Acht Monate nach seiner Festnahme muss sich ein Arzt (66) aus Recklinghausen seit Donnerstag (12.1.) vor dem Bochumer Landgericht verantworten. Die Vorwürfe sind massiv: Es geht um knapp 600 Corona-Scheinimpfungen, um Etikettenschwindel, eine ominöse „Spendenbox“ und zahlreiche zerstörte Impfdosen. Bei Tatnachweis drohen dem zuletzt in Dortmund-Oespel lebenden Mediziner Haft und Berufsverbot.
Als der Arzt um 14.40 Uhr von zwei Wachtmeistern in den Gerichtssaal geführt wurde, hatte er sein Gesicht hinter einem ausgeklappten Aktenordner versteckt. Vor ihm auf der Anklagebank saß seine mitangeklagte Sprechstundenhilfe (56). Für den Prozess vor der 12. Strafkammer wurden zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen angeordnet. Zum Auftakt war das Zuschauerinteresse enorm – mehr als 50 Zuhörer waren vor Ort.
Kistenweise Beweise gesichert
Nach Erkenntnissen, dass der Arzt offenbar in Kreisen von Impfgegnern Anlaufstelle für falsche Impfpässe war, hatten Fahnder vor knapp einem Jahr bei einer Razzia in der Praxis im Paulusviertel kistenweise Beweise gesichert. Wie bekannt wurde, soll der erste Hinweis auf die Ausgabe von „Fake-Impfpässen“ in einem Friseursalon aufgekommen und danach letztlich über eine andere Ärztin an die Ermittlungsbehörden gelangt sein. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mediziner vor, in mindestens 589 Fällen Patienten zu Unrecht Corona-Schutzimpfungen bescheinigt zu haben.
Über ein Meldeportal waren dem Robert-Koch-Institut (RKI) von dem verdächtigen Arzt laut Anklage zwischen Juni 2021 und Januar 2022 insgesamt 3.976 Corona-Schutzimpfungen gemeldet worden.
Der 66-Jährige soll bei erwachsenen Patienten Original-Chargenaufkleber in die Impfpässe geklebt und gestempelt haben. Die dazugehörigen Vakzine „vernichtete er“, heißt es in der Anklage. Kindern soll der auf Naturheilkunde spezialisierte Arzt in Absprache mit deren Eltern Kochsalzlösung gespritzt haben. Anlass für diese doppelte Täuschung soll offenbar gewesen sein, dass die Gefahr minimiert werden sollte, dass die Kinder sich sonst verplappern könnten.
„Spendenbox“ für Scheinimpfungen
Bei mehreren Patienten soll der Arzt die Scheinimpfungen auch ausdrücklich an den Einwurf von 50, 100 oder 200 Euro Bargeld in eine „Spendenbox“ geknüpft haben. Laut Anklage soll der Mediziner auf diese Weise mindestens 12.647 Euro eingestrichen haben.
Noch vor Verlesung der Anklage gab es Wirbel. Verteidigerin Ina Klimpke monierte, sie habe mitangehört, wie eine Schöffin über die Zuhörer gesagt habe: „Die sehen aus wie aus der Querdenker-Szene.“ Die Laienrichterin soll nun dazu Stellung beziehen, die Verteidiger prüfen einen Befangenheitsantrag.
Der Arzt hat sich beim Auftakt noch nicht zu den Vorwürfen geäußert. Im Falle einer Verurteilung drohen bis zu fünf Jahre Haft, außerdem ein Berufsverbot.
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