Peter Schanz macht eine klare Ansage: „Ich fühle mich in meinem Ortsteil Polsum nicht mehr sicher und erwäge wegzuziehen.“ In der Bürgerfragestunde im Haupt- und Finanzausschuss des Marler Stadtrats macht der 59-jährige Optikermeister seine massiven Bedenken gegen die geplante Pyrolyse-Anlage im Zuge der Norderweiterung des Industriegeländes der BP-Raffinerie geltend.
In die gleiche Kerbe schlägt der Polsumer Heinrich Surmann. Er fordert in seinem Bürgerantrag die Stadt dazu auf, auf dem Klageweg gegen den Bebauungsplan der Stadt Gelsenkirchen vorzugehen. Dieser nun rechtskräftige Plan bereitet den Weg für die von vielen Polsumern als gefährlich eingestufte Pyrolyse-Anlage in unmittelbarer Nachbarschaft. Doch die Stadt Marl hält sich zurück.
Das generelle Problem: Aus Sicht der Stadt bleibt offen, ob eine Nachbarstadt als Träger öffentlicher Belange überhaupt das Recht hat, im Rahmen einer Normenkontrollklage vor dem Verwaltungsgericht gegen die Nachbarstadt vorzugehen. „Wir haben eine Fachkanzlei zurate gezogen“, erklärt Bürgermeister Werner Arndt. Sie soll Chancen und Risiken einer solchen Klage ausloten und einen entsprechenden Bericht vorlegen. Noch vor der Sommerpause wird dann der Stadtrat entscheiden, ob der Rechtsweg beschritten wird oder nicht.

Wichtig zu wissen: Die Stadt ist nicht grundsätzlich gegen die Pyrolyse-Anlage. Sie will auch nicht beurteilen, ob dieses technische Verfahren zum Kunststoff-Recycling sinnvoll ist oder nicht. Ihr geht es vorrangig um den Schutz der Bürger vor Emissionen und die Frage, ob geltendes Recht eingehalten wird. Und: Der jetzt von der Stadt Gelsenkirchen beschlossene Angebotsbebauungsplan schafft mit sehr großzügigen Rahmenbedingungen bei Emissionen, Lärm und Verkehr Raum für verschiedene Industrieansiedlungen. Was wann wirklich kommt, ist offen.
Insgeheim setzt die Stadt Marl auf die Macht der Bezirksregierung Münster als Genehmigungsbehörde für den Fall, dass die US-Firma Brightmark tatsächlich den Bauantrag für eine Pyrolyse-Anlage stellt. Zumal es nach Angaben von Peter Schanz in einer entsprechenden US-Anlage schon Brände und Störfälle gegeben haben soll.
Ein politisches Mandat, direkt gegen die Pyrolyse-Anlage vorzugehen, bekommt die Stadt ohnehin nicht. CDU und Grüne Wählergemeinschaft fordern das zwar. Ratsherr Johannes Westermann von der Grünen WG nennt die Anlage „potenziell gefährlich für die Bevölkerung.“ Doch für die SPD betont Ratsherr Andreas Täuber: „Marl ist Chemiestadt, daran hängen 10.000 Arbeitsplätze und es gibt wichtige Synergien mit Scholven.“ Die Pyrolyse-Anlage, so die SPD, könnte tragendes Element eines Chemienetzwerks sein, das Produktionsanlagen und Arbeitsplätze in der Region hält und Abwanderungen verhindert.