Vor dem Landgericht München I hat der Dorstener zum Prozessbeginn am Dienstag ein Geständnis abgelegt. „Mir fehlen manchmal selber die Worte.“ Es sei nicht seine Absicht gewesen, dass jemand stirbt. Weil er oft vor seiner Schicht Alkohol getrunken und dann einen Kater gehabt habe, habe er einfach nur seine Ruhe haben wollen. „Ich habe sie ruhigstellen wollen.“ Der 26-Jährige: „Es tut mir von Herzen leid.“
Die Staatsanwaltschaft München I wirft dem Mann vor, 2020 zwei seiner Patienten (80 und 89) getötet und es bei drei weiteren versucht zu haben. Weil er es bei zwei dieser Patienten mehrfach versuchte, zählt die Anklagebehörde insgesamt sechs Mordversuche.
Beruhigungsmittel gespritzt
Laut Anklage spritzte der Dorstener den Patienten auf einer sogenannten Wachstation, einer Zwischenstation zwischen Intensiv- und normaler Station, Beruhigungsmittel, Adrenalin oder Blutverdünner. Zu den Patienten des Dorsteners zählte auch der 2022 gestorbene Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger, den der Dorstener laut Anklage zweimal ruhigstellen wollte - beim ersten Mal, um seinen eigenen Rausch auszuschlafen.
Bei der zweiten Attacke hatte der Dorstener zunächst Enzensberger laut Anklage zweimal Beruhigungsmittel gespritzt. Und später sechs Ampullen Adrenalin. Laut Süddeutscher Zeitung musste Enzensberger anschließend auf der Intensivstation beatmet werden, überlebte aber die Attacken.
„Im Krankenhaus wird da nicht so drauf geachtet“, erklärte der Pfleger, dass es ihm möglich war, die Medikamente zu entnehmen, ohne dass es jemand merkte. Er gab an, die Arzneimittelbestellungen selbst gemacht und die starken Beruhigungsmittel auch selbst in großen Mengen eingenommen zu haben.

Oberarzt wurde stutzig
Einem Oberarzt am Klinikum rechts der Isar waren die Machenschaften des Pflegers aufgefallen, weil sich der Zustand von zwei Patienten plötzlich verschlechtert hatte. Spuren der Medikamente, die den Patienten nicht verabreicht hätten dürfen, fanden sich im Blut der Opfer.
Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft wollte der Pfleger seine Ruhe haben, um sich von seinem Kater vom Alkoholkonsum des Vorabends erholen oder sich mit seinem Handy beschäftigen zu können. Außerdem habe er die Wirkung von Medikamenten auf Patienten austesten wollen und habe deshalb neben beruhigenden Medikamenten auch Blutverdünner oder das aufputschende Adrenalin gespritzt.
„Ich hatte mit mir zu tun“
Die Staatsanwältin spricht von einem „von Eigensucht getriebenen und nur auf sein eigenes Wohlbefinden konzentrierten Angeklagten“. Der Angeklagte bestritt das nicht und gab zu: „Salopp gesagt habe ich einen Kater gehabt.“ Er sei „selber gestresst“ gewesen. „Ich hatte mit mir zu tun.“ Zwar habe er nie vorgehabt, die Menschen in Lebensgefahr oder gar umzubringen, sagte der 26-Jährige immer wieder. In Kauf genommen, dass das passieren könne, habe er aber schon.
„Wenn ich gearbeitet hab, hab ich zum größten Teil nichts gemacht“, sagte er. Entgegen seinen Aufgaben habe er die Patienten nicht gewaschen oder mit ihnen gesprochen, wenn sie unruhig wurden. Werte, die er in der Nacht messen sollte, habe er gefälscht. Erst am Morgen habe er die Patienten aufgesetzt - zur Visite. In ihren Rollstühlen habe er sie dann zur Wand gedreht. „Dann sind die Patienten ruhiger. Wenn die im Blickkontakt mit den anderen sind, können die sich ja unterhalten.“
Er habe sich von den Ärzten von oben herab behandelt gefühlt und selbst wie ein Arzt fühlen wollen, befand die Staatsanwaltschaft. Nach der Gabe der nicht verordneten Medikamente habe er die Rat- und Hilflosigkeit der Ärzte genossen, die sich die Verschlechterung des Zustands ihrer Patienten nicht erklären konnten. Der Pfleger habe sich damit in einer Machtposition gefühlt.
Vorbestraft wegen Diebstahls
Eine Zeitarbeitsfirma aus Österreich hatte ihn an das Krankenhaus vermittelt, in Österreich habe er damals nicht arbeiten dürfen, weil er dort wegen Diebstahls vorbestraft war. Und so mietete er sich in München im Hotel ein und ließ sich jeden Abend mit dem Taxi zur Nachtschicht in die Klinik fahren - weil er zu betrunken für die U-Bahn war und jede Sekunde im Hotel ausnutzen wollte, so der Angeklagte.
In den vier Monaten, die er in dem Münchner Krankenhaus arbeitete, will er jeden Tag getrunken haben - und zwar so massiv, dass nicht nur Richter Norbert Riedmann, sondern auch ein medizinischer Gutachter im Saal Zweifel an den Schilderungen hatten. Elf, zwölf Flaschen Bier habe er schon morgens an der Tankstelle nach der Nachtschicht getrunken. Dass er das aushielt, erklärt der Angeklagte mit Gewohnheit und seiner Körpermasse: „Zwei Meter, 120 Kilo.“
Die Klinik äußerte sich zunächst nicht zu den Schilderungen des Mannes, der auch sagte, dass einer Vorgesetzten durchaus auffiel, dass er mit einer Alkoholfahne zur Arbeit kam und dass er mehrfach dabei erwischt wurde, wie er tief und fest schlief, statt seine Patienten im Auge zu behalten.
Für den Prozess wurden Termine bis Mai angesetzt.
Mit Material von dpa und AFP
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