AfD-Treffen mit rechtem Vordenker Experte sagt, „Helferich versucht, in NRW ostdeutsche AfD-Verhältnisse herzustellen“

„Helferich versucht, in NRW ostdeutsche AfD-Verhältnisse herzustellen“
Lesezeit

Maik Fielitz leitet den Bereich Rechtsextremismus- und Demokratieforschung am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena und ist Co-Leiter der Forschungsstelle der Bundesarbeitsgemeinschaft „Gegen Hass im Netz“. Im Interview blickt er auf den geplanten Vortrag des rechten Vordenkers Götz Kubitschek im Dortmunder Wahlbüro der AfD-Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich und die Frage, ob die AfD die aktuelle Öffentlichkeit auch für sich nutzen kann.

Herr Fielitz, die Einladung zum Vortrag des rechten Vordenkers Götz Kubitschek wurde „vertraulich“ in einer Telegram-Gruppe verschickt. Ist eingeplant, dass solche Einladungen öffentlich werden? Hat es vielleicht sogar Kalkül?

Mich wundert nicht, dass es öffentlich geworden ist. Es gäbe andere Wege, so etwas zu verabreden, wenn es vertraulich sein soll. Kubitschek ist viel unterwegs. Er scheut auch nicht die Öffentlichkeit. Ich gehe daher davon aus, dass das Treffen nicht so abgeschottet geplant wurde, wie das, das „Correctiv“ aufgedeckt hat. Solche Austausche mit dem neurechten Dunstkreis sind bereits Alltag.

Welche Funktion haben Treffen wie nun das mit Kubitschek?

Es geht um einen demonstrativen Schulterschluss der AfD mit ihren Vorfeldorganisationen. Die Treffen zeigen auch, dass die getroffenen Unvereinbarkeitsbeschlüsse der AfD gegenüber radikalen Gruppen praktisch hinfällig sind. Über persönliche Verbindungen geht der strategische Austausch seit Jahren vonstatten. Die Kanäle des vom Verfassungsschutz beobachteten Instituts für Staatspolitik zu politischen Verbündeten sind fest etabliert. Austausch findet seit Jahren statt – auch öffentlich.

Was ist das Besondere in der aktuellen Situation?

Treffen wie das in Potsdam zeigen, dass einige Kreise in der AfD schon eine Machtoption mitdenken und Maßnahmen ausbuchstabieren. Dass es möglich ist, dass die AfD bei Wahlen absolute und relative Mehrheiten gewinnt und sich so Politik umsetzen ließe, die lange als größenwahnsinnige Träumerei galt, euphorisiert viele. Und es ist auch ein Grund, warum solche Treffen nun verstärkt stattfinden.

Wie nehmen Sie die Kommunikation der AfD nach den „Correctiv“-Veröffentlichungen wahr?

Das ist unterschiedlich. Zum einen gibt es das Lager um die Parteispitze, das versucht alles kleinzuhalten und mit dem Thema schnellstmöglich aus der Öffentlichkeit herauszukommen. Dort hat man Angst, dass Wähler durch zu radikale Rhetorik vergrault werden und eine breite gesellschaftliche Bewegung gegen rechts auf den Straßen entsteht.

Dies steht nicht im Widerspruch, dass die Aufmerksamkeit aus einer strategischen Sicht auch als sinnvoll erachtet wird, das Thema Abschiebungen im Mainstream zu verankern und zu torpedieren.

Und es gibt ein zweites Lager, das die Zeit gekommen sieht, nun auch größere gesellschaftliche Umwälzungen auf die Agenda zu setzen. Dazu gehört das Kubitschek-nahe Lager, das in den massenhaften Abschiebungen nur den Beginn einer autoritären Umgestaltung sieht.

Wie blickt das Kubitschek-nahe Lager auf die Debatte?

Dass Massendeportationen in der Medien-Öffentlichkeit präsent sind, wird als Erfolg des völkischen Lagers verstanden. Es sieht die Möglichkeit, eine Radikalisierung in der AfD weiter zu forcieren. Indem die radikalen Gruppen besonders offensiv auftreten, versuchen sie das Gefühl zu vermitteln, dass sie auch parteiintern in der Mehrheit sind.

Den Dortmunder Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich würden Sie auch zu diesem Kreis zählen?

Ja, das ist durch sein Auftreten schon recht deutlich. Er ist einer, der sehr stark dem Höcke- und Kubitschek-Lager zuzurechnen ist. Helferich versucht, auch in NRW ostdeutsche AfD-Verhältnisse herzustellen, was Positionierung und Zusammenarbeit mit noch radikaleren Kräften angeht.

Matthias Helferich aus Dortmund ist für die AfD in den Bundestag eingezogen.
Matthias Helferich aus Dortmund ist für die AfD in den Bundestag eingezogen. © Stephan Schütze (A)

Hilft die nun entstandene Debatte der AfD oder schadet sie ihr?

Es ist noch zu früh, das zu sagen. Einerseits nützt der AfD immer öffentliche Aufmerksamkeit und die ist gerade auf dem Höhepunkt. Zugleich werden auch Gegenstimmen in konservativen Kreisen lauter, obwohl die AfD dieses Milieu eigentlich stärker ansprechen will. Es wird sich zeigen, wie zentral die Debatte die Politik der AfD beeinflussen wird. Offensichtlich ist, dass sich die Parteispitze zurückhält, weil sie Flügelkämpfe innerhalb der Partei verhindern will. Die größte Angst der AfD ist, dass sie implodiert.

Der rechte Kampfbegriff „Remigration“ hat es durch die Debatte in die breite Öffentlichkeit geschafft. Ist das als Erfolg für die AfD und für rechte Kreise zu werten? Setzt dadurch eine Normalisierung ein?

Für die AfD und ihr Vorfeld ist das ein großer Erfolg. Zuvor war der Begriff nur Kennern bekannt. Dass der Begriff nun ständig reproduziert wird, ist auch von Medien nicht ausreichend bedacht worden. Auch die Kür zum Unwort des Jahres kann leider als – wenn auch negative – Werbekampagne für eine abstoßende Ideologie verstanden werden.

Dass der Begriff jetzt in aller Munde ist, führt auch dazu, dass Leute sich nun auch mit dem Konzept näher befassen. Das adelt diejenigen Neurechten, die sich als Vordenker verstehen. Deswegen ist die Aufmerksamkeit, die jetzt für ideologische Konzepte der Rechten besteht, kritisch zu bewerten.

Überlegungen zu Massendeportationen haben dadurch Einzug in die öffentliche Debatte in Deutschland erhalten.

Genau, anscheinend ist es auch eine Option, die diskutiert wird. Allein, dass es zu so einer Debatte in einer breiten Öffentlichkeit kommt, ist schon ein starker Raumgewinn für Rechtsextreme. Ich kann mir vorstellen, dass Akteure wie Martin Sellner [Anm. d. Red.: Sellner war jahrelang führender Kopf der Identitären Bewegung in Österreich und nahm an dem Treffen in Potsdam teil] die mediale Wirkung solcher Debatten einkalkulieren.

Ich wäre nicht überrascht, wenn er bei dem Treffen in Potsdam mitgeplant hat, dass es auch öffentlich werden könnte. Grundsätzlich ist aber natürlich gut, dass nach der Berichterstattung eine gesellschaftliche Gegenreaktion zu sehen ist.

Was kann die Zivilgesellschaft jetzt tun?

Es ist positiv, dass viele Menschen jetzt auf die Straße gehen und die Gefahr für die Demokratie verstehen. Die Demonstrationen zeigen deutlich, dass die Pläne der AfD viele Ängste auslösen – auch mit Blick auf die Landtagswahlen in diesem Jahr. Es ist wichtig, sich zusammenzuschließen, damit eine rechte Umgestaltung der Gesellschaft nicht gelingt. Denn rechten Akteuren ist auch klar, dass man politische Macht nur gewinnt, wenn es etwa auch Strukturen in der Zivilgesellschaft gibt. Hier muss man deutlich die Grenzen aufzeigen und gleichzeitig mit eigenen Inhalten hervorstechen und nicht nur auf Themen eingehen, die die AfD vorlegt.

Könnte die Debatte ein Startpunkt für eine breitere Masse sein, sich zu organisieren und gegen rechte Strukturen vorzugehen?

Es ist ein Gelegenheitsfenster, das sich gerade öffnet. Es ist sehr deutlich geworden, was es bedeutet, wenn die AfD eine Machtoption bekommt. Für die Bewegung ist wichtig, dass sie sich möglichst breit aufstellt, damit bestehende Konflikte im Umgang mit der AfD nicht weiter zur Schwächung des demokratischen Lagers beitragen. Dass so viele Menschen mit diesem lautstarken Protest gegen die AfD auf die Straße gehen, lässt vielleicht auch einige ihr Bild der AfD als bürgerliche Partei überdenken.