt Bücking Charly Hübner an den Füßen fest, damit er nicht rutschte im Streb. „Schweiß und Anstrengung waren da nicht gespielt, sondern echt“, erinnert sich Bücking.

„Junges Licht“ ist die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Ralf Rothmann und zeigt das Ruhrgebiet in der Nachkriegszeit aus Sicht des 12-jährigen Arbeitersohns Julian Collien. Hübner spielt in dem Film, der 2016 in die Kinos kam, dessen Vater Walter. Gedreht wurde damals übrigens nicht nur in Syburg, sondern in Dortmund auch noch auf Zeche Zollern II, in der Kirche St. Barbara in Eving und an der Weingartenstraße in Hörde.

Ein Plakat wirbt für die Vorstellung des Films "Junges Licht"; für den Film wurde mit Charly Hübner auch auf Syburg gedreht.
Ein Plakat wirbt für die Vorstellung des Films „Junges Licht"; für den Film wurde mit Charly Hübner auch auf Syburg gedreht. © Archiv Bücking

Jede Menge Material

Inzwischen haben sie vom Förderverein viel gefilmt und dokumentiert. Zuhause bei Heinz-Ludwig Bücking passt es gut, dass die Kinder längst aus dem Haus sind: So ist das alte Kinderzimmer längst zum Hort Bergbau-Historischer Unterlagen geworden. Die Bücherregale mit der Literatur ziehen sich über die Wände; die Fächer sind nummeriert. „Der unsortierte Rest liegt hier“, lacht Bücking und deutet auf einen Stapel im Nebenzimmer.

Wenn er nicht hier fürs Bergwerk arbeitet, dann ist Bücking vor Ort: Jeden Samstag gegen 8 Uhr ist er da, bevor die anderen gegen 8.30 Uhr eintrudeln, damit er alles in Ruhe vorbereiten kann. Grundsätzlich ist die Schicht am Samstag für die Mitglieder des Vereins keine Pflicht, aber wer sich zuvor bei Bücking angemeldet hat, muss kommen. Manche sind immer dabei, manche kommen zweimal im Jahr. Sie alle eint ein Gefühl: „Man muss dafür brennen“, sagt Bücking. Nach der Schicht geht’s ans „Buttern“: Immer mit Syburger Steinofenbrot und Rosinenstuten aus der Bäckerei Müller Backes; jeder kriegt zwei Scheiben. Dazu gibt's Tee, „im Winter verfeinert mit einem Pinneken Schnaps“.

"Buttern" unter Tage auf Syburg.
Nach der Schicht geht's ans Buttern: Es gibt Bütterken für alle; dazu Tee. © Archiv Bücking

Telefonische Anmeldung

Wer mit Bücking und seinen Kumpel unter Tage will, braucht übrigens keine bergmännische Erfahrung, nur vielleicht ein wenig Mut, „Es sind die Bedingungen von 1740“, sagt Bücking, das macht er auch jedem Besucher vorher klar, und man muss das auch unterschreiben. „Ich will nicht, dass da irgendwann einer schreiend rausläuft“, sagt Bücking. Die Führungen beginnen immer um 9.15 Uhr. Weitere Infos gibt‘s im Netz, Anmeldungen sind möglich unter dem privaten Anschluss 0231/71 36 96.

Zuhause bei Heinz-Ludwig-Bücking sind die Wände voll Regalen und Materialien über den Bergbau.
Zuhause bei Heinz-Ludwig-Bücking sind die Wände voll Regalen und Materialien über den Bergbau. © Britta Linnhoff

Willkommen sind Besucher ab acht Jahren. Wer fit ist, kann auch mit 80 noch kommen, wie neulich ein Damentrio eindrucksvoll bewies. Grubenkleidung wird gestellt, die hält Bücking bereit. Zu Hause hat er inzwischen eine eigene Waschmaschine für die Klamotten: Vier Besucher, gleich zwei Waschmaschinen“, rechnet er vor. Geht an den Klamotten was kaputt, hilft Dachdecker-Klebeband, 30 Euro die Rolle, aber funktioniert. So ein Arschleder braucht übrigens auch schon mal eine Woche zum Trocknen – im Hause Bücking Alltag – der Alltag eines Bergmanns, der Heinz-Ludwig Bücking schon mit 14 sein wollte.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien erstmals am 10. März 2025.