Der Schritt in die Selbstständigkeit ist generell ein großer, aber dass es gleich so fordernd wird, das hatte Amer Mohammad dann doch nicht erwartet: Zu März hat der 50-Jährige zwei Apotheken im Dortmunder Westen übernommen. Zum Start verbrachte er fast 36 Stunden am Stück an seinem neuen Arbeitsort. Ohne Schlaf.
Die Bürokratie und ein unglücklicher Zufall bescherten ihm diese XXL-Schicht: Zwar hatte Mohammad die Übernahme der Beguinen-Apotheke in Lütgendortmund und deren Zweigstelle, die Zollern-Apotheke in Bövinghausen, schon seit gut drei Monaten vorbereitet, sagt er. Aber: Manche Formalitäten dürften erst erledigt werden, wenn der Tag der Übernahme da ist. Hinzu kam: Die Beguinen-Apotheke hatte planmäßig Notdienst. Eine Doppel-Belastung.

„Es war Stress ohne Ende, ein Chaos“, sagt der Pharmazeut, als wir uns mit ihm ein paar Tage später treffen. Am Freitagmorgen (1.3.) habe technisch lange nicht alles funktioniert. Er gibt zu: Zwischendurch habe er in dem Tohuwabohu mal kurz gedacht: „Was habe ich da eigentlich gemacht?“
Echte Zweifel am Schritt in die Selbstständigkeit hat Mohammad aber keine. Denn er hat das gemacht, was seit dem Studium sein Ziel ist, wie er beteuert: Er führt seine eigene Apotheke. Und auch die XXL-Schicht kann den 50-Jährigen nicht wirklich schocken – er weiß, wie es ist, an die Belastungsgrenze zu gehen.
Geboren in Syrien
Geboren wurde der Kurde in Syrien, vor knapp 20 Jahren sind er, seine Frau und die älteste Tochter nach Deutschland gezogen. Die Schwiegereltern lebten bereits hier. Ein mutiger Schritt. „Ich habe alles in der Heimat gelassen: meine Karriere, mein Geld.“ Eigentlich war Mohammad bereits studierter Agraringenieur. In Deutschland lernte er erst mal die „schwere Sprache“, machte eine Ausbildung zum Speditionskaufmann, ehe er mit 37 Jahren begann, Pharmazie zu studieren. Erneut war er mutig: „Ich war doppelt so alt wie die anderen.“
Doch nicht nur damit musste Mohammad umgehen. Er hatte mitunter ellenlange Tage: die Uni in Düsseldorf, das zu Hause in Dortmund. Wenn die Vorlesungen oder das Labor um 8 Uhr begannen, musste er sich gegen 6 Uhr auf den Weg in die Landeshauptstadt machen. Schluss war an vielen Tagen erst so spät, dass er nicht vor 22 Uhr zu Hause war. Nebenbei arbeiten musste Mohammad auch. Auf die Tochter folgten noch eine weitere Tochter und ein heute zehnjähriger Sohn.

„Ich bin schon eine harte Nummer“, sagt Mohammad. „Hart, aber ruhig“, präzisiert er. Nicht die schlechtesten Voraussetzungen, um nicht nur sein eigener Chef, sondern auch der Chef von knapp 30 Mitarbeitern zu sein. Und das in einer Zeit, in der die Lage für Apotheken „schwierig“ ist, wie Mohammad genau weiß. Wegen hoher Bürokratie, Lieferschwierigkeiten, Inflation. Erst im vergangenen Jahr haben Apotheker überall in Deutschland, auch in Dortmund, demonstriert, um auf ihre Probleme und das Apotheken-Sterben aufmerksam zu machen. Dortmund hat laut Apothekerkammer in den vergangenen 15 Jahren ein Viertel seiner Apotheken verloren.
Mohammad ist sicher, mit seinen beiden Apotheken auch in schwierigen Zeiten zu bestehen. Auch seine Töchter glauben an die Branche: Beide studieren Pharmazie. Das Erfolgsrezept ihres Vaters soll so aussehen: „Unsere Pflicht ist es, den Kunden gut zu bedienen, er soll zufrieden sein.“ Diesen einfachen Leitsatz wolle er so gut wie möglich umsetzen, sagt der 50-Jährige. Beispiel: Kommt ein Kunde mit einem mangelhaften Rezept, dann soll er nicht wieder zum Arzt zurückgeschickt werden, wo er im schlimmsten Fall erneut lange warten muss. „Wir versuchen, das dann zu klären“, sagt Mohammad.

Der Apotheker ist sich sicher: „Wenn wir intensiv bedienen und menschlich mit allen umgehen, kommen die Leute wieder.“ Er wolle „der beste Versorger sein“ – dafür würde er auch zum Fahrer zu werden. „Wenn es richtig eilt, liefere ich ein Medikament selbst aus“, verspricht er.
Er wisse, er habe sich da „ganz schön was vorgenommen“. Aber er sei nicht allein. Das Team sei jetzt schon „toll“. Und – das ist Teil zwei seines erdachten Erfolgsrezepts: Mohammad will eine Atmosphäre schaffen, in der die Angestellten den Kopf frei haben, um auch wirklich gut arbeiten zu können.

Er nennt ein Beispiel: Wer ein krankes Kind zu Hause hat oder andere Betreuungssorgen, der habe den Kopf nicht frei. Daher soll die Familie erst mal vorgehen, sagt Mohammad. Alles andere lasse sich regeln, er sei kein Verfechter ganz starrer Arbeitszeiten. Er habe gleich damit angefangen, an einer besseren Work-Life-Balance zu schrauben. Auch von ihm organisierte Kinderbetreuung in den Ferien könne er sich vorstellen.
Da müsse er investieren, aber er ist überzeugt: „Wer in einen Topf etwas hineingibt, der bekommt auch etwas heraus.“
Zwei Apotheken
- Die Beguinen-Apotheke befindet sich am Marktplatz in Lütgendortmund, Beguinenstr. 8, die Zollern-Apotheke liegt an der Provinzialstr. 403 in Bövinghausen. Bis Ende Februar hatte sie Dr. Thomas Milbradt geführt, er hat sich nun zur Ruhe gesetzt.
- Die Öffnungszeiten beider Apotheken bleiben gleich.
- Auch hält der neue Chef an Rabattcoupons fest.
- Die beliebten Apotheken-Taler, die beim Einkaufen gesammelt und gegen Prämien eingetauscht werden können, wird es ebenfalls weiterhin geben.