In diesen Dorstener Stadtteilen haben über 50 Prozent der Kinder Karies

© Claudia Engel

In diesen Dorstener Stadtteilen haben über 50 Prozent der Kinder Karies

rnKaries bei Kindern

Noch nie war die Zahngesundheit der Kinder in Dorsten so gut wie heute. Für sozial benachteiligte Kinder gilt das nicht. Experten erklären, warum das so ist.

Dorsten

, 15.11.2019, 12:30 Uhr / Lesedauer: 3 min

In Hervest ist das Kariesrisiko der Kinder besonders hoch. Auch in Wulfen, Holsterhausen und in der Feldmark weisen Milchzähne oder bleibende Zähne von einigen Kindern deutlich häufiger Kariesbefall auf als beispielsweise auf der Hardt, in Rhade oder Lembeck. Der Gesundheits- und Bildungsbericht 2019 des zahnärztlichen Dienstes des Kreisgesundheitsamtes legt dar, warum das so ist.

„Karies entwickelt sich in Deutschland zunehmend zu einer sozialen Erkrankung“, heißt es da. Der Wulfener Zahnarzt Dr. David Engels sagt auf unsere Anfrage, dass er diesen Eindruck in seiner Praxis auch gewonnen habe: „In Teilen von Wulfen und Barkenberg ist das feststellbar.“

Gut situierte Kinder haben seltener Karies

Der Zahngesundheitsbericht vertieft diesen Eindruck: „Kinder, die in Stadtteilen mit ausgeprägt sozialen und wirtschaftlichen Problemlagen leben, haben sowohl bei den Milchzähnen als auch bei den bleibenden Zähnen ein deutlich höheres Kariesrisiko als Kinder in gut situierten Stadtteilen. Von den Kindern, die eine Grundschule in einem gut situierten Stadtteil besuchen, hat ein Drittel Erfahrungen mit Karies. In den Grundschulen hingegen, die in Stadtteilen mit ausgeprägten sozialen und wirtschaftlichen Problemlagen liegen, trifft dies mit 56 Prozent auf mehr als die Hälfte der Kinder zu.“

Starker Befall an fünf und mehr Zähnen

Bei diesen Kindern häufe sich zudem ein sehr starker Kariesbefall von fünf und mehr Zähnen. „Es kann nicht sein, dass Kinder mit Zahnschmerzen in die Schule kommen und bitterlich weinen. Deswegen ist es für mich eine ganz große Notwendigkeit, dass wir als Ärzte in die Einrichtungen gehen“, betont Dr. Sabine Petri-Dorn, Zahnärztin des Kreisgesundheitsamtes.

In Dorsten wird derzeit an Programmen gearbeitet, wie mehr Kindergärten und Schulen eingebunden werden können. „Es gibt Gespräche zwischen Verwaltung, örtlichen Zahnärzten und Ärztekammer. Aber es ist noch nichts spruchreif“, sagte Stadtsprecher Christoph Winkel auf unsere Anfrage. Zurzeit profitieren Einrichtungen nur vereinzelt von Prophylaxeangeboten des Kreisgesundheitsamtes. Die Mitarbeiterinnen sind für alle Kreisstädte zuständig.

Vorsorgeangebote werden nicht genutzt

Der Wulfener Zahnarzt Dr. David Engels kennt die Gründe, warum Karies bei Kindern aus sozial benachteiligten Familien so massiv auftritt und bei anderen deutlich seltener oder gar nicht: „Die kostenlosen Vorsorgen, die schon im Kitaalter von den Krankenkassen bezahlt werden, werden nicht in Anspruch genommen.“ Auch das wird im Bericht bestätigt: „Die Eltern lassen ihre Kinder nicht ausreichend zahnärztlich untersuchen und behandeln.“ Dabei könnten sie mit sehr geringem Aufwand die Zahngesundheit ihrer Kinder fördern.

Eltern, die diese Pflicht versäumen, bescheinigt der Gesundheitsbericht: „Es gibt Kinder, die so schlechte Zähne haben, dass von Vernachlässigung durch die Eltern gesprochen werden muss.“ Für diese Form der Kindeswohlgefährdung nennt der Bericht diese Gründe: „Das Zusammenwirken von niedrigem Sozial-/Bildungsstatus und geringer Kontroll- und Selbstwirksamkeitsüberzeugung spielt dabei eine besonders wichtige Rolle.“

Bei den Vorsorgen in Kindergärten und Schulen werden Kinder auf die Schädlichkeit dieser Lebensmittel aufmerksam gemacht.

Bei den Vorsorgen in Kindergärten und Schulen werden Kinder auf die Schädlichkeit dieser Lebensmittel aufmerksam gemacht. © Claudia Engel

Denn in diesen Fällen geselle sich zu einem prekären Lebensumfeld auch die Überzeugung hinzu, die eigene Situation nicht maßgeblich beeinflussen zu können. Dies aber führe dazu, dass nicht genügend Verantwortung für einen gesunden Lebensstil sowie für die Wahrnehmung der Vorsorgeuntersuchungen übernommen wird.

Sozialer Status am Gebiss ablesbar

Dass der soziale Status eines Kindes noch heute am Zustand seines Gebisses ablesbar sein kann, wollen die Fachleute nicht hinnehmen. Sie setzen auf Schulungen in Kindergärten und Grundschulen und Ermunterung der Kinder, auch wenn die Zähne schon schmerzen und die Behandlung aufwändig und intensiv ist. „Das erfordert viel Geduld und Fingerspitzengefühl“, sagt David Engels.

Sandra Witter, zahnmedizinische Prophylaxeassistentin beim Kreisgesundheitsamt, fühlte den Kindern von Flüchtlingen im Michaelisstift auf den Zahn. Alle wurden mit einem Putzset für ihren Einsatz belohnt.

Sandra Witter, zahnmedizinische Prophylaxeassistentin beim Kreisgesundheitsamt, fühlte den Kindern von Flüchtlingen im Michaelisstift auf den Zahn. Alle wurden mit einem Putzset für ihren Einsatz belohnt. © Claudia Engel

Ebenso viel Geduld müssen die jungen Patienten aufbringen, die zunehmend mit einer neuartigen Erkrankung ihres Zahnapparates in den Dorstener Zahnarztpraxen auftauchen: den sogenannten Kreidezähnen. Diese Erkrankung heißt „Molare Inzisive Hypomineralisation“ und alarmiert die Zahnärzte in Dorsten: „Das hat rapide zugenommen“, so David Engels.

Kreidezähne greifen um sich

Die Ursachen für diese sich andeutende Volkskrankheit bei Zwölfjährigen sind noch nicht ausreichend erforscht: „Es wird von Umwelteinflüssen gesprochen, von Dioxinen oder Mikroplastik, aber Genaues weiß man noch nicht“, sagt Engels. Die Kreidezähne zeigten aber auch bräunliche Verfärbungen, die bei Schuleingangsuntersuchungen leicht als Karies durchgehen könnten. Auch hier könnten eine frühzeitige Vorsorge und regelmäßige Kontrollen hilfreich sein.

Früherkennung ist das
beste Mittel gegen Karies

Im Januar 2019 wurde vom Gemeinsamen Bundesausschuss der Anspruch auf zahnärztliche Früherkennungsuntersuchungen und Vorsorgemaßnahmen für Kinder beschlossen.
  • Zahnärztliche Früherkennungsuntersuchungen, die bislang erst ab dem dritten Lebensjahr als Kassenleistung möglich waren, können nun bereits vom sechsten bis zum 33. Lebensmonat in Anspruch genommen werden (drei Untersuchungen). In diesem Alter wird die Fluoridierung mit Fluoridlack (zweimal je Kalenderhalbjahr) als Kassenleistung übernommen.
  • Mit diesem Angebot soll vor allem frühkindliche Karies, die zum Beispiel durch die dauerhafte Verwendung von Nuckelflaschen entsteht, vorgebeugt werden. Bereits seit 2016 werden im Gelben Heft (Dokumentation der rüherkennungsuntersuchungen) für Kinder ab dem 6. Lebensmonat Verweise vom Kinderarzt zum Zahnarzt dokumentiert.
  • Kinder vom dritten bis zum sechsten Lebensjahr können zweimal im Jahr ihre Zähne untersuchen lassen. In diesem Alter bleibt der Anspruch auf Fluoridierung für die Kinder bestehen, die ein erhöhtes Kariesrisiko haben.