52 Prozent für die AfD In dieser Dortmunder Siedlung hätte die Partei die absolute Mehrheit

Spätaussiedler in Bodelschwingh: Hier bekam die AfD absolute Mehrheit
Lesezeit

Bunt und farbenfroh geben sich die bis zu achtstöckigen Genossenschafts-Wohnblöcke am Wattenscheidkamp. Rentner schauen von ihren Balkons hinunter auf die ausladenden Grünflächen vor den Gebäuden, es gibt Spielplätze in den Innenhöfen, eine Kita gleich um die Ecke und eigene Parkplätze für die Anwohner. Syrer, Afghanen oder türkischstämmige Menschen trifft man hier kaum. Doch hier kam die AfD bei der Bundestagswahl auf 52 Prozent, 202 Menschen votierten für die Rechtsaußen-Partei. Die Grünen erhielten gerade einmal sechs Stimmen.

AfD gewinnt die meisten Wahlbezirke

Die AfD ist in Dortmund bei der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar mit 16,8 Prozent zur drittstärksten Partei geworden, hinter SPD und CDU. Auf Bundesebene rückte sie sogar auf Rang zwei vor. In Dortmund entschied die AfD die meisten Wahllokale für sich, drei mehr als die SPD. Denn im Gegensatz zur SPD, deren Wähler relativ gleichmäßig über die Stadt verteilt sind, konzentrieren sich die AfD-Wähler auf Außenbezirke im Norden, Osten und Westen der Stadt, zum Beispiel auf Scharnhorst, Mengede und Huckarde - und ganz besonders auf die Siedlung im Wattenscheidkamp.

Schon 2021 war das dortige Wahllokal in der Kindertagesstätte das einzige in Dortmund, das an die AfD ging - damals noch mit nur 27,7 Prozent. Dieser Anteil hat sich nun im Jahr 2025 fast noch einmal verdoppelt, die Rechtsaußen-Partei hätte hier rein rechnerisch die absolute Mehrheit. Warum wählen die Menschen hier AfD?

Gepflegtes, aufgeräumtes Straßenbild

„Ich bin für eine Multikultigesellschaft - ‚Ausländer raus‘ ist mir zu radikal“, sagt die 66-jährige SPD-Wählerin Simone Müller, die in einem der Wohnblöcke wohnt und gerade mit dem Fahrrad loswill. Hier würden viele Russen, Polen und Griechen leben, erzählt sie, und mit denen verstehe sie sich sehr gut. „Es sind sehr vernünftige und ruhige Leute, die als Nachbarn zusammenhalten.“ Sie wohne gerne in der Siedlung, es gebe keine Geflüchteten, keine Schlägereien. „Ich habe hier noch nie jemanden besoffen gesehen, die Zeit ist hier ein wenig stehengeblieben.“

Tatsächlich schauen die Straßen aufgeräumt aus, nur eine Vodka-Flasche und ein paar Sitzauflagen liegen verlassen auf einem Parkplatz. Ein Nachbar beschwert sich darüber auf einem am Baum festgetackerten Zettel.

„Russlanddeutsche wählen keine AfD“

Ella Sapun, Inhaberin des russischen Spezialitätenhandels „Wostok“ gleich um die Ecke, kennt das mediale Interesse an der Russlanddeutschen-Siedlung bereits. An der Kasse liegt das russlanddeutsche und in Dortmund herausgegebene Magazin „Partner“ aus, auf der Titelseite die vier Kanzlerkandidaten Scholz, Merz, Habeck und Weidel. „Dass hier die AfD gewählt wird, ist ein Vorurteil“, behauptet Sapun mehrmals. Die Russlanddeutschen seien gut integriert und würden keine AfD wählen, sagt sie. Die Zahlen sagen etwas anderes.

Ella Sapun an der Kasse ihres Supermarktes
Ella Sapun leitet den Wostok-Spezialitätenhandel im Wattenscheidkamp - und glaubt nicht, dass viele hier AfD gewählt haben. Die Zahlen sagen etwas anderes. © Tim Ruben Weimer

„Die AfD spricht seit Jahren vor allem auf Social Media gezielt Russlanddeutsche an“, erklärt der Dortmunder Politikwissenschaftler Dierk Borstel. In Nordrhein-Westfalen gibt es sogar einen Verband der „Russlanddeutschen für die AfD“, deren Vorsitzender Eugen Schmidt unter anderem auf Instagram mobilisiert. Borstel weiter: „Bei einem Teil dieser Gruppen kommen ihr Nationalismus, aber auch ihre traditionellen Familien- und Männlichkeitsbilder gut an.“ In Dortmund leben aktuell 43.230 Spätaussiedler, das sind rund sieben Prozent aller Einwohner.

„Migranten bekommen Geld fürs Nichtstun“

Ein 71-jähriger Bewohner, dem wir begegnen, hat ein hohes Mitteilungsbedürfnis, warum er wie viele andere am Wattenscheidkamp die AfD gewählt haben: „Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen uns, die wir 1989 aus Schlesien nach Deutschland gekommen sind, und den heutigen Migranten: Wir wollten arbeiten, und die heute nicht.“ Der Maschinenbautechniker habe damals kein Geld vom Staat bekommen und deswegen täglich zehn Stunden gearbeitet, teils auch am Wochenende. „Und die Migranten bekommen heute Geld fürs Nichtstun“, meint er.

Foto des Magazins an der Kasse
An der Kasse des russischen Spezialitätenladens titel die russischsprachige Zeitschrift "Partner" aus Dortmund ebenfalls mit der Bundestagswahl. © Tim Ruben Weimer

Auch seine 41-jährige Tochter bestätigt: „Mein Vater kannte nichts anderes als die Arbeit.“ Sie selbst habe entgegen ihren Eltern aber nicht die AfD gewählt - sondern gar nicht. Sie störe die Nähe der AfD zu China, die AfD sei auch nur eine „Mogelpackung“ wie die anderen Parteien. Trotzdem finde auch sie: „Es läuft in Deutschland immer in dieselbe Richtung und es ändert sich nichts. Seit wir die Migranten hier im Land haben, haben wir die Verwahrlosung.“ Freunde hätten erzählt, wie ein Cousin im Wald verprügelt worden sei, auch sie selbst sei, so sagt sie zumindest, schon einmal von einem „Schwarzen“ an der Hüfte festgehalten worden.

Eine „saubere, unauffällige Ecke“

Und das soll in der lauschigen Wattenscheidkamp-Siedlung passiert sein? Der grüne Bezirksbürgermeister von Mengede, Axel Kunstmann, hat nie von Problemen in der Siedlung gehört. „Das wäre mir sicherlich zu Ohren gekommen“, sagt er. „In dem Bereich ist einfach sehr wenig los, es ist eine saubere, unauffällige Ecke. Die Menschen leben dort friedlich und in einem relativen Wohlstand. Das ist auch der Politik hier zu verdanken.“ Er glaubt: „Unter Russlanddeutschen herrscht eine tief verankerte totalitäre Gesinnung, die sie schlecht ablegen können. Sie haben zwar jahrelang von unserer Demokratie profitiert, sehnen sich aber wahrscheinlich immer noch nach einem starken Mann. Deswegen werden Probleme hergeleitet, die gar nicht so bestehen.“

Weitere Wohnblöcke in der Spätaussiedler-Siedlung in Bodelschwingh
Weitere Wohnblöcke in der Spätaussiedler-Siedlung in Bodelschwingh © Tim Ruben Weimer

Von denen können Janusz und seine Frau Ivonna reichlich erzählen: Von Falschparkern bis zu ukrainischen Kinder, die beim Fußballspielen eine Hecke und Kunststoff-Ostereier kaputt gemacht haben. „Ich meine es ja nicht böse, aber ich frage meine migrantischen Nachbarn regelmäßig, warum sie die Flaschen immer neben den Abfallcontainer stellen müssen“, sagt der 61-Jährige. Wenn er bei der Wohnungsgenossenschaft anrufe, laute die erste Gegenfrage immer: „Zahlt Ihre Miete der Staat oder zahlen Sie selber?“ „Was soll diese Frage?“, fragt er. „Wer hier nichts zu suchen hat und nicht arbeitet, soll hier auch nicht bleiben.“

Großteil sind Spätaussiedler

Der 21-jährige Noah ist im Wattenscheidkamp ein Außenseiter. Er trägt lange Haare und fährt ein rotes Tuk Tuk, „weil es einfach praktisch ist und wenig kostet.“ Er ist hier aufgewachsen, auch seine Eltern stammen aus Schlesien. Dass er mitten in einer AfD-Hochburg wohnt, schockiert den Linken-Wähler. „Das überrascht mich jetzt.“ Allerdings kenne er das Gefühl der Ungleichbehandlung auch aus seiner eigenen Spätaussiedler-Familie: „Meine Eltern haben damals auch nur eine Einmalzahlung von 400 Mark bekommen und danach nie wieder etwas.“

Alexander Lipski, ein Russlanddeutscher, der seit 30 Jahren in Dortmund wohnt, hat ein halbes Jahr überlegt, ob er die AfD wählen soll - oder stattdessen das BSW. Der 47-Jährige entschied sich für Letzteres, er spricht vom BSW als „Friedenspartei“. Hier in Dortmund verlaufe das Zusammenleben mit Ukrainern zwar friedlich, aber über Politik und den Krieg in der Ukraine unterhalte man sich besser nicht, sagt er. Doch auch er teilt die hier vorherrschende Meinung zu Migranten: „Viele Afghanen und Syrer wollen nicht arbeiten und benehmen sich aggressiv, ohne Respekt für die einheimische Bevölkerung“, behauptet er.

Positives Bild von Putin

Der Ukraine-Krieg sei für viele Russlanddeutsche ein Grund, die AfD zu wählen - oder auch das BSW, so Politikwissenschaftler Dierk Borstel. „Wer sich über die offiziellen russischen Medien informiert und diesen folgt, hat in der Regel ein positives Bild von Putin und folgt dessen Interpretation des Konflikts.“

Bezirksbürgermeister Kunstmann spielt den Ball zurück: „Ich würde die Frage stellen: Warum haben wir denn so viele Flüchtlinge aus der Ukraine? Da müsste man sich vielleicht eher bei Herrn Putin beschweren.“