Es war einer der größten Skandale der Dortmunder Stadtgeschichte: Etwa 1,1 Millionen Euro wurden Anfang der 2000er-Jahre aus der Dortmunder Stadtkasse veruntreut. Mit 400.000 davon soll Heike P. innerhalb von fünf Jahren ihren Kokainkonsum finanziert haben. Was mit den übrigen 700.000 passiert ist, konnte bis heute nicht geklärt werden.
Der Skandal schlug damals weite Wellen. Die taz nannte die Affäre das „kleine Waterloo von Dortmund“, die Zeitung Welt nannte sie aufgrund der Brisanz direkt „Kokain-Affäre“. Insgesamt dreimal stand Heike P. für diesen Skandal vor Gericht.
Sie war die einzige, die in der ganzen Sache je angeklagt wurde. Doch ihre Verurteilung war aus Sicht vieler dann direkt ein weiterer Skandal: Sie bekam für die Veruntreuung des Geldes der Stadt Dortmund zwei Jahre auf Bewährung, 150 Sozialstunden und musste monatlich 100 Euro Entschädigung zahlen.
Als der Koks-Dealer Urlaub machte
Was war passiert? Fünf Jahre lang hatte sich Heike P. kleinere bis auch mal größere Summen aus der Stadtkasse auszahlen lassen. Wie konnte das über all die Zeit unbemerkt bleiben? Die Antwort liegt in Teilen in ihrem Aufgabenbereich.
Als Mitarbeiterin im Oberbürgermeister-Amt war sie für Dinge verantwortlich wie die Pflege von Städtepartnerschaften, für Dienstjubiläen oder runde Geburtstage, für die die Stadt gerne kleine Aufmerksamkeiten wie Blumensträuße verschickt hat.
Genau unter dem Vorwand, solche Dinge zu besorgen, hat P. sich dann teils mit Schecks, teils mit Geldkarten der Stadt Geld auszahlen können. Kontrolliert wurde nicht.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtkasse sagten damals, sie seien angehalten worden, das nicht zu tun, wenn Zahlungen vom Bürgermeisteramt selbst angeordnet wurden. Es sei lediglich ab und zu mal auf den Verwendungszweck geschaut worden. Mehr geschah wohl nicht. Und so kamen die Machenschaften erst durch einen abstrusen Zufall ans Licht.
Bei der letzten Auszahlung vor ihrer Festnahme am 18. April 2007 stand Heike P. unter Zugzwang. Ihre Dealer hätten ihr gesagt, sie würden in den Urlaub fahren. Daraufhin habe sie Angst gehabt, dass sie in der Zeit nicht an Kokain kommen würde. Schnell habe sie alles in die Wege geleitet, um sich 6800 Euro von der Stadt auszahlen zu lassen - allerdings an zwei Tagen, an denen sie krankgeschrieben war.
Heike P. war sofort geständig
In den folgenden Ermittlungen nach Festnahme von Heike P. zeigte sich das gesamte Ausmaß des Skandals:
1,1 Millionen schienen in der Stadtkasse zu fehlen. Heike P. hat übrigens gar nicht erst versucht, ihre Schuld zu verbergen - räumte aber lediglich ein, 400.000 Euro veruntreut zu haben.
Dafür konnte sie sogar Belege vorzeigen - denn sie hatte alle ihre Drogeneinkäufe akribisch dokumentiert. Sie hat damals ausgesagt, mit niemandem zusammengearbeitet zu haben, wollte aber nicht ausschließen, dass sich andere ebenso bedient haben wie sie. Das stellte die Ermittler vor ein Rätsel: Was war mit den übrigen 700.000 Euro geschehen. Bis heute wurde das nicht aufgeklärt.
Ihre Kooperation sollte letztlich gut für Heike P. sein: Als sie das erste Mal vor Gericht erschien, war sie im Zeugenstand – im Status einer Kronzeugin: Sie hatte ihre Dealer verraten. Ohne die Aussage von P. hätte die Polizei keine Handhabe gegen diese gehabt. Doch dank der ungewöhnlichen Sorgfalt beim Dokumentieren der Kokainkäufe konnte die Schuld einwandfrei belegt werden.
Heike P. konnte damals sogar genau dokumentieren, dass sie umgerechnet etwa 60 Euro pro Gramm Koks bezahlt hatte. Über fünf Jahre kam sie so auf rund 400.000 Euro an Ausgaben.
Die Dealer bekamen nach diesem Prozess jeweils rund die vier Jahre Haft. Im November dann folgte das Verfahren, bei dem Heike P. selbst die Angeklagte war.
Heike P. wird angeklagt
Im zweiten Prozess ging es dann auch um das veruntreute Geld. Dieser Fall und die Drogendeals wurden zu dem Zeitpunkt strikt getrennt. Die Staatsanwaltschaft wollte zuerst den Fall ums verschwundene Geld verhandeln und danach weitersehen. Und das war aufwändig genug. Zu dritt verlasen die Staatsanwälte Informationen zu 490 Einzelfällen, die auf den 177 Din-A4-Seiten aufgelistet waren. Das dauerte beinahe den kompletten ersten Prozesstag.
Heike P. zeigte sich wie zuvor kooperativ - und gab zu, was sie getan hatte. Ihre Kooperationsbereitschaft führte schlussendlich zu einer Gesamtstrafe von besagten zwei Jahren auf Bewährung. Ein weiterer Teil der Begründung für das Urteil war für die Stadt ein Schlag ins Gesicht: Die Stadt habe Heike P. ihre Taten so einfach gemacht. Die Bewährungsstrafe war für die Staatsanwaltschaft ein Skandal. Weshalb sie prompt einen weiteren Prozess einleitete.
Wieder nur Bewährung
In diesem Prozess ging es um die Drogendeals selbst. Statt gegen das Urteil im vorigen Prozess in Revision zu gehen, hielt die Staatsanwaltschaft es für klüger, diese Taten auszuverhandeln. Alles in der Hoffnung, dass das nächste Urteil härter ausfallen würde.
Ab März 2010 stand Heike P. also ein weiteres Mal für insgesamt 266 Fälle von Kokain-Kauf vor Gericht. In der Zwischenzeit hatte sie sich in Therapie begeben, jeden Monat 100 Euro an die Stadt zurückgezahlt und auch die verhängten Sozialstunden abgeleitet. Und: Auch in diesem Prozess verhielt sie sich kooperativ, gestand die Taten und legte alle Details offen.
Serie „Dortmunder Verbrechen“
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Ein weiteres Mal machte Heike P. auf ihre privaten Umstände aufmerksam. Ihre Scheidung, ihr Vater sei verstorben. Gleichzeitig bescheinigte ihr ihre Psychiaterin, dass sie zur Tatzeit wegen alledem vermindert schuldunfähig gewesen sei und machte vor Gericht deutlich, dass die Arbeit, die bis dahin in die Therapie geflossen sei, zunichte wäre, wenn man ihre Patientin nun ins Gefängnis stecken würde. Schnell war für die Richter klar: Auch diesmal gibt es keine Gefängnisstrafe für Heike P.
Die Folgen des Koks-Skandals
Nach dieser letzten Verurteilung hörte man von Heike P. nicht mehr viel. Als Angeklagte trat sie nicht mehr in Erscheinung. Es gibt jedoch Gerüchte, dass sie inzwischen in einer anderen Stadtverwaltung arbeiten soll.
Der damalige Oberbürgermeister Gerhard Langemeyer trat nach dem Skandal nicht noch einmal zur Wiederwahl an. Stattdessen Ullrich Sierau für die SPD und wurde der nächste Oberbürgermeister von Dortmund.
Der Skandal um Heike P. war nicht der letzte seiner Art: Noch mehrfach sind Gelder der Stadt veruntreut worden. 2013 etwa zwackte eine Angestellte der Bürgerdienste in Hombruch eine halbe Million für sich ab, um damit ein Eigenheim und Pferde zu kaufen. In einem weiteren Fall wurde eine 59-jährige ehemalige Stadtangestellte angeklagt, zwischen 2008 und 2012 rund 380.000 Euro aus der Stadtkasse genommen zu haben. Der Gesamtfehlbetrag soll sich in diesem Fall sogar auf knapp 660.000 Euro belaufen haben.
Wie errechnet man eine Gesamtstrafe?
Heike P. hat viele Hundert Vergehen der Veruntreuung und des Kokainankaufs begangen. Solche Vergehen werden an deutschen Gerichten nicht alle einzeln bestraft und die Strafen addiert. Im Gegenteil, die Richter breiten die Vergehen allesamt aus, und formulieren am Ende eine sogenannte Gesamtstrafe. Diese belief sich in beiden Prozessen auf eine zweijährige Bewährungsstrafe.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 27. Juli 2024.