Die Empörung, mit der Dr. Stephan Rüdiger die Nachricht geschrieben hat, war deutlich zu spüren: „Es ist absolut befremdlich und nicht in meinem Sinne.“ Der Pfarrer der Katholische Gemeinde St. Agatha bezieht sich auf die Reichsflagge, die am Mittwochmorgen (8.5.) auf dem Friedhof an der Gladbecker Straße in Dorsten entdeckt worden ist.

Das schwarz-weiß-rote Stück Stoff steckte in einer Schale, die am großen Kreuz auf der Kriegsgräberanlage Dorsten-Altstadt postiert worden war. Drumherum wurden kleine rote Grablichter aufgestellt.
Reichsflagge nicht formal verboten
Anders als die Reichskriegsflaggen (1903-1919, 1938-1945) oder Hakenkreuzfahne der NSDAP zähle die Flagge des Deutschen Kaiserreichs laut Bundesamt für Verfassungsschutz nicht per se zu den strafbaren rechtsextremen Symbolen.
Aber, sagt Stadtsprecher Ludger Böhne, sie öffentlich zu zeigen, werde durch einen Bund-Länder-Erlass eingeschränkt. Dieser wurde bei der Innenministerkonferenz im Jahr 2021 verabschiedet. Auf den Erlass bezieht sich auch die Polizei Recklinghausen. Das Aufstellen der Reichsflagge stelle eine Ordnungswidrigkeit dar.
Ausschlaggebend dafür sei im Fall der schwarz-weiß-roten Reichsflagge der Kontext, in dem sie aufgestellt worden ist: und zwar auf einer Kriegsgräberanlage, einem Ort mit historischer Symbolkraft. Zudem war die Flagge am 8. Mai, einem symbolträchtigen Datum, zu sehen.
Zum 79. Mal jährte sich 2024 an diesem Tag die bedingungslose Kapitulation der Deutschen Wehrmacht. In vielen europäischen Ländern gilt dieses Datum deshalb als „Tag der Befreiung“ vom Nationalsozialismus.
8. Mai als „Tag der Schande“ bei Rechtsextremen
Rechtsextreme Kreise, so die Forschungsliteratur, sehen den 8. Mai hingegen als „Tag der Schande“ an. Auch von einer „Befreiungslüge“ ist die Rede.
Pfarrer Dr. Stephan Rüdiger und auch Friedhofsgärtner Stefan Lukassen können sich nicht erklären, wann und wie die Flagge auf die Kriegsgräberanlage gekommen ist. Fest steht: Die Reichsflagge wurde umgehend entfernt.

Zudem äußert sich Bürgermeister Tobias Stockhoff mit deutlichen Worten. Wer diese Flagge „an einem Mahnmal auf einem Friedhof“ aufstelle, suche die „größtmögliche Provokation“.
Stockhoff: „Niederträchtige Gesinnung“
Stockhoff urteilt weiter: „Er verletzt damit die Würde aller Verstorbenen, die hier ihre letzte Ruhe gefunden haben. Er entehrt insbesondere die Opfer beider Weltkriege, an die mit diesem Mahnmal erinnert wird, und beleidigt ihre Hinterbliebenen. Er verhöhnt die Menschenwürde und die fundamentalen Werte unseres Grundgesetzes sowie unseres Zusammenlebens.“
Wer die Reichsflagge am 8. Mai zur Schau stelle, offenbare „eine geschichtsvergessene, unsere gemeinsamen Werte ablehnende und niederträchtige Gesinnung.“
Allerdings, so Stadtsprecher Ludger Böhne, könne der Eigentümer „die Flagge innerhalb der für Fundsachen geltenden Frist gegen Eigentumsnachweis und Quittung zurückerhalten“. Der Bürgermeister werde sich bei der Rückgabe zudem „persönlich Zeit für ein Gespräch mit den Eigentümern nehmen“.