Als Patient kann man sich Anfahrtswege und überfüllte Wartezimmer ersparen, wenn man per Mausklick den Arzt aufsucht. Die Dortmunder sind jedoch zurückhaltend - und ihre Ärzte auch.

Dortmund

, 02.09.2019, 04:30 Uhr / Lesedauer: 3 min

Dr. Torsten Pollmann, Facharzt für Innere Medizin mit Privatpraxis im Kreuzviertel, setzt künftig als eine der ersten Praxen in Dortmund auch auf die Videosprechstunde. Ab Oktober soll es am Vinckeplatz mit der Telemedizin losgehen. Zurzeit wird die Technik dafür installiert.

Die Videosprechstunde sei noch nicht flächendeckende Normalität, aber eine sehr gute Möglichkeit, mit dem „Arzt in Kontakt zu bleiben, Fragen zu klären oder Behandlungsfortschritte abzusichern“, sagt der Internist. Selbst wenn manche Untersuchung in der Praxis auch in Zukunft durch nichts zu ersetzen sei, ließen sich viele Dinge virtuell abklären - ohne dass sich Patienten erst auf den Weg machen müssten.

Der Chat mit dem Arzt

In einer Online-Videosprechstunde läuft das Gespräch zwischen Arzt und Patient ähnlich ab wie in der Praxis. Der Austausch erfolgt am Bildschirm. Patienten benötigen für die Videosprechstunde keine besondere Technik: Computer, Tablet oder Smartphone mit Bildschirm oder Display, Kamera, Mikrofon und Lautsprecher sowie eine Internetverbindung reichen für den Chat mit dem Arzt aus.

Die technische Verbindung läuft über einen Videodienstanbieter, den der Arzt beauftragt und der besondere Sicherheitsanforderungen erfüllen muss. Damit soll sichergestellt werden, dass das, was man mit dem Arzt bespricht, auch im virtuellen Sprechzimmer bleibt.

Der Start verläuft schleppend

Online-Videosprechstunden sind seit April 2017 für ausgewählte Arzt-Patienten-Kontakte möglich und mit den Krankenkassen abrechnungsfähig. Im April 2019 ist die ursprüngliche Beschränkung auf nur wenige Krankheitsbilder weggefallen. Doch der Start verläuft in Dortmund schleppend.

Laut Vanessa Pudlo, Pressesprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, wurde im ersten Quartal 2019 nicht eine einzige Videosprechstunde von Dortmunder Ärzten abgerechnet. Dortmund als Teil der Metropolregion Ruhr sei sehr gut mit Arztpraxen versorgt, sagt Pudlo. Deshalb seien Videosprechstunden hier weniger ein Thema als etwa auf dem Land, wo man sich damit lange Anfahrten ersparen könne.

„Das Problem ist die Vergütung“

Bärbel Brünger, stellvertretende Pressesprecherin des Verbands der Ersatzkassen (VdeK), hat zwar für Dortmund keine konkreten Zahlen, weil Ärzte das nicht an den Verband melden müssen. Doch sie weiß: „Die Klientel tut sich noch ein bisschen schwer mit dem Thema.“

Dr. Torsten Pollmann nennt einen anderen Grund für die Zurückhaltung der Ärzte: „Das Problem ist die Vergütung.“ Für Kassenärzte rechne sich die Videosprechstunde nicht. Sie müssen sich technisch und in der Praxisorganisation auf die neuen Möglichkeiten einstellen. Zwar bekommen Kassenärzte ab 1. Oktober eine Anschubfinanzierung von bis zu 500 Euro pro Praxis und Quartal für zwei Jahre, doch im Moment koste der Videodienstanbieter schon fast 100 Euro im Monat. Pollmann: „Das ist nur interessant im privatrechtlichen Bereich.“

Dort könne man 32 Euro pro Videosprechstunde abrechnen. Kassenärzte bekommen 13,48 Euro.

Die Direktkrankenkasse BIG mit Sitz in Dortmund und bundesweit 414.000 Versicherten verzeichnet ebenfalls nur ein „sehr verhaltenes Interesse“ bei Ärzten und Patienten, teilt Kommunikationschefin Bettina Kiwitt mit. Bundesweit handele es sich um eine niedrige zweistellige Zahl. Kiwitt: „Ich kann mir aber vorstellen, dass so was mal kommt.“

Forsa-Umfrage zur Videosprechstunde

Die AOK Nordwest als größte gesetzliche Krankenkasse in Westfalen-Lippe hat am 22. August eine aktuelle Forsa-Umfrage veröffentlicht zu der Frage, wie offen die Mitglieder für eine Beratung/Behandlung durch einen Arzt per Videotelefonie/Videosprechstunde oder ähnliche Angebote sind. „Von den Befragten im Alter ab 29 Jahren konnte sich insgesamt die Hälfte vorstellen, sich mit Fragen zu ihrer Gesundheit per Videosprechstunde an einen Arzt zu wenden“, berichtet Pressesprecher Jens Kuschel. Von dieser Hälfte könnten sich 78 Prozent mit einem solchen Angebot zur Befundbesprechung anfreunden, 71 Prozent für Folgetermine, 38 Prozent in anderen Fällen, 32 Prozent im Notfall und 28 Prozent bei Erstkontakten.

Für die AOK Nordwest sei unverzichtbar, „dass die Digitalisierung die wichtige Arzt-Patientenbeziehung und menschliche Zuwendung nicht komplett ersetzen kann“, betont Kuschel, „aber in einer angemessenen Ergänzung zur persönlichen Betreuung ist sie durchaus sinnvoll.“

Auch für Kliniken eine Option

Nicht nur für Arztpraxen ist die Videosprechstunde eine Option. Die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Knappschaftskrankenhaus Lütgendortmund setzt sie seit ein paar Wochen für Knappschaftsversicherte ein. Das Angebot richte sich vorrangig an Menschen mit Depressionen, Ängsten, oder Anpassungsstörungen bei belastenden Lebenssituationen, erläutert Kliniksprecher Klaus-Peter Wolter: „Man erspart den Patienten den Weg in die Klinik. Allerdings muss der Erstkontakt leiblich stattgefunden haben.“

Als kommunikationsbasierte Therapie sei der Auftakt von Videosprechstunden in der Psychiatrie naheliegend, so Wolter: „Derzeit betrachten wir das Angebot als Pilotprojekt. Sollte sich der Ansatz bewähren, könnte der nächste Schritt die Aufnahme in das reguläre Behandlungsangebot sein.“

Das sonst innovationsfreundliche Klinikum Dortmund dagegen bietet bislang keine Videosprechstunden an, sagt Sprecher Marc Raschke.

So kann die Videosprechstunde ablaufen:

Patienten erhalten von der Arztpraxis einen Termin für die Videosprechstunde, die Internetadresse des Videodienstanbieters und den Einwahlcode für die Sprechstunde. Der Einwahlcode ist je nach Anbieter längstens einen Monat gültig. Am Tag der Videosprechstunde wählt man sich etwa zehn Minuten vor dem Termin auf der Internetseite mit dem Einwahlcode ein. Der Videodienstanbieter fragt den Patienten beim Einwählen nach seinem Namen, damit der Arzt ihn richtig zuordnen kann. Nach einem kurzen automatischen Techniktest wird der Patient ins Online-Wartezimmer geführt. Der Arzt ruft ihn auf, wenn die Sprechstunde beginnen kann. Ist die Sprechstunde beendet, meldet man sich von der Internetseite wieder ab.