Nach der Stichwahl in der Türkei hatten mehrere Hundert Menschen türkischer Herkunft am Borsigplatz und auf dem Wall den Sieg des seit über 20 Jahren regierenden AKP-Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gefeiert.
In der Dortmunder Nordstadt, wo viele türkischstämmige Personen leben, war knapp zwei Tage danach dagegen gegenüber dem Reporter eher Zurückhaltung beim Thema Wahl spürbar.
Viele wollten gar nicht über Politik sprechen oder geben an, nicht gewählt zu haben. Andere sagten zwar, dass sie Erdogan gewählt haben, hatten aber keine Lust oder Zeit für eine nähere Begründung.
Lange Wahlnacht auf der Straße
In der Wahlnacht waren viele mit ihrer politischen Entscheidung offener umgegangen. Rund sechs Stunden lang war die Polizei mit den Autos und Menschengruppen auf den Straßen beschäftigt. Es gab einen Angriff auf einen Polizeibeamten, der eine Strafanzeige nach sich zog.
„Diejenigen, die da waren, hatten die feste Absicht, über einen längeren Zeitraum zu feiern“, sagt der Dortmunder Polizeisprecher Peter Bandermann. Bereits nach dem ersten Wahlgang am 14. Mai hatten viele Menschen den Wall blockiert.
Hohe Zustimmung
Erneut erhielt Erdogan in den deutschen Wahllokalen eine Zustimmung von mehr als 67 Prozent. Exakte Zahlen aus dem Generalkonsulat Essen, wo auch die Dortmunder Stimmen abgegeben wurden, lagen am Dienstag (30.5.) noch nicht vor.
Dabei bedeutet eine Wahlbeteiligung von rund 50 Prozent der in Deutschland Berechtigten aber auch: Auf die gesamte türkeistämmige Bevölkerung, also auch deutsche Staatsbürger, betrachtet hat nur jeder Dritte für Erdogan gestimmt.
Die Autokorsos in vielen Städten gehen laut der Politikwissenschaftlerin Dr. Inci Öykü Yener-Roderburg auch auf das sehr stark am Instrument Wahlen ausgerichtete politische System der Türkei zurück.
„Hinzu kommt, dass die AKP-Anhänger einfach viel besser organisiert sind und mehr Mobilisierungspotenzial haben als die Oppositionsgruppen“, sagt Yener-Roderburg.
Als „übertrieben“ bezeichnet der Dortmunder SPD-Landtagsabgeordnete Volkan Baran die Siegesdemonstrationen der AKP-Unterstützer.
„Wall-Szene“ bei den Feiern
In sozialen Netzwerken kursieren wie schon vor rund zwei Wochen viele Videos aus der Wahlnacht in Dortmund. Auffällig: Diese werden dabei auch über Kanäle von Seiten geteilt, die sich sonst mit der Auto-Szene auf dem Dortmunder Wall beschäftigen.
Laut Polizeisprecher Peter Bandermann sei „szenetypisches Klientel, stark motorisiert, mit edlen Fahrzeugen“ angetroffen worden.
In Kommentaren zu den Videos werden kontroverse Meinungen zur politischen Situation in der Türkei deutlich.
In noch größerer Zahl als im ersten Wahlgang zeigten Personen den sogenannten Wolfsgruß, eine Geste der rechtsextremen „Graue Wölfe“-Bewegung. Das Zeigen des Zeichens, das dem „Leise-Fuchs“ aus Schulen ähnelt, ist nicht strafbar.
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