Jungbauer Theodor Große-Lasthaus aus Lembeck: erst 21 Jahre alt, als er im Januar 1942 bei seinem Ostfront-Einsatz den „Heldentod“ fand. Der Gefreite Walter Greef aus Dorsten: 25 Jahre alt, als er im Juni 1940 in Frankreich „in treuer Pflichterfüllung für Führer, Volk und Vaterland“ gefallen ist.
Oder Sanitäts-Unteroffizier Johannes Gertdenken aus Rhade: Lediglich 25 Jahre zählte er, als er 1944 im Russland sein Leben „für seine Lieben in der Heimat“ gab - und das tragischerweise, nachdem seinem jüngeren Bruder Alfons (19) nur fünf Monate zuvor das gleiche traurige Los ereilte.
Nur vier der Schicksale, die Dorstener Familien damals schlimm getroffen haben, wahllos herausgegriffen aus demjenigen Ordner der Nachnamen, die mit G beginnen. Und es sind darüber hinaus noch sehr viel mehr - von A wie den beiden Aehlings (Bernhard und Wilhelm) aus Schermbeck bis Z wie den Zweske-Brüdern Rudi und Franz aus Holsterhausen.
Aus dem Biermann-Nachlass
22 solcher alphabetischer Hefter hat Christian Gruber, Geschäftsführer des „Heimatbundes für Dorsten und die Herrlichkeit Lembeck“, kürzlich in der Schublade eines Regals des Heimatbund-Archivs im Keller der Montessori-Schule entdeckt. Die Sammelmappen entstammen dem Nachlass des 2021 verstorbenen Dorstener Heimatfreundes Walter Biermann, den seine Witwe Rosi dem Heimatbund übergeben hatte.

„Sie sind gefüllt mit mehr als 1.900 fotokopierten Totenzetteln und Fotos“, erzählt Christian Gruber. Dazu gibt es eine Excel-Tabelle mit fast 200 weiteren Namen. Belege einer geplanten Dokumentation über fast alle gefallenen und vermissten Soldaten des Zweiten Weltkriegs aus Dorsten, Schermbeck und Erle, die Walter Biermann einst mit einer Gruppe geschichtsinteressierter Gleichgesinnter zusammengetragen hatte.
14-jährige Fleißarbeit
Eine Fleißarbeit, die Anfang der 1980er-Jahre begann und die 1995 endete - und die viele Angehörige mit Fundstücken aus ihren Familienalben unterstützt hatten. „Die Dokumentation sollte anlässlich des 50. Jahrestags des Endes des Zweiten Weltkriegs erscheinen“, erzählt der Dorstener Christian Bischoff (60), der damals als Schüler und Student (Maschinenbau-Ingenieur) mit seinem Vater Initiator des Projekts gewesen war.

Zwar ließ die „Recherche-Gruppe“ die Namen der gefallenen Dorstener sowie deren Fotos und Totenzettel auf insgesamt 400 Seiten zu einem Druckwerk binden. „Doch als richtiges Buch kam es leider nie heraus“, sagt Christian Bischoff, der eine Maschinenbaufirma in Gelsenkirchen besitzt. „Sondern nur einige wenige Kopien, jeweils eine für jeden Mitwirkenden, ein Exemplar ging ins Stadtarchiv.“
Zum 80. Jahresgedenken
Den Überblick über die Kriegsopfer aus Dorsten und aus der damaligen Herrlichkeit hat Christian Gruber nun aus seinem Dornröschenschlaf erweckt. Und die lange Liste mit den Namen der mehr als 2.000 hiesigen gefallenen und vermissten Soldaten auf der Homepage des Heimatbundes (www.heimatbund-herrlichkeit-lembeck-und-stadt-dorsten.de/archiv) online gestellt. „Pünktlich zum 80. Jahresgedenken der Bombardierung Dorstens und des Kriegsendes am 8. Mai 1945“, betont er.
Neben den Namen gibt es weitere biographische Daten zu jedem dieser Kriegsopfer: Geburtsdatum, Heimatanschrift, Sterbedatum, Sterbeort. Die von den Hinterbliebenen zur Verfügung gestellten Fotos und Totenzettel fehlen indes: „Das wäre zu viel Aufwand gewesen“, so Gruber.

Christian Bischoff freut sich, dass die historische Aufarbeitung von damals nun doch noch zum Teil sichtbar wird. Mit seinem Vater Karlheinz Bischoff, ehemaliger Schulrektor in Dorsten, hatte er einst mit den Nachforschungen begonnen. „Ich habe mich schon als Jugendlicher immer für Geschichte interessiert“, erzählt er. „Beispielsweise dafür, was aus den jüdischen Familien aus Dorsten geworden ist, vor allem aber für militärhistorische Dinge.“
Vater und Sohn nahmen sich damals vor, „von jedem Soldatenopfer ein Foto oder einen Totenbrief zu bekommen“. Neben den noch im Stadtarchiv vorhandenen Dorstener Zeitungen, den Kirchenunterlagen und den Unterlagen der alten Heimatvereine hätten sie nur die Möglichkeit gehabt, die hinterbliebenen Angehörigen über öffentliche Aufrufe direkt anzusprechen: „Aufgrund von Datenschutzgesetzen war von behördlicher Seite keine Unterstützung möglich“, so Bischoff.

Nach dem Tod seines Vaters ım Jahr 1983 führte Christian Bischoff das Vorhaben mit Walter Biermann, der eine Computer-Datenbank anlegte, und weiteren Unterstützern fort. „Unsere Gespräche mit den Angehörigen waren nicht immer leicht“, so Christian Bischoff: „Es wurde ja nicht gerne über Kriegserlebnisse gesprochen, das hat in vielen Familien alte Wunden aufgerissen.“
Dass die Projekt-Gruppe neben den Fotos der uniformierten Soldaten auch die mit dem damaligen NS- und Militärjargon gespickten Nachrufe auf den Totenzetteln mit in die Dokumentation aufnahm, brachte ihr auch Gegenwind ein, erinnert sich Christian Bischoff. „Uns wurde von manchen Kriegsverherrlichung unterstellt“, sagt er.

Dabei ging es der Gruppe doch genau um das Gegenteil. „Das Projekt sollte eine Mahnung an die Lebenden sein, ein Zeichen gegen den Krieg und gegen den damaligen deutschen NS-Verbrecherstaat“, so der 60-Jährige. Gerade angesichts des heute überall anzutreffenden Rechtsrucks der Gesellschaft sei dies nun wieder aktuell: „Ich habe in meiner Firma schon mehr als 85 Auszubildende aller Nationalitäten gehabt und alle gut integriert“, so der Dorstener. „Deshalb finde ich es schlimm, was ich heutzutage an Nazi-Sprüchen oder auch an Forderungen der AfD höre.“
Einblicke in die Ordner
Update: Inzwischen haben sich drei Dorstener Familien mit weiteren Todesfällen gemeldet, darunter der eines 16jährigen Hervester Flakhelfers, der beim Einmarsch der Alliierten am 28. März 1945 auf dem Weg zum Elternhaus getötet wurde. Wer weitere Namen und Dokumente über gefallene Angehörige hat, die noch nicht in der Liste stehen, kann sich per Mail wenden an Christian Gruber (suedheide@gmail.com). Und wer Einblicke in die Fotos und Totenzettel der Gefallenen nehmen möchte, kann dies zu den Öffnungszeiten des Heimatbund-Archivs (Kleiner Ring 2, jeden Mittwoch von 10 bis 12 Uhr) oder nach Vereinbarung tun.