Der Ordner reicht weit zurück, bis in die Nuller-Jahre. Zeitungsberichte und Leserbriefe sind abgeheftet, aber auch Dutzende Beschwerden an alle erdenklichen Behörden – und all die Antworten, die er erhalten hat.
Hans-Jörg Vollmer (82) sitzt im Esszimmer seines Hauses an der Rheinischen Straße in Dortmund, unterbricht seinen Satz und sagt: „Hören Sie? Jetzt! Der Stoß war genau hier!“
An der Kurve zur Emscherbrücke
Alle zehn Minuten fahren vier Stadtbahnen vorbei – die U43 und die U44, die Rheinische Straße stadteinwärts und über die Emscherbrücke stadtauswärts. Vollmers Haus steht an der Kurve, die die Schienen machen. Gegenüber steht das Haus, das er stellvertretend für eine Erbengemeinschaft vermietet.
Eine der Etagen stehe leer, seit Monaten schon, ärgert sich Vollmer – und das liege eben auch der Lautstärke hier, am Straßenbahn-Lärm, über den sich auch schon Mieter beschwert hätten. Melden Sie sich ruhig bei DSW21, habe er geantwortet, „dann bin ich es nicht alleine“.
Man kennt Vollmer schon
Schon seit Jahren sei man in Kontakt mit Herrn Vollmer, heißt es von DSW21. „Er hat schon häufiger eine Belästigung durch Geräusche moniert, die beim Stadtbahnbetrieb entstehen“, so Unternehmenssprecher Frank Fligge. Die Stadt Dortmund, das Land NRW, das Eisenbahn-Bundesamt, die Technische Aufsichtsbehörde – alle bekamen schon Post von Vollmer.
Zuletzt wandte sich der 82-Jährige an den städtischen Beschwerde-Ausschuss, in dessen Sitzung Vollmer wieder Ärger bekam: „Der Vorsitzende begrüßte mich mit: ‚So frech dürfen Sie dem Rat nicht schreiben, aber wie ich sehe, sind Sie ja gut angezogen.‘“ Ein paar Tage später, sagt Vollmer, habe er dann per Brief geantwortet.
Ohnehin: Wenn Vollmer nicht weiterkommt bei einer Behörde, wenn man ihn und sein Anliegen abweist, wird sein Ton mitunter deftiger – auch das ist im dicken Ordner dokumentiert.
Welchen Weg nehmen die Bahnen?
Vollmer hat Fachwissen. Er weiß, in welcher ostdeutschen Stadt Straßenbahnen fast lautlos umhergleiten. Er kennt die Wege der Stadtbahnen vom Depot und über die Drehkreuze. Spricht er über den Niederflurstraßenbahnwagen, nennt er ihn bei der Abkürzung: NGT8.
Früher arbeitete Vollmer für eine große Wohnungsgesellschaft, hatte viel mit dem Bauamt zu tun, kann lange über die Beschaffenheit von Häusern und ihren Wänden reden. Und den Unterschied zwischen Frühling und Winter kennt er genau.
Im Winter ist es lauter
„Wenn es wärmer geworden ist, sind die Schienenstöße nicht mehr so hörbar“, erklärt er. Bei kalten Temperaturen sei es lauter und schlimmer. „Wenn dann die Wagen hier durchfahren, die sonst auf der Nord-Süd-Achse unterwegs sind, quietschen sie, als hätten sie keine Räder, sondern als würden sie sich durchschieben“ – wie auf Kufen.
Und die NGT8-Wagen – „da brauchen Sie sich nur mal reinsetzen auf dem Stück von Wittener Straße bis Dorstfelder Brücke, da kriegen Sie eine Gratis-Massage durch die ganzen Schienenstöße“. Wäre die Straße in Ordnung, wären die Schienen in Ordnung, „würden Sie kaum etwas hören oder merken“. Aber seit anderthalb Jahren ändere sich hier nichts mehr.

Früher reichte ein Anruf
Früher habe ein Anruf oder eine E-Mail gereicht – und DSW21 habe einen Trupp rausgeschickt, der den Stoß zugeschweißt habe. Aber nun...? Vollmer vermutet einen Zusammenhang mit dem immer weiter verschobenen Umbau der Rheinischen Straße, mit dem Warten auf die Umgestaltung des ehemaligen HSP-Geländes, mit der Veränderung der Stadtbahn-Strecke, die es in diesem Zusammenhang geben soll.
DSW21 widerspricht: „Im Bereich des Gleisbogens vor der Immobilie des Herrn Vollmer fanden vor circa 14 Tagen umfangreiche Schleifarbeiten durch ein Fremdunternehmen statt.“ Der Schienenzustand sei „demzufolge dort in Ordnung“. Es gebe dort „bahnübliche Geräusche“ und eine „kontinuierliche Wartung“.
DSW21: Nehmen Hinweise ernst
Eine „verschleißbedingte Erneuerung“ stehe an dieser Stelle noch nicht an, erklärt DSW21-Sprecher Fligge. Und auch, dass man „Hinweise aus der Bevölkerung“ immer ernst nehme und prüfe, „weil es grundsätzlich natürlich auch mal Schäden an den Schienen geben kann, die zu verstärktem Lärm führen können“.
„Mögliche Schadstellen werden schleif- und schweißtechnisch zügig repariert“, findet der DSW21-Sprecher. Auch zur Situation vor Vollmers Haus an der Rheinischen Straße kann er etwas sagen.

„Keine Beanstandungen“
Die Technischen Aufsichtsbehörde (TAB) sei in der Tat die „relevante Instanz“ für DSW21. „Die TAB hat Prüfungen durchgeführt und keine Beanstandungen.“ Das „Ergebnis einer Abfrage bei unserer Kundenresonanz“ sei, so Fligge: Es gebe „keine weiteren Beschwerden von Anwohnerinnen oder Anwohnern der Rheinischen Straße.“
Vollmer ist dennoch nicht überzeugt. Er will weiterstreiten. Zumal da nicht nur der Lärm sei, sondern auch der erkennbare Schaden. Vor vielen Jahren hat er einmal versucht, Geld für die Instandsetzung der Fassade von DSW21 wiederzubekommen. Denn die Erschütterungen durch die Stadtbahn seien ja ursächlich.
Erschütterungen im Wohnzimmer
Einige Formulierungen im ersten Schreiben von damals klingen tatsächlich so, als würden die Stadtwerke den vierstelligen Betrag übernehmen. Erst im Laufe des Schreibens und des weiteren Schriftverkehrs wird deutlich: Vollmer muss die Rechnung des Handwerkers doch komplett selbst bezahlen.
„Die haben das nicht übernommen, ach wo!“, sagt der 82-Jährige. Auf einen juristischen Streit habe er sich damals aber lieber nicht eingelassen. Da habe er doch eh keine Chance gegen so einen Gegner. Dennoch: Aufgeben will er nicht.
„Im Winter“, sagt Vollmer, „sind die Schienenstöße so stark, dass selbst hier im Esszimmer Erschütterungen zu spüren sind – und das alle paar Minuten.“
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