Betritt man die Bäckerei Kaan Pide auf der Varziner Straße 62 in Huckarde, taucht man in eine andere Welt ein. An der Wande hängt eine Saz, ein traditionelles türkisches Zupfinstrument, türkische Musik erklingt aus den Lautsprechern. Neben Bildern von der Hagia Sophia und Kappadokien erscheint ein traditioneller Wandteppich, der farblich zu einer kleinen Sitzecke darunter passt. Hinter der Backtheke, die mit türkischen Süßspeisen und frischen Broten aufwartet, ist Inhaber und Bäcker Kasim Özdemir in seinem ganz eigenen Reich: der Backstube.

Von Nevsehir nach München
Als eines von vier Kindern hatte der junge Kasim es nicht immer leicht. Sein Vater ist früh gestorben, die Kinder mussten für sich alleine sorgen. Gemeinsam mit seinem älteren Bruder Ahmet begann Kasim Özdemir mit nur zwölf Jahren Brote zu backen und zu verkaufen. In seinem Heimatdorf Nevsehir war die Ware der beiden Jung-Bäcker heiß begehrt. Später lernte er seine Ehefrau Raife kennen und sie bekamen zwei Kinder: Dogancan und Dilan.
Kasim Özdemir beschloss im Jahr 2004 nach Deutschland auszuwandern. Seine Ehefrau Raife, Dogancan und Dilan, damals sieben und fünf Jahre alt, kamen erst 2007 nach. Die junge Familie ließ sich in München nieder, da nicht weit entfernt in Nürnberg ein Onkel lebte, dem er sehr nahestand. Özdemir fand vor Ort schnell eine Anstellung in einer türkischen Bäckerei. Dort backte er wie schon in seinem Heimatdorf Fladenbrot und Somun, ein türkisches Weißbrot. In der Backstube konnte er sich seiner Leidenschaft hingeben.

Enge Beziehung zum Ruhrgebiet
Bereits damals bestand eine enge Verbindung zum Ruhrgebiet. Viele Verwandte der Familie Özdemir wohnen in Dortmund und Umgebung. „Obwohl wir in München lebten, waren wir fast jedes Wochenende in NRW“, sagt Tochter Dilan (22), „Als Papa entschied, sich selbstständig zu machen, half uns die Familie, ein geeignetes Lokal in ihrer Nähe zu finden.“
Im Jahr 2012 wird die Familie schließlich in der Varziner Straße 62 in Huckarde fündig. „Am Anfang hatten wir nur den kleinen Bereich mit der Backtheke. Unser heutiger Sitzbereich gehörte damals zu einem türkischen Café und war durch eine Wand von unserer Bäckerei getrennt“, so Dilan. „Als das Café 2014 geschlossen wurde, mieteten wir das Lokal zusätzlich an und entfernten in Absprache mit dem Vermieter die Trennwand, sodass ein großer Laden entstand.“ Benannt wurde die Bäckerei nach Sohn Kaan, der noch in München geboren wurde und damals ein Jahr alt war. Im Jahr 2018 kam außerdem Sohn Miraç dazu.
Kasims Bruder Ahmet Özdemir, mit dem zusammen in der Heimat alles begann, hat 2016 in Nevsehir ein sehr ähnliches Ladenlokal eröffnet. Wenn Kasim Özdemir ihn mindestens einmal im Jahr besucht, stehen die beiden Männer wie in alten Zeiten zusammen in der Backstube.
Täglich frische Backwaren
Von türkischem Weißbrot, über Fladenbrot und Pizza bis hin zu Teigtaschen, Sesamringen und Mante – in seiner Backstube backt Kasim Özdemir täglich frisch. Alleine vereinzelte Süßspeisen, wie Baklava, werden angeliefert und dann vor Ort gebacken. Zusätzlich gibt es ein reichhaltiges Frühstücksangebot mit türkischen Spezialitäten. Auf seinem Instagram-Account „kaanpidesalonu“ erhält man Einblicke in das türkische Backhandwerk und die neusten Produkte.

Gute Lage und Leidenschaft
Dass immer mehr Bäckereien in Huckarde schließen, wie zuletzt die Bäckerei Auffenberg auf der Rahmer Straße, hat auch Kasim Özdemir mitbekommen. Seine Tochter Dilan sagt dazu: „Manchmal bemerken wir selbst einen Rückgang in der Nachfrage. Die Discounter bieten immer mehr und günstigere Backwaren an. Unser Vorteil ist, dass wir die einzige türkische Bäckerei in Huckarde sind und zwischen der Gustav-Heinemann-Gesamtschule und der Gildenschule liegen. Unter der Woche kommen viele Schüler vorbei, da wir neben türkischen Backwaren und Frühstück auch selbstgemachte Pizza anbieten.“
Kasim Özdemir liebt seinen Beruf und möchte noch so lange wie möglich selbst in der Backstube stehen. Über die Zeit danach habe man sich noch keine großen Gedanken gemacht. Allerdings merkt Tochter Dilan an, dass ihre kleinen Brüder, Kaan und Miraç, immer größeres Interesse am Backhandwerk zeigen. Sie selbst hilft hin und wieder im Service aus, hauptberuflich ist sie jedoch zahnmedizinische Fachangestellte. Ihr ältester Bruder Dogancan studiert. An Rente will Kasim Özdemir aber noch lange nicht denken: Bis dahin wird er also noch viele Brote backen – ob in Huckarde oder in Nevsehir.
