„Indianerkostüme“ zu Karneval „Für die einen harmloser Spaß - für viele Menschen aber verletzend“

Als „Indianer“ zu Karneval: „Für indigene Menschen verletzend“
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„Komm, hol‘ das Lasso raus, wir spielen Cowboy und Indianer...“. Bier trinken, Schlager singen, Schunkeln und sich verkleiden. Wie wäre es mit einem Indianerkostüm? Zum Beispiel als sexy Pocahontas...

Was für viele Karnevalisten völlig selbstverständlich ist, stelle für viele Menschen einen Schlag ins Gesicht dar, sagt Carmen Kwasny.

Sie ist Leiterin der Native American Association of Germany. Der Verein ist eine Kontaktstelle für indigene Menschen in Deutschland.

„Die Verkleidung ist eine Stereotypisierung und weit entfernt von den eigentlichen Traditionen der indigenen Völker in Nordamerika. Hierzulande kennt aber kaum jemand die Vielfältigkeit und Ursprünge dieser Traditionen“, sagt Kwasny.

Unbeschwert oder unwissend

Maik Maevus, Vorsitzender des Dortmunder Jugendkarnevals, sieht das Kostüm „Indianer“ hingegen als unproblematisch an. Die Verkleidungen seien nicht politisch. Denn: „Gerade die Kinder verkleiden sich ja eher als das, was sie sein möchten. Die finden Indianer einfach spannend, das ist wie mit Polizisten oder Feuerwehrleuten.“

Woher rührt also die Kränkung der indigenen Menschen, wenn es um das Karnevalskostüm „Indianer“ geht?

Für Carmen Kwasny ist die Unwissenheit der Menschen hierzulande ein Grund für die ungewollte Beleidigung. „Ihnen ist nicht bewusst, dass dadurch die Gefühle indigener Menschen verletzt werden.“

Die „Indianer“ hat es nie gegeben

Sie führt aus: „Erstmal muss man wissen, dass es in den USA 574 Stammesnationen und indigene Gemeinden gibt und alle ihre eigenen Traditionen haben. Die „Indianer“ an sich hat es also nie gegeben - das ist eine Fremdbezeichnung der Europäer. Das, was hier an Verkleidungen angeboten wird, ist häufig ein Misch-Masch von Kleidung, die gar nicht zusammengehört. Das ist, wie wenn man eine bayrische Lederhose mit einem spanischen Flamencohemd kombiniert.“

Carmen Kwasny leitet die Native American Association of Germany eine Anlauf- und Kontaktstelle für indigene Menschen in Deutschlande
Carmen Kwasny leitet die Native American Association of Germany eine Anlauf- und Kontaktstelle für indigene Menschen in Deutschlande © Kwasny

Das typische Bild eines indigenen Menschen, wie es hier in Deutschland existiert, komme noch am ehesten an die indigenen Nomadenvölker heran, die in der amerikanischen Prärie Jagd auf Bisons machten, nachdem die Europäer das hiesige Pferd nach Nordamerika brachten: „Die haben häufig aufwendig genähte und verzierte Kleidung aus Hirschleder getragen. Wenn hier dann in einem Kindergarten ein Indianerkostüm aus einem Jutesack geschnitten wird, ist das vergleichsweise lieblos“, erklärt Carmen Kwasny.

Federschmuck eine Auszeichnung

Dazu komme, dass viele Traditionen hier nicht verstanden würden. Der Federschmuck zum Beispiel wird einem indigenen Mann in manchen Stammesnationen im Laufe seines Lebens - Feder für Feder - als besondere Ehrung verliehen. Wenn sich nun also jemand an Karneval einen kompletten Federschmuck aufsetzt, dann sei das vergleichbar mit dem Anstecken von Orden, die man nicht verdient hat.

Die Friedenspfeife wiederum sei eigentlich eine „Sacred Pipe“ (Deutsch: heilige Pfeife), die zeremoniell in vielen unterschiedlichen vor allem auch spirituellen Situationen geraucht wird. Findet man nun also eine Bastelanleitung für Friedenspfeifen aus Klopapierrollen, ist das in etwa so, als ob jemand einen Abendmahlkelch aus einem Plastikbecher bastelt.

Keine Religionsfreiheit

Schmerzhaft sei das vor allem, weil es den indigenen Menschen Nordamerikas bis zum Ende der 1970er Jahre verboten war, ihre Religion auszuüben. Zudem sollten sie weder ihre Sprache sprechen noch ihre Kleidung tragen. Stattdessen seien Kinder in Internate gesteckt worden, in denen sie westlich erzogen wurden.

Problematisch ist in diesem Zusammenhang laut Carmen Kwasny auch die Verkleidung der Pocahontas. Der Film von Disney beruht auf einer historischen Person. „Die echte Pocahontas ist nur 21 Jahre alt geworden. Sie hatte keine Liebesbeziehung mit dem Engländer John Smith. Sie war ungefähr 10 Jahre alt, als sie ihn traf. Sie wurde nach England gebracht, wo sie früh an Tuberkulose gestorben ist. Es ist auch nicht klar, inwiefern ihre Hochzeit mit einem Briten freiwillig war. Das Gleiche gilt für die Zeugung eines gemeinsamen Kindes“, so Kwasny.

Karl May und Poverty Porn

Ganz vieles sei in Deutschland, wo die Berührungspunkte mit indigener Kultur häufig „nicht über das Lesen von Karl May-Büchern“ hinausgingen, nicht bekannt.

Auch das verbreitete Bild der heutigen indigenen Bevölkerung in den USA als oft in Baracken lebende Menschen mit Alkoholproblem entspräche in dem dargestellten Umfang nicht der Wirklichkeit - und entspringt eher Reality-TV-Formaten. Eine indigene Frau bezeichnete diese Darstellungen Kwasny gegenüber als „Poverty Porn“ (zu Deutsch etwa: Armutspornografie), erzählt die Vereinschefin.

Vielmehr gebe es wirtschaftlich sehr versierte indigene Gruppen, zum Beispiel die Seminolen aus Florida. Diese haben beispielsweise 2006 für knapp eine Milliarde Dollar die Hard-Rock-Café-Kette aufgekauft. Die gleiche Gruppe errichtete in Fort Lauderdale ein Hard-Rock-Hotel in Form einer 140 Meter hohen, verglasten Gitarre.

An die Karnevalisten möchte Kwasny appelieren: „Es gibt wissenschaftliche Studien darüber, dass stereotype Darstellungen einen schädlichen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung indigener Kinder haben - und dazu gehören auch die Indianerkostüme. Wir sind weltweit miteinander vernetzt und indigene Kinder nehmen war, wie ihre Stammesnationen dargestellt werden. Was für die einen ein harmloser Spaß zur Karnevalszeit ist, verletzt die Gefühle vieler indigener Menschen“, so Kwasny.