Auf historischem Grund steht die Immobilie (240 Quadratmeter Wohnfläche plus 40 Quadratmeter Wintergarten) mit 5.700 Quadratmeter Grundstück in Dorsten. Zu Napoleons Zeiten gab es auf dem Hof gegenüber eine Poststation, an der Reisende Pferde wechselten und im Gasthaus einkehrten. Die dort lebende Familie Brunn stellte Bürgermeister und Amtmänner für die Herrlichkeit Lembeck - lange vor der Eingemeindung zu Dorsten. 1912 wurde die Villa als Altersruhesitz errichtet.
Bevor Patricia Brügger (63) und ihr Lebensgefährte Olaf Dahmen (57) auf das Haus aufmerksam wurden, stand es vier Jahre leer. „Es gab 51 Besichtigungen - keiner wollte das Haus haben“, sagt Patricia Brügger: Alle seien wohl wegen der Bundestraße 58 direkt vor dem Vorgarten abgeschreckt gewesen. Die Designerin lebte damals noch in St. Gallen in der Schweiz, Olaf Dahmen stammt aus Wesel-Büderich. Sechs Jahre führte das Paar eine Fernbeziehung.

„Duster wie in einem Keller“
Patricia Brügger: „Er hat drei Söhne, ich eine Tochter. Wenn wir auf einer Ebene leben, gibt das Mord und Totschlag“, sagt sie lachend, warum es im Haus nun eine „Männer-Etage“ und eine „Mädels-Etage“ gibt. Im Internet stieß sie auf die Villa und erinnert sich noch heute an den Besichtigungstermin: „Das Haus stand vier Jahre leer. Es war alles dunkel. Duster wie in einem Keller. Baumarkt-Parkett im Esszimmer, viel braunes Holz, Blümchentapeten.“

Wo andere vielleicht rückwärts rausgegangen wären, fühlte sich Patricia Brügger „von dem Objekt umarmt“. „Man brauchte vielleicht Fantasie, aber das Haus ist der Hammer!“ Beim Kaufpreis habe sie gedacht: „Ich glaube, die haben eine Null vergessen. Das Haus war so billig, dafür kriegt man kein Reihenhaus.“
Olaf Dahmen schlug zu. „Als er mir sagte, er habe das Haus gekauft, habe ich geheult“, sagt Patricia Brügger. 2014 zog zunächst Olaf Dahmen ein. Drei Monate nach Schlüsselübergabe. „Ich hatte drei Monate Zeit für die dringendsten Sachen“, sagt er. Die Fenster wurden von Einfach- auf Dreifachverglasung umgestellt - seitdem ist die Bundesstraße im Haus kaum zu hören. Die Wände wurden dünn verputzt, die Elektrik erneuert.
„Ferngesteuert“ gearbeitet
Später renovierte Dahmen die anderen Räume nach und nach. Zunächst habe er „ferngesteuert“ gearbeitet, sagt Dahmen mit augenzwinkerndem Blick auf seine Lebensgefährtin: „Sie hat jeden Morgen eine neue Idee.“ „Mittlerweile ist er handwerklich ganz fit“, sagt Patricia Brügger und lächelt. 2018 zog sie ebenfalls ins Haus.
Wer ihr zuhört, merkt schnell, wie sehr sie von ihrer Kreativität getrieben ist. „Meine Freundinnen sagen immer: Sitzt du auch mal?“ Patricia Brügger gibt lachend selbst die Antwort: „Wenig.“ Und erzählt, wie sie sich an einem Samstag eigentlich mal in die Sonne legen wollte - um eine halbe Stunde später Farbe im Baumarkt zu kaufen für ein Renovierungsprojekt. Stichwort Farbe: Alle Bilder, die im Haus an den Wänden hängen, hat Patricia Brügger gemalt.

Wie Olaf Dahmen lebt und arbeitet sie in der Villa: Er in der IT-Branche, sie als selbstständige Designerin für Berufsbekleidung (ucw-fashion.com), die weltweit in der gehobenen Gastronomie eingesetzt wird. Vom „High Fashion“-Bereich wechselte sie dorthin, „da viele die Kleidung, die sie im Job tragen müssen, hassen“. Ihr Anspruch ist Berufsbekleidung, „die die Leute auch privat tragen würden“.

„Mit Schrecken“ registrierte das Paar laut Patricia Brügger zu Beginn der Renovierung, dass das Haus in der Liste der schützenswerten Gebäude stand. Doch dann stellte es selbst den Antrag, das Haus unter Denkmalschutz zu stellen. Das habe nur Wochen gedauert, aber biete den Vorteil, dass man die Arbeiten von der Steuer absetzen könne.
Aber schränkt der Denkmalschutz nicht die eigenen Umgestaltungswünsche ein? Patricia Brügger sagt, dass es ihr selbst ein Anliegen gewesen sei, manches, „was vielleicht in den 1970er-Jahren verbockt wurde“, in den Originalzustand zu versetzen und nennt als Beispiel eine schmiedeeiserne Kutscherlampe vor dem Haus: „Das passt nicht zu einer Jugendstilvilla.“ Nun ist dort eine Pendelleuchte aus Messing.

Einen Durchbruch von der Küche zum Esszimmer beispielsweise hätten sie problemlos machen können, so Brügger. Den Heizkörper wollte das Paar aber erhalten, weil darin ein Wärmefach für Geschirr eingebaut ist. „Das Patent ist vor 80 Jahren abgelaufen“, sagt Patricia Brügger. Bei Arbeiten im damals von Brennnesseln überwucherten Garten fand sie in der Erde eine Granit-Platte: „Die passte genau über die Heizung.“

Großes Kompliment
Als der Denkmalschutz-Vertreter das Haus abgenommen habe, sei von diesem ein großes Kompliment ausgesprochen worden: „In meiner ganzen Karriere beim Denkmalamt habe ich noch nie so eine sensible Renovierung gesehen.“
Ein Fehler sei häufig, „es zu perfekt machen zu wollen“, so Patricia Brügger: „Da nimmt man dem Haus den Charme.“ Sie habe sich schon immer mit Immobilien beschäftigt und nach dem Hauskauf viel recherchiert. Das Paar bedauert noch heute, dass es keine Inneneinrichtungs-Gegenstände des Hauses übernehmen konnte. „Leider Gottes wurde es komplett leer geräumt“, sagt Olaf Dahmen.

Bei der Einrichtung der Räume ist Patricia Brüggers kreativer Background und ihr Faible für Farben unübersehbar. Wenn man mit ihr von Zimmer zu Zimmer geht, ist das Urlaub für die Augen. Das Schlafzimmer von Olaf Dahmen ist fast komplett in seiner Lieblingsfarbe Blau gehalten. Wo der Eingangsbereich zuvor dunkel war, hat Dahmen das Holz weiß gestrichen. Hell und dunkel wechseln sich im gesamten Haus stilvoll ab.

Eine weitere Besonderheit ist das riesige Grundstück. Zum Gartenhäuschen läuft man etwa 120 Meter durch ein Wäldchen. „Erst stand die Hütte mitten im Wald - jetzt steht sie auf einer Lichtung“, sagt Olaf Dahmen. Denn bei einem Sturm seien zwölf große Bäume umgestürzt. Vor allem im Sommer sind die Hütte und die Terrasse davor ein beliebter Treffpunkt.

Das Wäldchen auf der Südseite des Hauses verhindert allerdings die Nutzung einer Photovoltaikanlage - und auf dem denkmalgeschützten Haus wäre das eh nicht erlaubt.

Das 110 Jahre alte Haus ist aus energetischer Sicht natürlich nicht mit einem modernen Haus zu vergleichen. Der Verbrauch der Ölheizung sei nicht ohne, gibt Olaf Dahmen zu. Durch das dicke Mauerwerk sei es „im Sommer schön kühl“, aber im Winter fahre man alle Heizkörper auf Stufe 3.

„Aus dem Keller kommt viel Kälte“, sagt Dahmen. Für ihn steht fest, dass er Hilfe eines Energieberaters braucht. Vielleicht könne man noch an der Dichtheit der Türen arbeiten, das Dach dämmen oder die oberste Geschossdecke. Die Tage der Ölheizung werden auch irgendwann gezählt sein - ob es dann mit Gas, Holzpellets oder noch ganz anders weitergeht, weiß Dahmen noch nicht.

Patricia Brügger hat aber auch noch weitere Pläne: „Der Vorgarten muss neu gemacht werden - im holländischen Stil. Und es ist ein neues Bad geplant.“ Ihr Ziel ist, das Haus in den Glanz zu versetzen, in dem es 1912 einmal war. „Mit dem Denkmalschutz haben wir auf keinen Fall einen Fehler gemacht.“ Über ihr Traumhaus sagt sie: „Es war Liebe auf den ersten Blick.“




