Mit ihren Einkaufsmöglichkeiten sind die Rhader zufrieden. Auch wenn es nicht alle Läden im Ort gibt, die sie sich wünschen. Der Öffentliche Nahverkehr kommt bei ihnen hingegen schlecht weg.
Pohlbürger werd ich nicht mehr“, sagt Claudia Boll lachend. Muss sie aber auch nicht. Denn auch ohne Rhader Stammbaum fühlt sich die gebürtige Wattenscheiderin in dem Stadtteil im Dorstener Norden sehr wohl. Er ist für sie Heimat geworden, seit sie und ihr Mann sich 2003 in das Haus an der Xantener Straße verliebten. Mitten im Zentrum und doch ruhig gelegen – besser ging es für die beiden nicht. „Und jetzt geh ich hier nicht mehr weg“, sagt die 49-Jährige.
Mit den Rhadern kam sie von Anfang an gut zurecht. „Ich kann nicht sagen, dass die Menschen hier stoffelig sind. Ich sage immer: Wie man es in den Wald hineinruft, schallt es zurück.“ Schnell war klar: Sie wollte ihre neue Heimat und das Leben dort aktiv mitgestalten. Als ihre Töchter (heute 14 und 10 Jahre alt) in den Kindergarten gingen, saß sie im Elternbeirat, leitet seit Jahren eine Kindertanzgruppe, organisiert zweimal im Jahr den Kinderkleidermarkt.
„Wir haben wirklich alle an einem Strang gezogen“
Auch im Heimatverein ist sie aktiv, pflegte das Soggeberghaus, organisierte die Feierlichkeiten zur 800-Jahr-Feier 2017 mit. „Dabei ist mir wieder einmal aufgefallen, wie gut wir hier alle zusammenhalten. Wen auch immer ich um Hilfe gefragt habe, hat mitgemacht. Wir haben wirklich alle an einem Strang gezogen“, sagt Claudia Boll nicht ohne Stolz. Außerdem gefällt es ihr, dass man sich kennt in Rhade. „Hier grüßt man sich, wenn man sich auf der Straße begegnet. Das kenne ich von meiner früheren Heimat auch anders.“

© Verena Hasken
Auch im Ortsteil-Check wurden diese Gemeinschaft und der Zusammenhalt von Umfrageteilnehmern besonders herausgehoben. „Man selbst muss aufgeschlossen sein, dann kommen Kontakte innerhalb der Dorfgemeinschaft von alleine“, schreibt ein Rhader. „Sehr positiv bewerte ich die Tatsache, dass man sich kennt in diesem kleinen Ortsteil, gute Nachbarschaften existieren und man Anteil nimmt an den Menschen, die in der Nähe wohnen“, schreibt eine Rhaderin. „Hier lässt es sich gut leben.“ Das unterstreichen auch viele andere Umfrageteilnehmer, indem sie ihrem Wohnort 9 von 10 möglichen Punkten bei der Lebensqualität geben.

Die Rhader mögen ihren Ort und leben gern dort. Mit 9 von 10 Punkten bewerten sie die Lebensqualität. © Jennifer Uhlenbruch
Das wurde noch positiv bewertet
Nahversorgung: Mit den Einkaufsmöglichkeiten sind die Rhader sehr zufrieden. 9 von 10 Punkten gibt es für das Angebot rund um Discounter, Supermarkt, Apotheke und Bank. „Was man zum täglichen Leben braucht, bekommt man in Rhade“, findet auch Claudia Boll, hat aber noch einen Wunsch: „Eine Drogerie wäre wirklich super.“ Mit dem Wunsch ist sie nicht allein. „Ein Drogeriemarkt wäre nicht schlecht“, schreibt ein Rhader beim Ortsteil-Check. „Alles in Ordnung, außer dass wir keine Drogerie haben“, schreibt ein anderer. Ernsting’s Family wäre ebenso ein Gewinn und ein Haushaltswarengeschäft, meinen die Umfrageteilnehmer.

Mit der Nahversorgung in ihrem Ort sind die Rhader sehr zufrieden. Sie vergeben 9 von 10 Punkten. © Jennifer Uhlenbruch
Auch ihrem Wunsch nach einem Treffpunkt im Ortskern verleihen die Rhader bei der Umfrage Ausdruck. „In Rhade fehlt die Möglichkeit, sich einmal zum Kaffee zu treffen oder abends mit Freunden einfach gemütlich etwas zu trinken.“ In der Eisdiele möchte mancher nicht gerne draußen sitzen, da die Lembecker Straße viel befahren ist. Ein kleines Café mitten im Ort wäre schön, meinen einige. Claudia Boll unterstützt den Wunsch nach einem Treffpunkt. „Ich fände eine Teestube rund um die Kirche ganz toll oder wenigstens einen Raum, in dem man sich einmal in der Woche treffen kann, um Kaffee zu trinken oder zu basteln.“
Grünflächen: Grünflächen und Naherholungsgebiete gibt es in Rhade reichlich. Es gibt die höchste Punktzahl von den Umfrageteilnehmern (10 von 10 Punkten). „200 Meter und dann bin ich in den Feldern, egal, in welche Richtung ich von zu Hause aus laufe“, sagt die begeisterte Walkerin Claudia Boll. „Die Möglichkeiten, sich schnell in der Natur zu bewegen, sind sehr gut“, meint auch eine Mitbürgerin in der Umfrage. „Ein Kneippbecken wäre in unserer schönen grünen waldreichen Umgebung mit den Feuchtwiesen und Bächen ein Traum“, hat eine andere Rhaderin noch einen Wunsch.
Radfahren: „Hier lernen Kinder automatisch Radfahren“, sagt Claudia Boll. Das sei das Fortbewegungsmittel Nummer 1 in dem langgezogenen Stadtteil. Ihre Töchter erreichen alles mit dem Fahrrad. „Sie kommen so zum Beispiel zu den Proben der Schützenkapelle, ohne dass es gefährlich ist.“ So wie die Mädchen sind viele Rhader gern mit dem Rad unterwegs. Für „ihre“ Radwege vergeben sie 9 von 10 Punkten.
Ein großer Kritikpunkt ist aber der Radweg an der Lembecker Straße. „Der Radweg auf der Südseite der Lembecker Straße ist sehr schlecht“, schreibt ein Rhader. Der Kreis Recklinghausen weiß um den teilweise „nicht optimalen“ Zustand des Radweges außerhalb der Bebauung, teilte Pressesprecher Jochem Manz auf Nachfrage mit. „Dort entstehen durch die Wurzeln der Bäume immer wieder Bodenwellen. Deswegen müssen wir da ständig am Ball bleiben.“ An dem Teilstück im Bereich um das Senioren- und Pflegeheim Mantra gibt es aus Sicht des Kreises keinen Handlungsbedarf. „Unsere Straßenwärter sind jeden Tag unterwegs, aber natürlich nicht immer an der gleichen Stelle. Wem also Schäden auffallen, der kann sich an das Tiefbauamt des Kreises wenden unter der zentralen Rufnummer (02361) 530“, sagt Jochem Manz.
Sport: „Rein sportlich gesehen, ist Rhade ein Paradies. Es gibt verschiedene Tanzgruppen, Fußball, Tennis, Taekwondo“, zählt Claudia Boll auf. Dass das auch andere Rhader so sehen, zeigen sie mit ihrer Punktevergabe: 9 von 10 Punkten gibt es.
Das wurde negativ bewertet
Verkehrsanbindung: Der Öffentliche Nahverkehr kommt bei den Rhadern schlecht weg: Nur 6 von 10 Punkten gibt es. „Absolut unbefriedigend sind die Möglichkeiten, mit dem ÖPNV zu planen. Die Taktung ist unzureichend und der Busverkehr lässt viele Wünsche offen“, schreibt eine Rhaderin. „Halbstündige Zuganbindung in beide Richtungen wären sinnvoll sowie abendliche Busangebote besonders für Jugendliche zu hochfrequentierten Veranstaltungen in der Umgebung“, schreibt eine andere. „Die Zuganbindung im Halbstundentakt würde viele auch bestimmt dazu bewegen, mal öfter mit dem Zug zu fahren“, meint eine Rhaderin. Dafür sei auch wichtig, meint eine andere, dass Zug und Bus nicht fast zur gleichen Zeit aus Rhade abfahren.
Derzeit fährt der RE 14 (Der Borkener) einmal in der Stunde (z.B. um 7.42 Uhr) über Dorsten nach Essen und einmal in der Stunde (z.B. um 8.15 Uhr) nach Borken. Der Bus R21 fährt auch einmal in der Stunde nach Dorsten, und zwar fast zeitgleich mit dem Zug (z.B. um 7.34 Uhr). Claudia Boll kann es nicht verstehen, warum Bus und Zug fast zeitgleich nach Dorsten fahren. „Wenn man die aufteilen würde, dann hätte man zweimal in der Stunde die Möglichkeit, nach Dorsten zu kommen.“
Warum wird das nicht besser koordiniert? Diese Frage wurde Nordwestbahn, Deutsche Bahn (für den Westfalenbus), Kreis Borken (als Auftraggeber für den Westfalenbus) und VRR gestellt. Ergebnis: Das ist nicht so einfach. Das Schienensystem sei sehr komplex, die Gleiszeiten begrenzt, teilte die Pressestelle des VRR für den Zugverkehr mit. „Dass der Bus so fährt, hat mehrere Gründe. Er ist auf den Beginn der Schulstunden ausgelegt. Auf dem Borkener Stadtgebiet ist er als Linie 295 auf die R51 angepasst und darauf, dass Raesfelder die Möglichkeit haben, in Rhade auf die Schiene zu wechseln“, teilte Gerswid Altenhoff-Weber, Leiterin des Fachbereichs Verkehr beim Kreis Borken, mit. Bisher sei dem Kreis die Problematik, die diese Taktung bedeute, auch noch nicht zugetragen worden. „Wir werden uns das nochmal ansehen, aber das sich die Taktung ändert, ist unwahrscheinlich. Der Wunsch ist ja, ihn eine halbe Stunde versetzt fahren zu lassen. Das ist für die Schüler schon viel Zeit, die sie eher fahren müssten.“

Die Verkehrsanbindung kommt in Rhade nicht so gut weg. Nur 6 von 10 Punkten erhält sie. Viele Rhader kritisieren, dass der Zug nur einmal in der Stunde nach Dorsten fährt. Einen halbstündigen Rhythmus würden sie sich wünschen. Oder wenigstens eine bessere Abstimmug mit dem Busfahrplan. © Jennifer Uhlenbruch
Gesundheit: Nur 6 Punkte gibt es für die medizinische Versorgung im rund 5500 Einwohner zählenden Ort. „Arzttermine beim örtlichen Arzt sind sehr schwer zu bekommen“, schreibt ein Rhader. „Eine Praxis für Allgemeinmedizin ist für unseren Wohnort definitiv zu wenig“, stimmt eine Mitbürgerin zu. Dass die Gemeinschaftspraxis von Marion Hüttermann und Dr. Marlies Weddeling überlastet ist, beklagen nicht nur die Rhader Patienten, sondern auch die Medizinerinnen selbst seit einigen Jahren.
Deswegen bemühen sich die Hausärztinnen bereits seit einiger Zeit um eine personelle Verstärkung. Sie versuchen, einen Weiterbildungsassistenten für die Dauer von 18 Monaten anzustellen, schreibt Dr. Marlies Weddeling auf Nachfrage. „Ich selber habe auch die Ausbildungsermächtigung hierfür. Wir sind seit 2014 bei der Stellenbörse der KVWL in Dortmund als Weiterbildungsstelle registriert, dies ist die größte Plattform für arbeitssuchende Mediziner. Bislang war niemand willens, für diesen Zeitraum nach Rhade zu ziehen. Unsere bisherigen Bewerber kamen sämtlich aus einem weiteren Umfeld, sodass die tägliche Anfahrt für sie keine Option darstellte. Derzeit ist deutschlandweit die Nachfrage nach jungen Medizinern sehr stark, sodass größere Städte mit einer guten verkehrstechnischen Infrastruktur nach Aussagen der Vermittler der KVWL bevorzugt werden.“
Eine neue Praxis kann in Rhade nicht eröffnet werden, erklärt Dr. Marlies Weddeling. „Der Kreis Recklinghausen ist laut Gesetzesvorgabe ausreichend mit Ärzten versorgt, nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung darf sich kein Arzt mehr niederlassen, es sei denn, jemand kann einen Kassenarztsitz von einem ausscheidenden Kollegen übernehmen. Rhade gehört zum Kreis Recklinghausen und ist somit auch von dieser Regelung betroffen. Wo kein Kassenarztsitz zur Verfügung gestellt wird, kann sich auch kein Mediziner niederlassen.“ Eine Ausnahme bildeten Privatarztpraxen.
Jugendliche: Die schlechteste Punktzahl (5 von 10) in der Umfrage gibt es für das Angebot für Jugendliche. Für Jugendliche müsste mehr gemacht werden, so der Tenor. Cordula Bieling, die gemeinsam mit Klaudio Kolakovic den Jugendtreff in Rhade (TOT) leitet, ärgert das. „Für die Jugend auf dem Land wird nichts gemacht, das ist immer die pauschale Aussage.“ Dabei sei das Angebot im TOT sehr vielseitig. „Wir haben einen Kicker, einen Billardtisch, eine Playstation und eine Wii, einen Raum zum Chillen, einen großen Fernseher und Spotify und eine Tanzfläche mit Laserlicht.“
Bei besonderen Aktionen, wie dem Lego-Bau-Projekt oder dem Suchspiel „Wer kennt Rhade?“, seien immer viele Kinder und Jugendliche mit dabei. „Ansonsten sind viele auch schon in Schule, Vereinen und Schützenkapelle stark eingebunden“, meint Cordula Bieling.

Die Lego-Aktion und die anschließende Ausstellung lockten viele Kinder, Jugendliche und ihre Familien ins TOT. © privat
Claudia Boll sieht auch, dass durch die Vereine das Angebot schon sehr groß ist und viele Jugendliche damit zeitlich gebunden sind. „Es ist abgesehen davon auch einfach nicht leicht, Jugendliche zu erreichen. Aber ein zusätzlicher Treffpunkt, wo sie einfach nur quatschen können, wäre toll, vor allem, wenn im Winter die Eisdiele zu hat.“ Ein Skateboardpark, ein Kletterwald oder „ein Treffpunkt für die 8- bis 17-Jährigen, wo sie sich ohne Vereinsanbindung und Zeitbegrenzungen treffen können“, werden von den Teilnehmern der Umfrage gewünscht.
Das TOT bietet am 22. Juni (Samstag) wieder das Chemielabor an. Kinder und Jugendliche (ab acht Jahren), die Lust haben, von 10 bis 11 Uhr zu experimentieren, melden sich bei Cordula Bieling (Tel. 02866 4562). Das Quiz „Wer kennt Rhade?“ wird wieder am 17. August angeboten. Im vergangenen Jahr waren rund 50 Kinder, Jugendliche und Erwachsene dabei. Auch dafür werden schon Anmeldungen entgegengenommen. Beide Veranstaltungen sind für die Teilnehmer kostenlos und werden vom Rhader Förderverein Jugend getragen.
Historie
Rhade hatte bereits 1489 eine eigene Kapelle

Ein historisches Bild zeigt Rhade von oben. Aus welchem Jahr die Aufnahme stammt, ist nicht bekannt. © Archiv Walter Biermann
Warum Journalistin mein Traumjob ist? Weil ich jeden Abend schlauer bin als morgens. Mit den Menschen draußen unterwegs zu sein, sich die Geschichten ihres Lebens anzuhören und sich für die Lösung ihrer Probleme einzusetzen – das ist genau mein Ding.